Zittau. Die fünf Coburger Fuchsschafe stehen auf einer zugigen Hügelkuppe bei Hainewalde und knabbern am Grün. Ein Frühstück für die Forschung ist es, was sie da zu sich nehmen. Denn die Schafe fressen für die Wissenschaft. „Ja, wir haben sie für unser Grünland-Projekt am Internationalen Hochschulinstitut Zittau sozusagen vorübergehend angestellt“, sagt Matthias Kändler und lacht. Gemeinsam mit seinem Kollegen Henning Haase schaut er in die wellige grüne Landschaft: Alles ist Wiese hier, würde man landläufig sagen. Doch Kändler und Haase sehen das anders. Sie wollen gemeinsam mit tschechischen Kollegen – unter anderem von der Agraruniversität in Prag – in einem EU-Projekt erforschen, wie man den Artenreichtum auf speziellen Grünland-Biotopen erhalten und verbessern kann.
Problem: Trotz Schutz verschwinden immer mehr Pflanzen im Grünland.
Grünland, das nicht intensiv landwirtschaftlich genutzt wird, ist in den vergangenen Jahrzehnten ohnehin sehr selten geworden. Einige Flächen gibt es aber noch – vor allem in Regionen, die für die Landwirte nicht attraktiv sind: steile Hanglagen, trockene oder auch sehr feuchte Wiesen. Hier wachsen seltene Pflanzen – Silberdisteln oder verschiedene Orchideenarten wie Knabenkraut – die sonst in der Natur kaum noch zu finden sind. Diese Wiesen, wie die bei Hainewalde, werden nicht sich selbst überlassen, sondern meist einmal im Jahr gehauen. Oft von einem Landschaftsschutzverband, der dafür auch Fördergelder vom Freistaat erhält. „Aber trotz dieser Programme hat sich der Zustand dieser Wiesen nicht verbessert, zum Teil sogar verschlechtert“, erklärt Henning Haase vom IHI. Mit der neuen Studie soll nun erforscht werden, was helfen könnte, den Artenreichtum zu erhalten und zu stabilisieren – oder gar zu verbessern.
Nutzen: Warum ist der Schutz dieser Wiesen so wichtig?
Henning Haase kennt diese Frage – und hält sie auch für berechtigt. Der 30-jährige Wissenschaftler des „Diver Grass“ genanten Projektes sieht vor allem zwei wichtige Aspekte: Zum einen ist eine Pflanzenvielfalt wichtig für das Ökosystem: „Es hängen Schmetterlinge, Heuschrecken und damit dann auch Vögel und andere Säuger dran“, skizziert er. Zum anderen sieht er auch ein gewisses kulturelles Erbe in Gefahr. Denn den Charakter dieser besonderen Wiesen haben vorangegangene Generationen geprägt. Sie betrieben Landwirtschaft im Nebenerwerb und ließen meist ihre Schafe oder Ziegen auf den sogenannten Hutungswiesen am Übergang zu Wald weiden. Dadurch habe die bunte Pracht mit Zittergras und Thymian, Echtem Labkraut oder Malven und Veilchen überhaupt erst entstehen können . „Noch in den 50ern waren Kleines Knabenkraut und weitere Orchideenarten hier überall da“, sagt Haase und schaut ins Rund. Ein besonders drastisches Beispiel ist die Silberdistel: „Sie ist der hauptsächliche Schutzgrund des Gebietes und kommt in der südlichen Oberlausitz nur noch an vier anderen Standorten vor. Für das restliche Sachsen wurden im Verbreitungsatlas 2000 noch weitere drei Vorkommenspunkte geführt“, sagt Henning Haase. Dabei gehen die Forscher davon aus, dass dies noch nicht das Ende der Fahnenstange ist.
Vorgehen: Was messen und testen die Wissenschaftler bei dem Projekt?
Von November 2016 bis Oktober 2019 läuft das Projekt, erklärt Matthias Kändler. Dabei stand am Anfang erst einmal viel Recherche: Die Forscher wählten infrage kommenden Flächen aus. Im Altkreis Zittau sind es sechs Grünlandflächen, die untersucht werden, weitere kommen noch in Tschechien hinzu. „Wir mussten dann erst einmal den aktuellen Stand vor Ort festhalten“, erklärt Kändler. Das heißt im Klartext: Pflanzen zählen. Auf Flächen von zweimal zwei Metern Größe haben die Forscher die Flora erfasst und auch Bodenproben genommen, um den Nährstoffgehalt zu bestimmen. „Bei der diesjährigen Inventur im Rahmen einer Master-Arbeit, die im Projekt läuft, wurden am Spitzberg knapp 80 Gefäßpflanzenarten kartiert“, erklärt Haase. Das sei eine sehr gute Zahl, die erhalten werden solle, sagt er und vergleicht: „Auf intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen findet man nur zehn bis 20.“
Testphase: Schafe und alte Geschichten könnten eine Lösung sein.
Hier kommen die Schafe ins Spiel: Auf einige der Versuchsflächen werden nach der Jahresmahd im Spätsommer Schafe zum Nachbeweiden getrieben. „Wir hoffen, dass sie die Samen der seltenen Pflanzen weitertragen und in den Boden eintreten, vielleicht auch etwas gegen die zunehmende Vermoosung tun“, sagt Haase. Die Idee mit den Schafen ist übrigens keine Neuerfindung: Für die Forscher ist es sehr wichtig, über die Geschichte der Flächen Bescheid zu wissen. „Erst wenn wir verinnerlichen, wie früher gewirtschaftet wurde, können wir Rückschlüsse ziehen, die den Gesamtzustand verbessern können“, sagt er. Sonst gibt es irgendwann nur Einheitsgras statt bunter Wiese.