Merken

Mehr politisch motivierte Straftaten

Aggressive Parolen, Hakenkreuze und Gewalt – in der Asyldebatte sinken die Hemmschwellen.

Teilen
Folgen
© Robert Michael

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Bautzen, der letzte Sonnabend im Januar: In der Innenstadt haben sich Asylgegner versammelt. Die Redner hetzen offen gegen die Flüchtlingspolitik, warnen vor Überfremdung, bezeichnen Politiker als Pack. Kurze Zeit später, nur wenige Meter entfernt, bleibt es nicht mehr nur bei Worten. Männer umringen vor dem Kornmarkt-Center zwei junge Pakistaner, schlagen sie ins Gesicht. Daraufhin zieht am Abend eine Gruppe mit Flüchtlingen durch die Stadt, offenbar auf der Suche nach den Angreifern, bedroht am Reichenturm drei Jugendliche. Bereits am Nachmittag hatte die Polizei in Großröhrsdorf eine Attacke auf einen 17-jährigen Flüchtling registriert.

Ein weiterer Tag im Landkreis Bautzen, der Anlass zur Sorge gibt. Davor, dass sich Asylgegner weiter radikalisieren, dass es zu Racheaktionen kommt, und die Auseinandersetzungen zunehmend eskalieren.

Und es geht längst nicht mehr nur um Einzelfälle. Bereits Mitte Januar hatten drei schwarz gekleidete Männer am Husarenhof in Bautzen den Infostand des hiesigen Willkommensbündnisses umgeworfen und die Mitglieder der Initiative wüst beschimpft. Zur Sicherheit musste Polizei auffahren. Auch Hakenkreuz-Schmierereien, rechte Parolen und Hetze gegen Flüchtlinge gehören vielerorts zum Alltag.

Tatsächlich erfasst die Polizei für den Landkreis Bautzen immer mehr Straftaten mit politischem Hintergrund. Für 2013 sind in der Statistik 124 entsprechende Delikte vermerkt, ein Jahr später waren es bereits 180. Zwar gibt es noch keine genauen Zahlen für 2015 – doch die Beamten gehen von einer ansteigenden Tendenz aus. Eine Unterteilung, welche genaue politische Motivation hinter den Straftaten steckt, nimmt die Polizei allerdings nicht vor. Bei dem Großteil der Straftaten handelt es sich den Angaben zufolge um Sachbeschädigungen etwa durch Graffiti oder dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen – darunter fallen etwa das Hakenkreuz oder Parolen wie „Heil Hitler“ oder „Sieg Heil“. Die Polizeidirektion registrierte 2014 zusammengerechnet 113 derartige Straftaten.

Fast einhundert Asyl-Demos in 2015

Bautzen ist dabei klar unrühmlicher Spitzenreiter im Landkreis. Im Jahr 2014 wurden hier 58 Straftaten mit politischem Hintergrund erfasst, das sind sechsmal mehr als im gleichen Zeitraum in Radeberg oder Kamenz. Für Bischofswerda weist die Statistik der Polizei für das Jahr 2014 fünf Delikte aus, in Hoyerswerda waren es 38.

Inwieweit die steigende Tendenz bei den Straftaten auch in Zusammenhang mit den Demonstrationen und Kundgebungen steht, ist offen. Die Polizei wollte nach den Vorfällen vor dem Kornmarkt-Center in Bautzen zumindest nicht ausschließen, dass es sich bei den Männern, welche die Pakistaner angegriffen haben, um Teilnehmer der Demonstration handelte. Im vergangenen Jahr hatte die Polizei eigenen Angaben zufolge im Landkreis 108 Versammlungen und Aufzüge begleitet, 94 davon hatten demnach einen direkten Bezug zum Thema Asyl. Bei den über 100 Demonstrationen und Kundgebungen seien insgesamt 24 Straftaten und zehn Ordnungswidrigkeiten registriert worden. Keineswegs nur von Asylgegnern, sondern auch von Gegendemonstranten.

Dass es sich bei den Anti-Flüchtlings-Demos keineswegs nur um Veranstaltungen asylkritischer und besorgter Bürger, wie sie sich viele von den Teilnehmern gerne nennen, handelt, hat der sächsische Verfassungsschutz schon seit Längerem erkannt. Zuletzt hatte die Behörde im Dezember des vergangenen Jahres davor gewarnt, dass häufig Rechtsextreme hinter Anti-Asyl-Veranstaltungen stecken. Der Kreis Bautzen gilt dabei als Schwerpunkt in Sachsen. Der Verfassungsschutz nennt als handelnde Akteure explizit die Bautzener Stadträtin Daniela Stamm (Die Rechte) und den Radeberger Simon Richter. Letzterer saß bis 2014 im Radeberger Stadtrat, war über die Liste der NPD gewählt worden. Der Rechtsextremist ist nicht nur bei vielen Veranstaltungen in und um Radeberg dabei, auch bei der Kundgebung in Bautzen Ende Januar trat er auf dem Hauptmarkt als Redner auf.

Die Ermittlungen gehen weiter

Bautzens Oberbürgermeister Alexander Ahrens (parteilos) bezeichnete indes den Übergriff auf die Pakistaner als „vollkommen inakzeptabel“. Zugleich sei aber auch die Reaktion der Flüchtlinge falsch. „Es muss ein deutliches Signal geben, dass es bei uns keine Selbstjustiz geben kann“, sagt Alexander Ahrens. Dass sich Bautzen mit den vielen Anti-Asyl-Demos in den vergangenen Monaten zu einem Brennpunkt entwickelt, sieht er nicht. „Insgesamt halte ich die Lage momentan für nicht kritisch. Unterschiedliche Meinungen hält die Demokratie meines Erachtens aus – insbesondere, wenn man sachlich bleibt“, so der Bautzener OB, der allerdings zugleich deutlich macht, dass Feinden der Demokratie auch entgegengetreten werden muss. „Das steht übrigens völlig zu Recht auch im Grundgesetz“, erklärt Ahrens.

Die Ermittlungen zu den Vorfällen in der Bautzener Innenstadt dauern derweil an. Zum aktuellen Stand wollen sich die Beamten nicht äußern. „Details zu den Ermittlungsinhalten werden aus taktischen Gründen nicht weitergegeben“, sagt Polizeisprecher Tobias Sprunk. Die Ermittler bitten allerdings Zeugen, die etwas beobachtet, sich aber noch nicht bei der Polizei gemeldet haben, dies nachzuholen.