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Mehr Frauen schlagen Männer

Wenn Männer Opfer werden, ist ihnen das besonders peinlich. Doch das kommt öfter vor.

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© Anne Hübschmann

Von Birgit Ulbricht

Radebeul. Berichte von Gleichstellungsbeauftragten haben oft nicht den Aufmerksamkeitswert wie andere Themen. Doch da schauten schon einige Herren unter den Großenhainer Stadträten etwas betreten drein. Im Landkreis Meißen steigt die häusliche Gewalt – auch gegen Männer. Immerhin 31 Prozent – bisher 25 Prozent – aller angezeigten Delikte, betreffen diesen Themenkreis. Das sagte die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Großenhain, Marion Ortel, in ihrem aktuellen Lagebericht.

Die Daten kommen von Sylvia Wolf, die solche Zahlen für den gesamten Landkreis erhebt. Gewalt gegen Männer – das ist nicht neu, aber fällt immer noch irgendwie aus dem Bild. Auch Großenhains Stadträte konnten sich das wohl nicht so recht vorstellen. Klischees von Stärke und Schwäche sind fester Teil unseres Lebens. Doch Gewalt gegen Männer gibt es. Vom klassischen Fall, wo ein Mann mit dem Kochtopf verprügelt wurde, bis hin zu psychischer Gewalt. „Die Dunkelziffer ist hier wohl viel höher, weil sich Männer weniger trauen, zuzugeben, dass sie Opfer sind“, sagt die Gleichstellungsbeauftragte des Landkreises Sylvia Wolf.

Auch wenn die Gewalt gegen Frauen deutlich überwiegt, Männer werden auch geschlagen. Deshalb wird sich das „Netzwerk gegen häusliche Gewalt“, das sich aus Vertretern von Ämtern, Vereinen und Polizei zusammengefunden hat, auch am ersten Männerschutzhaus in Sachsen beteiligen, das in Leipzig aufgebaut wird. Auch in dieser Konstellation gilt, wenn die Polizei kommt: Wer schlägt, geht – und muss laut sächsischem Gewaltschutzgesetz in schweren Fällen für zehn Tage die Wohnung verlassen. In Großenhain hatte es die Polizei bisher stets mit der alten Rollenverteilung „Mann schlägt Frau“ zu tun. 23 Fälle häuslicher Gewalt wurden im Jahr 2015 gemeldet – die Dunkelziffer liegt nach Erfahrungen von Sylvia Wolf auch da wesentlich höher. Denn nur wenige solcher Delikte werden in der Familie tatsächlich angezeigt. „Ich beobachte, dass die Menschen insgesamt aggressiver geworden sind“, sagt Sylvia Wolf. Erstmals liegen auch Zahlen zur Belegung des Frauenhauses im Landkreis vor. Dass das Haus fast immer zu hundert Prozent belegt ist, ist der eine traurige Fakt. Auch Frauen mit Kindern sind hier. Der zweite Fakt ist jedoch, im Frauenschutzhaus leben zurzeit 54 Prozent ausländische und 46  Prozent deutsche Frauen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ein erschreckender Wert, so Sylvia Wolf. Da geht es auch um Fälle von Zwangsverheiratung, auch Minderjähriger. „Wenn die jungen Frauen vor mir sitzen, denke ich manchmal, Mädchen, was hast du schon durchgemacht“, erzählt Sylvia Wolf traurig. Diese Mädchen und jungen Frauen würden ohnehin schon vieles durch ihre Erziehung selbstverständlich hinnehmen, was hier undenkbar sei, so die Gleichstellungsbeauftragte. Das lässt erahnen, wie groß der Leidensdruck sein muss, um dann ein Frauenschutzhaus aufzusuchen. Doch es ist nicht nur das, was Sylvia Wolf nachdenklich macht oder erschreckt.

Insgesamt habe sich so viel geändert. Gleichstellungsbeauftragte befassen sich heutzutage nicht nur mit neuer unmittelbarer Gewalt, sondern auch mit alten Rollenbildern, die ab der Geburt eingeübt werden. „Pinkifizierung“ nennen Experten das, wenn Spielzeug, Kinderzimmer und Kleidung für Mädchen pink zu sein haben.

Es geht dabei weder um die Farbe Pink für Mädchen noch Blau für Jungs, sondern um die damit verbundenen Rollen, in die Mädchen wie Jungen von Kindesbeinen an genormt werden.

Die Industrie teilt die Menschen ein. Ein Selbstläufer mit erheblichen Folgen für die Gesellschaft, die daraus Werte ableitet und Verhalten definiert und damit das, was „normal“ ist, bestimmt. „Ich höre seit ein paar Jahren auch von klugen Männern offen, dass sie lieber keine studierte Frau wollen und von Abiturientinnen, dass sie nach der Schule eine gute Partie machen wollen“, beschreibt Sylvia Wolf, was sie beobachtet. Neu sei auch, dass sich Frauenbeauftragte darüber Gedanken machen müssen, was jungen Mädchen und Frauen überhaupt beschäftigt. Die erreiche man zunehmend weniger. „Dabei ist gerade so viel im Umbruch“, ist Sylvia Wolf überzeugt.