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Lügenpresse? Im Gegenteil. 

Der Skandal um die gefälschten Geschichten eines Spiegel-Reporters beschäftigt viele Journalisten. Auch bei uns. Ein Kommentar von SZ-Redakteur Oliver Reinhard.

Von Oliver Reinhard
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© ALEXANDER BECHER-EPA-EFE-REX-Shutterstock
© Montage: SZ-Bildstelle

Auch unsere Redaktion ist geschockt: Der in Preisen ertränkte Reporter Claas Relotius, der ein wirkliches Ausnahmetalent zu sein schien, hat fortgesetzt gelogen und betrogen. Dass es soweit kommen konnte, daran ist auch unsere Branche nicht unschuldig. Viele ihrer ambitionierten „Stars“ bejubeln und fördern zunehmend einen Journalismus, der bei der Preisvergabe das stilistisch großartige und moralisch erhabene Erzählen über die nüchterne Darbietung sorgfältig recherchierter Fakten stellt.

Wer aber diesen Skandal als Beleg für eine durchweg lügenkontaminierte Presse wertet, redet groben Unfug: Nirgends ist das Entsetzen größer und die Selbstkritik schärfer als in den eigenen Reihen. Und anders als bei Diesel-Gate oder den Panama-Papers hat keine fremde Instanz den Skandal aufgedeckt. Vielmehr das am schwersten betroffene Magazin selbst, unverzüglich, umfänglich, transparent. Die dichten Kontrollinstanzen des Spiegel sind wohl daran gescheitert, dass sie nur prüfen, ob die in einem Text genannten Fakten fehlerhaft sind, was ja zuvörderst im Sinne des Mediums und der Autoren ist. Doch gegen jemanden, der Kollegen betrügt und mit großem Geschick Menschen, Zitate, Eindrücke erstinkt und erlügt, haben solche Sicherheitsmaßnahmen kaum eine Chance.

Umso mehr hoffen auch wir mit Blick auf den Blindglauben an „Stars“ wie Claas Relotius und den Kult um sie: Möge das Erdbeben die Branche nicht nur erschütternd, sondern reinigend wirken.

>>> E-Mail an Oliver Reinhard