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Mehr Farbe braucht das Land

Der Leipziger Künstler Michael Fischer-Art über fehlende Werte, das Geschäft mit der Kunst und eine Mission in Dorfhain.

Von Ines Mallek-Klein
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Michael Fischer-Art hat in Dorfhain graue Wände bunt gemacht.
Michael Fischer-Art hat in Dorfhain graue Wände bunt gemacht. © Thomas Kretschel

Da steht der Künstler, schwarze Jeans, schwarzer Pullover und schwarzer Schal. Es ist vielleicht das einzige Klischee, das er erfüllt. Michael Fischer-Art schaut mit bangem Blick in den grauen Dorfhainer Himmel. Regenwolken ziehen auf, gerade jetzt, wo die Acrylfarbe möglichst schnell trocknen soll. Und dann fehlen auch noch die Planen, die das frische Kunstwerk vor der Nässe schützen würden.

Für viele Künstler wäre das ein Grund, zu packen und abzureisen. Michael Fischer-Art, der Leipziger, der mit seinen comic-haft gezeichneten Figuren bekannt wurde, bleibt. Er greift nach der großen Kiste mit den Farbflaschen, nach den Pinseln und dem Edding. Er schleppt alles in den Innenhof des Gebäudekomplexes, in dem bis 1989 rund 2 400 Menschen beschäftigt waren. Hier, wo nach 1946 im volkseigenen Betrieb Elrado Elektro- und Radiozubehör hergestellt wurde, gestaltet der Künstler die Fassade des zukünftigen Besucherzentrums „Geopark Sachsens Mitte“.

250 Liter Acrylfarbe hat Michael Fischer-Art mitgebracht, sie soll für 400 Quadratmeter Fläche reichen. Eine Mammutaufgabe, der sich der Künstler nicht alleine stellt. Er lässt, auch da bricht er mit Regeln, andere mitmalen. „Das Gemeinschaftsprojekt ist das Besondere“, sagt der 49-Jährige und klettert auf das Gerüst. Dort oben, unter dem Plakat „Miteinander“, soll eine neue Figur entstehen. Sie erinnert mit ihren großen Händen und dem überdimensionierten Kopf an ein Mitglied aus der Simpson-Familie. „Oder an die Götter der Mayas“, ruft Fischer-Art vom Gerüst runter.

Es gibt einen Entwurf für die Fassadengestaltung. „Aber nur zur Beruhigung des Bauherren“, sagt der Künstler und lacht. Er hat schon unzählige Fassaden bemalt, Häuserwände in Berlin, Leipzig, Stuttgart, Chemnitz oder Sebnitz werden von seinen Figuren geschmückt. Die Provokation versteckt sich oft hinter einer plakativen Farbigkeit. Kaum ein anderer Künstler der Gegenwart hat so viel Fläche bemalt wie Michael Fischer-Art. Er selbst schätzt sie auf mittlerweile rund 25 Quadratkilometer. Und er wird nicht aufhören.

Bunt und viel - gerade wegen des Markenkerns seiner Kunst ist Michael Fischer-Art umstritten. Der Künstler will es aber, wie hier in Dorfhain, genau so.
Bunt und viel - gerade wegen des Markenkerns seiner Kunst ist Michael Fischer-Art umstritten. Der Künstler will es aber, wie hier in Dorfhain, genau so. © Thomas Kretschel

Schließlich hat er sich schon als Kind gewünscht, mit einem Feuerwehrauto herumzufahren, den Tank voller Farbe, um die Welt bunt zu machen. Sie kann das vertragen, gerade in diesen Tagen, sagt der Vater von drei Kindern. Er wünsche sich von den Künstlern mehr politische Haltung, klarere Statements. Dass man sich damit aber auch schnell auf ein Minenfeld begibt, hat Fischer-Art erfahren. Er ist in der Kunstszene alles andere als unumstritten. Das mag an seiner überbordenden Produktivität liegen, die nach Meinung der Kritiker der Kunst das Elitäre raubt. Sein Ex-Lehrer Günther Thiele bezeichnete die Gestalten einst als „dumme jämmerliche Fratzen“.

Fischer-Art hört die Worte, liest die Beiträge und zerreißt sie auch schon einmal öffentlich. Er, der sein Abitur auf dem zweiten Bildungsweg gemacht hat und zunächst eine Lehre als Maurer absolvierte, weiß, was er will – und dass Widerstände zum Leben gehören. Gelernt hat er das auch in seiner Zeit als Pfleger in der Psychiatrie. Das härtet ab – für eine Welt voller Widersprüche. Die erlebt Fischer-Art bei seiner eigenen Kunst. Während manche Kritiker die bunten Figurenreigen als „Kindergartenzeichnung“ abtun, verkauft der Künstler seine Werke in alle Welt. Auf einer Karte in seinem Atelier, das seit Jahresbeginn in der ehemaligen Brikettfabrik Witznitz bei Leipzig untergebracht ist, verraten kleine Stecknadeln, wo die Kunst von Fischer-Art zu finden ist.

Weit über 120 Punkte gibt es dort. Erfolg hatte er schon als Student. In seiner Lunge hatten sich kleine Knötchen gebildet, eine Autoimmunerkrankung, die den Künstler ins Bett zwang. Er schrieb Bewerbungen für zahlreiche Kunstwettbewerbe – und gewann. „Meine Kommilitonen haben Bafög beantragt, ich eine Steuernummer“, erinnert er sich.

Fischer-Art hatte und hat eine Mission. Er will auch die neue Zeit bunter machen. Deshalb hat er sich auch gefreut über die Einladung aus Dorfhain. Hier, wo Gesteine aus nahezu jedem Erdzeitalter wie in einem Bilderbuch versammelt sind, wird über Werte diskutiert.

Unternehmer Jens Jähnig, zugleich Stiftungsvorstand von Georado, kennt Fischer-Art seit vielen Jahren. „Ich musste ihn nicht lange bitten“, sagt Jähnig. Er hat sich das Wort Einheit an der Fassade gewünscht. Fischer-Art entscheidet sich für Freiheit. Am Ende sehen die Wände eben immer ganz anders aus als geplant. „Dafür sind sie authentisch, entstanden aus dem Zusammenwirken von Menschen, Ort und Zeit“, sagt Michael Fischer-Art und greift in eine große Tüte mit Nüssen. Kunst ist energieraubend, vor allem dann, wenn man zum Malen auf dem Gerüst herumklettert, um die drei Etagen zu überwinden. Mehr als eine Woche hat Michael Fischer-Art gebraucht, um das Gemälde in Dorfhain mit all seinen Helfern fertigzustellen. Er war dabei bis zu 18 Kilometer pro Tag auf dem Gerüst unterwegs.

Die Fassade, auf die Michael Fischer-Art in Dorfhain malt, die wurde aufwendig vorbereitet. „Ein Musterbeispiel für eine Sanierung“, sagt der Künstler. Er hat selbst mitgemacht und die Putzkelle über die Hauswand gezogen. Die Kunst ist nicht für die Ewigkeit, aber für die nächsten drei bis vier Jahrzehnte. Eine Versiegelung verhindert das Ausbleichen. Nur die kräftigen Farbtöne werden im Laufe der Jahre etwas von ihrer Strahlkraft verlieren.

Die Botschaften aber, die bleiben.

Erschienen in Ausgabe 04/2018 „Wirtschaft in Sachsen“