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Manchmal ein Fläschchen Likör

Vor 120 Jahren wurde der Dresdner SC gegründet. Fußballer und Leichtathleten dominierten bis zum Zweiten Weltkrieg. Dann kommt es zum Eklat.

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Von Sven Geisler

Fünf junge Männer sitzen zusammen im Hotel „Stadt Coblenz“. Sie wollen einen Verein gründen, in dem Fußball gespielt, aber auch anderer Sport betrieben wird. Es ist am 30. April 1898 der Anfang einer Geschichte, die seit 120 Jahren fortgeschrieben wird: die des Dresdner Sportclubs. Die Herren der ersten Stunde einigten sich auf den Namen sowie Schwarz und Rot als Farben für den Klub, erste Spielstätte war eine Wiese im Ostra-Gehege. In ihrem Vereinslied singen die Mitglieder von festen Freundschaftsbanden, gutem Sport und ihrem Stolz. „Allüberall in deutschen Landen, mein DSC, dein Name klingt!“

Rudolf Harbig gewinnt den 800-m-Lauf bei den deutschen Meisterschaften 1939 im Berliner Olympiastadion. Foto: privat
Rudolf Harbig gewinnt den 800-m-Lauf bei den deutschen Meisterschaften 1939 im Berliner Olympiastadion. Foto: privat © privat
Der frühere DSC-Fußballer Hans Kreische ging nach der Zerschlagung des Vereins in den Westen, kehrte aber 1954 zurück, damit sein Sohn Hans-Jürgen in Dresden zur Schule gehen konnte. Beide spielten für Dynamo.
Der frühere DSC-Fußballer Hans Kreische ging nach der Zerschlagung des Vereins in den Westen, kehrte aber 1954 zurück, damit sein Sohn Hans-Jürgen in Dresden zur Schule gehen konnte. Beide spielten für Dynamo. © privat

Den ersten Titel gewannen die DSC-Fußballer bereits 1903 mit der ostsächsischen Meisterschaft, zwei Jahre später scheiterten sie erst im Halbfinale am späteren deutschen Meister VfB Leipzig. Ihre erfolgreichste Zeit aber erlebten sie nach dem Ersten Weltkrieg. Damals kamen die meisten Spieler aus dem Nachwuchs oder anderen Dresdner Vereinen. Richard Hofmann war eine Ausnahme. Der Stürmer wechselte 1928 von der Spielvereinigung Meerane 07 zum DSC, der vom Engländer Jimmy Hogan trainiert wurde.

Wegen seiner vielen Tore wurde Hofmann bald zum „König Richard“ gekrönt. Er traf auch für die Nationalelf, allerdings hätte er seinen spektakulärsten Auftritt beinahe verschlafen. Als die Mitspieler an jenem 10. Mai 1930 in Berlin bereits im Bus saßen, um zum Länderspiel gegen England ins Stadion zu fahren, fehlte Hofmann. „Wie ich ihn kenne, liegt der noch im Bett und schläft“, scherzte der Schalker Ernst Kuzorra. Trainer Otto Nerz stürmte los, fand ihn schlummernd im Bett. „Hey, Hofmann, wollen Sie nicht mitspielen?“

Dass der Bus kurz vor dem Ziel den Geist aufgab und die Spieler in Taxis weiterfahren mussten, passte zu diesem verregneten Tag. Zweimal gingen die favorisierten Engländer in Führung, zweimal traf Hofmann zum Ausgleich. Und dann kam die deutsche Elf der Sensation nahe. „Ja, Richard Hofmann läuft. Wie eine kleine Bulldogge rast er auf das englische Tor zu“, schrieb der Sportjournalist Herbert Beyer später in einem Buch über Hofmann – und weiter: „Higgs erkennt die große Gefahr, rennt aus dem Gehäuse, wirft sich dem kleinen Sachsen vor die Füße. Doch der Dresdner reagiert kalt. Blitzschnell hat er das Leder mit dem rechten Fuß herumgezogen. Hart knallt der Ball ins leere Tor.“

Dass den Engländern noch der Treffer zum 3:3-Endstand gelang, schmälert Hofmanns Leistung nicht. Es blieb nicht sein einziges legendäres Spiel. Nur gut vier Monate später gehörte der Torjäger zu den Helden beim 5:3 gegen Ungarn in Dresden. „Unaufhörlich strömen Fußballbegeisterte, mit Stullenpaketen, Hockern und Ferngläsern bepackt ins Ostra-Gehege“, hieß es in einem Erlebnisbericht. Doch die 50 000 Zuschauer sahen, wie die deutsche Auswahl mit 0:3 in Rückstand geriet. Mit Hofmanns Treffer aber begann die Aufholjagd.

