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Luftige Liebeserklärung

Fotograf Silvio Colditz stellt Fotos mit persischer Poesie aus. Eine starke Frau hilft ihm.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Die Heizung hat noch einen ganzen Berg Kälte vor sich. Irgendwann wird sie ihn geschmolzen haben. Dann sitzt man gemütlich in der Veränderbar, dort wo Silvio Colditz eine Begegnung hatte.

„Der Kanarienvogel hat seine Sprache im Beisammensein der Blumen gelernt. Er trüge sonst nicht so viele Gedichte in seinem Schnabel.“ von Dichter Hafez.
„Der Kanarienvogel hat seine Sprache im Beisammensein der Blumen gelernt. Er trüge sonst nicht so viele Gedichte in seinem Schnabel.“ von Dichter Hafez. © Silvio Colditz
„Wo bist du?“, fragte Hamid Khademi seine Frau Marja, als sie ihm via Skype das Foto zeigt. So steht es auf dem Bild.
„Wo bist du?“, fragte Hamid Khademi seine Frau Marja, als sie ihm via Skype das Foto zeigt. So steht es auf dem Bild. © Silvio Colditz
Poetische Verse auf Silvio Colditz’ Fotos: „Lieber eins im Gefühl, als eins in der Sprache“ von Dichter Rumi.
Poetische Verse auf Silvio Colditz’ Fotos: „Lieber eins im Gefühl, als eins in der Sprache“ von Dichter Rumi. © Silvio Colditz

„Es wird gleich warm“, sagt der Fotograf. Wenn sich viele Menschen hier treffen, geht das schneller. Jetzt aber sitzt der 38-Jährige allein mit Marjan Zokaei am Tisch. Am Freitag haben sie ihre Ausstellung eröffnet. Damit ist nicht alles getan. Seit Marjans Mann gestorben ist, arbeiten die Iranerin und der Dresdner Fotograf, Autor und Gitarrist zusammen. Im Café International, das jeden Freitag Asylsuchende, Migranten, Menschen der Stadt, in die Veränderbar einlädt, hat Silvio Colditz Hamid Khademi kennengelernt. Der Sprachwissenschaftler stammte aus dem Iran und arbeitete als Übersetzer. Mehr als 80 Bücher hat er aus dem Englischen ins Persische übertragen. Außerdem galt er als Meister der persischen Kalligrafie. Diese Kunst traf nun auf Silvio Colditz‘ Fotokunst.

Tiere in der Stadt sind seit Jahren sein Thema. Die findet er nicht nur in der Heide und an den Elbwiesen, sondern auch in Schulhöfen, auf Spielplätzen und Straßen. „Wir haben uns gegenseitig erzählt, was wir machen und kamen auf die Idee, dass sich seine und meine Arbeit zu etwas Neuem verbinden lassen“, sagt Silvio Colditz. Das Ergebnis sind Naturaufnahmen, ergänzt um persische Poesie in kalligrafischer Schrift. Gemeinsam haben sich die Künstler für Vogelmotive entschieden. Vögel verkörpern Freiheit und Leichtigkeit, sie können Grenzen überfliegen, sind Einwanderer und Auswanderer zugleich.

Zusammen mit seinem Sohn war Hamid Khademi nach Dresden gekommen. Seine Frau Marjan blieb im Iran. Sie bekam keine Reiseerlaubnis. „Wir haben zwei Jahre lang nur über Skype telefoniert, so habe ich auch mit Hamid zusammen die Verse zu Silvios Bildern ausgesucht“, erzählt sie. Als ihr Mann einen Schlaganfall erlitt, war sie in ihrem Land noch schlimmer gefangen als zuvor. Sie konnte ihm nicht beistehen. Während Hamid Khademi im Koma lag, setzten Freunde von Deutschland aus alle Hebel in Bewegung, um Marjan nach Dresden zu holen. Sie kam schließlich, doch ihr Mann wachte nicht mehr auf. Er starb Mitte April.

Jetzt setzt Marjan Zokaei fort, was ihr Mann begonnen hat. Im Literaturhaus Villa Augustin, Erich Kästner Museum, hängen die Fotoarbeiten zusammen mit der Frage „Wie wir leben wollen – Perspektiven einer interkulturellen Gesellschaft zu sehen“ und sollen die Besucher ins Gespräch darüber ziehen. Die Ausstellung ist die Fortsetzung Silvio Colditz’ Engagement. Er hat Veränderbar und Café International mitgegründet, organisiert Festivals, Lesungen und Ausstellungen. Außerdem gibt er das Literaturmagazin „Der Maulkorb“ heraus.

In einer Zeit, in der es ihm selbst nicht gut ging, begann er zu fotografieren. Anfangs auf Veranstaltungen. „Aber ich habe mich dabei nie wohlgefühlt“, sagt er. Auf einem Spaziergang in einer der grünen Lungen der Stadt entdeckte er einen ganzen Schwarm Schmetterlinge. Von da an habe er begonnen, darauf zu achten, wie erstaunlich viele Tiere im urbanen Raum leben und sie zu fotografieren.

Silvio Colditz kann warten. Still und konzentriert und voller Hoffnung – auf einen schwebenden Turmfalken, eine segelnde Möwe, eine Krähe, die Nüsse knackt. Seine Motive hört er, bevor sie seinem Blick begegnen. Er muss die Stadt kennen, um die Tiere zu finden und die Natur, um ihnen nahe zu sein. Vom Augenblick bleiben seine luftigen Liebeserklärungen.

www.artderkultur

Villa Augustin, Antonstraße 1, So.– Fr., 10 bis 18 Uhr