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Marktwirtschaft im Kuhstall?

Zu DDR-Zeiten musste die LPG Lichtenberg Planzahlen erfüllen. Nun regeln Quoten, wie viel der Betrieb produzieren darf.

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© Kristin Richter

Von Manuela Reuß

Klaus Hofmann zeigt seinen neuen Kuhstall gern. Der kann sich aber auch sehen lassen. Es herrscht unaufgeregte Ruhe. Völlig entspannt versenkt etwa ein Drittel der 720 Vierbeiner die Köpfe ins Futter. Die Lichtenberger Landwirte haben die Fressstrecke üppig bestückt. Weit und breit nicht mal der Anflug von Futterneid. Alle zwei Stunden sorgt ein automatischer Schieber dafür, dass der breitgewühlte Fraß wieder schön maulgerecht daliegt.

Überhaupt passiert vieles in der 5,5 Millionen Euro teuren Anlage wie von Geisterhand. Und vor allem ganz in Ruhe. „Das haben unsere Leute inzwischen gut umgesetzt“, lobt der Chef. Auch die Milchkühe haben sich längst an die neue, helle, luftige Umgebung gewöhnt. Ein Großteil der Tiere liegt in weichen, gut durchlüfteten, mit Stroh ausgekleideten Tiefliegebuchten. Das verringere das Infektionsrisiko. Und erhöhe den Wohlfühlfaktor, weiß Hofmann. Die Kühe haben Platz und können sich frei bewegen. Sogar für Wellness ist gesorgt. Wer mag, kann zur großen Kuhbürste marschieren und sich massieren lassen.

Beim Melken fressen

Die Tiere können auch selbst bestimmen, wann sie zum Melken gehen. Das Milch-Abzapfen erfolgt ebenfalls automatisch. Roboter agieren völlig eigenständig. Steht die Kuh im Melkstand, lässt der Automat leckeres Kraftfutter vor ihr Maul purzeln. Während das Rind genüsslich kaut, setzt ein kameragesteuerter Arm die Melkbecher an die Zitzen, die der Roboter zuvor fein sauber gebürstet hat. Alles wird penibel überwacht. Per Computer. Er registriert Milchmenge, Fett- und Eiweißgehalt. Aber auch entzündete Zitzen oder mögliche Krankheiten. Transponder, welche die Vierbeiner am Bein tragen, machen die individuelle Registrierung möglich.

Kein Vergleich mit der schweren Arbeit in einem Kuhstall in den 80er Jahren. Da mussten die Melker den Rindern das Melkgeschirr selbst anlegen. Kuh für Kuh. Bei 2 700 Tieren, die damals in der Lichtenberger LPG im Stall standen, ein Job, der Schultern, Nacken und Rücken extrem belastete, erinnert sich Klaus Hofmann noch sehr gut. Der Lichtenberger muss es wissen. Er kennt zwei gesellschaftliche Systeme, hat die Schaffung der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften als Kind miterlebt.„Hier in Lichtenberg gab es schon 1953 eine LPG“, erinnert er sich. Auf freiwilliger Basis. Anfang der 60er Jahre sah es dann allerdings anders aus. Die Letzten seien freilich nicht mehr freiwillig den Produktionsgenossenschaften beigetreten.

Kein leichter Berufsstand

Seit 1987 hat Klaus Hofmann den Hut für das Milchvieh in Lichtenberg auf. Damals noch als Vorsitzender der LPG Tierproduktion, inzwischen als Chef der Lichtenberger Agrar GmbH & Co. KG. Letztere ist längst nicht mehr nur auf Milchproduktion ausgerichtet, sondern setzt auch auf Marktfrucht- und Biogas-Erzeugung.

Klaus Hofmann ist Landwirt mit Leib und Seele. Und dass, obwohl es sein Berufsstand heutzutage nicht gerade leicht hat, Stolz auf seine Arbeit zu entwickeln. Es gebe nur noch mangelhaftes gesellschaftliches Interesse an der Lebensmittelherstellung, kritisiert er. Das war früher anders. „Zu DDR-Zeiten war der Bauer ein geachteter Beruf“, erinnert sich Hofmann. Heutzutage wird die Branche in den Medien mitunter regelrecht diffamiert. „Da streut man pauschal Schlagworte wie Genmanipulation, Massentierhaltung oder Antibiotika unter die Leute, ohne zu differenzieren.“ Das ärgert den Geschäftsführer. Denn den Lichtenbergern liege das Tierwohl am Herzen. Leistungsfähige, gesunde, glückliche Kühe seien schließlich ihr Kapital.

Freie Marktwirtschaft ist das nicht

Zu DDR-Zeiten habe der Staat für die Landwirte eingestanden, sagt der 64-Jährige. Dafür hat er ein Beispiel parat. Als 1976 eine schlimme Dürre in der Republik herrschte, sei ganz unkompliziert Stroh vom Norden in den Süden umgelagert worden, damit die großen Viehbestände etwas zu Fressen bekamen. „Außerdem wurde ein Teil der Staatsreserve an Getreide freigegeben, damit die Tiere nicht verhungern.“ Heutzutage könne man auch Hilfe bekommen. Allerdings müsse man dafür einen wahren Antragswust bewältigen. Dabei gibt’s eine recht simple Lösung. Man müsste Landwirtschaftsbetrieben ermöglichen, steuerfreie Rücklagen zur Risikovorsorge zu bilden, schlägt Klaus Hofmann vor. „Dann könnten die Landwirte in guten Jahren für Ausfälle durch Wetterkapriolen Reserven bilden.“

Von freier Marktwirtschaft könne man in der Landwirtschaft nicht sprechen, schätzt der Lichtenberger ein. Zu DDR-Zeiten bekamen die Bauern Planvorgaben, wie viel Liter Milch oder wie viel Tonnen Getreide zu erwirtschaften sind. Heutzutage legt der Staat fest, wie viel Erzeuger höchstens produzieren dürfen – beispielsweise mit der Zuckerrüben- oder der früheren Milchquote. Die einzige Möglichkeit auf den Markt zu reagieren, seien eigene Lagermöglichkeiten. Die habe man sich geschaffen, erklärt der Lichtenberger. „Dann muss ich nicht sofort verkaufen, sondern kann warten, bis der Preis besser ist.“ Aber auch das kostet Geld.

Vieles wird reglementiert

Zwar habe er heute unternehmerische Freiheiten, erklärt der Geschäftsführer, „aber die nützen mir kaum was, weil unheimlich viel reglementiert wird.“ Betriebsprämien seien zum Beispiel an knallharte Bedingungen gebunden. Cross Compliance nennt sich das Ganze. Unter diesem englischen Begriff werden unzählige Auflagen zum Verbraucher-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz zusammengefasst, die Landwirte einzuhalten haben, um Direktzahlungen zu bekommen. Ein umfangreiches Kontrollsystem wurde geschaffen, um bei Verstößen Prämien zu kürzen.

Die Produktionskosten sind enorm gestiegen, die Lebensmittelpreise stagnieren oder fallen. Für einen Liter Milch lag der Grundpreis im Juni bei 27,5 Cent. Doch etwa 35 Cent pro Liter koste die Produktion, so Klaus Hofmann.

Dennoch entschieden sich die Lichtenberger, knapp sechs Millionen Euro in einen neuen Stall zu investieren. Schließlich müsse er als Geschäftsführer dafür sorgen, dass in seinen Unternehmen die Milchproduktion auch in zehn Jahren noch funktioniere. „Dazu braucht’s ordentliche Bedingungen für Mensch und Tier.“ Und die existieren im neuen Wohlfühlstall.