Er war einer von 15 Nationalspielern des DSC zu dieser Zeit. In den 1940er-Jahren wurde der Verein Pokalsieger 1940 und 1941 sowie deutscher Meister 1943 und 1944. „Die Fußballbegeisterung in Dresden hielt selbst in dieser leidvollen Zeit an. Zu unseren Heimspielen kamen im Schnitt 20 000 Leute“, erinnerte sich Herbert Pohl. Trotzdem haftet den Titeln ein negatives Image an. Pohl, der an der Front des Zweiten Weltkrieges den linken Arm verloren hatte und nur ein halbes Jahr später wieder gespielt hat, hielt dagegen: „Zweifellos waren auch gute Fußballer im Krieg. Aber alle Spitzenklubs nutzten ihre Beziehungen zu Politikern und Generälen, damit die Besten nicht eingezogen wurden. Bei Schalke, Nürnberg und Hamburg war die gesamte Mannschaft da.“ Und nachdrücklich fügte er hinzu: „Wir waren keine Nazis, nur weil wir in der Zeit erfolgreich waren.“

Rudolf Harbig, der Spitzenläufer

Die Stimmung kippte jedoch, wie Helmut Schön berichtete. Bei einem Spiel gegen den Stadtrivalen SV Guts Muths hätten Zuschauer skandiert: „Schön k. v.!“, kriegsverwendungsfähig. Der damalige Stratege im Mittelfeld des DSC und spätere Bundestrainer war wegen seines operierten Knies ausgemustert worden. „Ich hatte nicht das Zeug zum Helden und damit auch nicht zum ,Heldentod‘, wie man das Sterben damals nannte“, schrieb Schön in seinen Erinnerungen. „Ich war nie jemand, der gegen den Strom geschwommen wäre. Das entspricht nicht meinem Charakter.“

Ein anderer großartiger DSC-Sportler ist im März 1944 in Olchowez ums Leben gekommen: Rudolf Harbig, als Läufer eine Legende. Am 15. Juli 1939 lief er in einem denkwürdigen 800-m-Rennen beim Leichtathletik-Länderkampf in Mailand mit 1:46,6 Minuten einen fabelhaften Weltrekord, der 15 Jahre bestehen bleiben sollte. 1941 hielt er außerdem die Weltrekorde über 400 und 1 000 Meter. Zeitzeugen beschrieben ihn als gesellig und lustig, er habe Witze am Fließband erzählt. Nur zu den Feiern sei er mit seiner Mutti gekommen, habe keinen Tropfen Alkohol getrunken und sich spätestens halb elf verabschiedet.

„Der DSC war ein familiärer Klub mit großartigen Sportlern“, erzählte der Fußballer Hans Kreische, der schon als Junge im Verein gespielt hat. „Ich durfte sogar kostenlos im Casino essen, weil wir zu Hause zwölf Kinder waren.“ Er schwärmte von einem „prima Verhältnis zu den Leichtathleten“. Luise Krüger, Speerwerferin, hatte bei den Olympischen Spielen 1936 Silber gewonnen, Sprinterin Käthe Krauß Bronze. „Und natürlich Rudolf Harbig, Gasableser und Spitzenläufer. Er ist leider in dem Scheiß-Krieg umgekommen“, so Kreische.

Auch Schön musste im Oktober 1944 noch zur Truppe, aber nur für drei Wochen. „Ehe ich das Gewehr schultern konnte, ließen sie mich wieder laufen.“ Er arbeitete beim Pharma-Fabrikanten Madaus in Radebeul, einem Mäzen der DSC-Fußballer. Zu den Auswärtsfahrten durften die Spieler auf seine Kosten ihre Frauen oder Freundinnen mitnehmen, für den ersten Meistertitel schenkte er jedem eine Armbanduhr. Inzwischen war der Betrieb als kriegswichtig eingestuft worden und erwirkte eine Freistellung für Schön. Die Bombennacht des 13. Februar 1945 erlebte er als Luftschutzleiter in der Firma, seine Familie überlebte den Angriff der Alliierten.

