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"Massenmeuterei" gegen Blair

London - 121 Gegenstimmen aus dem eigenen Lager - das hat eine britische Regierung noch nicht erlebt. 1885 hatten sich 93 liberale Abgeordnete gegen ihren Premierminister William Gladstone gewandt, aber...

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dpa

London - 121 Gegenstimmen aus dem eigenen Lager - das hat eine britische Regierung noch nicht erlebt. 1885 hatten sich 93 liberale Abgeordnete gegen ihren Premierminister William Gladstone gewandt, aber die «Massenmeuterei» (The Times) vom Mittwochabend übertraf selbst das: Mehr als ein Viertel der Labour-Abgeordneten im Unterhaus stimmte gegen die Irak-Politik von Premierminister Tony Blair.

Was die Parteirebellen empfinden, formuliert der Schauspieler Sir Peter Ustinov so: «Blair ist sehr überzeugt. Aber mich hat er bisher nur davon überzeugt, dass er überzeugt ist.» Kaum ein Parteifreund unterstellt dem Premierminister, dass er einen «Krieg für Öl» führen will. Man nimmt ihm ab, dass er den irakischen Präsidenten Saddam Hussein wirklich für eine langfristig sehr gefährliche Bedrohung Großbritanniens hält. Nur: Viele Labour-Politiker teilen diese Einschätzung nicht. Sie glauben, dass Blair sich irrt und deshalb all zu bereitwillig vor den Karren von US-Präsident George W. Bush spannen lässt.

Guardian: Historisches Ergebnis wird Blair nur anspornen

«In Westminster ist Geschichte geschrieben worden», kommentierte der regierungsfreundliche «Guardian». Das heißt aber nicht, dass Tony Blair nun seine Politik ändern wird. Höchstens wird er sich mit noch mehr Eifer für die Annahme einer zweiten UN-Resolution einsetzen. Wenn dies allerdings scheitert, wird er auch allein mit Bush in den Krieg ziehen. Daran zweifelt in London niemand.

Sein politisches Überleben würde dann vom Kriegsverlauf abhängen. Ein schneller Sturz Saddams, eine jubelnde Menge in den Straßen Bagdads - das würde die öffentliche Meinung in Großbritannien wohl umschwenken lassen. Zieht sich der Krieg aber hin, gibt es viele zivile Opfer - dann ist Blairs Schicksal nach Einschätzung eines Großteils der britischen Presse besiegelt.

Premierminister ohne Kriegsglück müssen abtreten. Dafür gibt es in der britischen Geschichte genug Beispiele: Herbert Asquith war 1914 ein überaus populärer Regierungschef; zwei Jahre später wurde er nach deutschen Erfolgen im Ersten Weltkrieg zum Rücktritt gezwungen. Neville Chamberlain nahm 1940 seinen Hut, nachdem die Deutschen Norwegen erobert hatten. Selbst Winston Churchill befürchtete 1942 seinen Sturz, als britische Erfolge ausblieben. 1957 ging Anthony Eden, nachdem die Briten ihren Krieg gegen Ägypten zur Eroberung des Sues-Kanals hatten abbrechen müssen. Gerade dieses Beispiel wird jetzt immer wieder angeführt. Doch für Blair ist es längst zu spät, sich noch umzuorientieren. Er hat sich vor Monaten eindeutig festgelegt. Jetzt kann er nicht mehr zurück. Und er will es auch nicht.