Kreische fand seine Angehörigen, obwohl sein Elternhaus von Bomben zerstört war, als er aus der Gefangenschaft zurückkehrte. Er spielte wieder Fußball, zunächst gemeinsam mit Vater und Bruder in Loschwitz. „Wir hatten eine klasse Mannschaft und gut und gerne 1 000 Zuschauer.“ Mit Seidnitz traf er später auf die SG Friedrichtstadt, den Nachfolger des DSC. „Danach sprach mich Helmut Schön an: ,Du gehörst doch zu uns‘“, berichtete Kreische. Also schloss er sich seinem Heimatverein an, der den Traditionsnamen ablegen musste.

„Wir hatten auf unseren Trikots aber noch die DSC-Fahne, spielten in Schwarz-Weiß-Rot. Von manchen Zuschauern wurden wir deshalb als Faschisten beleidigt“, erinnerte sich Kreische an Anfeindungen, die für ihn unverständlich waren. Die Truppe hielt zusammen. „Ich hatte eine Stelle in der Spirituosenfabrik von Bramsch und brachte manchmal ein Fläschchen Likör mit. Das haben wir nach dem Training an der Yenidze gekippt und uns dabei geschworen: Am Sonntag gewinnen wir.“

Der Niederlage folgt die Auflösung

Den neuen Machthabern war der bürgerliche Verein jedoch auch wegen seiner Erfolge während der Nazi-Zeit suspekt, am 16. April 1950 kam es zum Eklat. Friedrichstadt empfing die ZSG Horch Zwickau zum Endspiel um die erste Ostzonen-Meisterschaft, 60 000 Fußballbegeisterte freuten sich auf ein spannendes Duell. Die harte Gangart der Zwickauer, dadurch verletzungsbedingte Ausfälle und die Fehlentscheidungen des Schiedsrichters führten dazu, dass die Dresdner mit 1:5 verloren. „Das war von Anfang an ein politisch abgekartetes Spiel. Sie haben uns fertiggemacht, das steht fest“, meinte Kreische.

Walter Ulbricht, damals stellvertretender Ministerpräsident der DDR, saß auf der Tribüne, in seiner Rede beim anschließenden Bankett habe er seine Freude darüber zum Ausdruck gebracht, „dass es gerade die Mannschaft eines volkseigenen Betriebes sei, die die ersten Fußballmeisterehren in der Deutschen Demokratischen Republik erringen konnte“, hieß es in der für die Medien einheitlich formulierten Meldung.

Kreische erlebte es so: „Er hat nur von Zwickau gesprochen. Irgendwann ist ein Ruck durch unsere Mannschaft gegangen. Wir sind aufgestanden und haben dann im Steyer-Stadion mit unseren Fans gefeiert. Das war natürlich der Genickbruch.“ Die SG Friedrichstadt wurde aufgelöst. Helmut Schön ging als erster Spieler nach West-Berlin, elf weitere folgten ihm zu Hertha BSC, auch Hans Kreische und Herbert Pohl.

Während es Pohl nach Wuppertal verschlug und Schön mit der BRD – und trotz der für ihn als Dresdner besonders schmerzlichen Niederlage gegen die DDR – 1974 Weltmeister wurde, kehrte Kreische 1954 in seine Heimatstadt zurück. Fußball spielte er nun aber für Dynamo.

Die DSC-Fußballer erlebten auch nach 1990 eine wechselvolle Zeit, standen zur Jahrtausendwende vor dem Aufstieg in die zweite Liga und waren 2006 pleite. In der Vorsaison sind sie in die Stadtoberliga abgestiegen, die achthöchste Spielklasse, ausgerechnet im Jubiläumsjahr. Ärgerlich zwar, aber der sportliche Anspruch wird diktiert von den begrenzten finanziellen Möglichkeiten. Die Geschichte bleibt. Anfang September soll bei einem Turnier mit den Traditionsmannschaften von Hertha BSC und dem FSV Zwickau daran erinnert werden.