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Mehr Verfahren gegen Schulverweigerer

Leistungsdruck, Mobbing oder einfach nur keinen Bock: Mädchen und Jungen erscheinen nicht zum Unterricht. Das hat in ganz Sachsen zugenommen, zuletzt aber vor allem in einer Stadt. Die Gründe sind noch nicht klar.

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© Symbolfoto: Caroline Seidel/dpa

Dresden. Leistungsdruck, Mobbing oder einfach nur keinen Bock auf Schule: Die Zahl der Schulverweigerer in Sachsen ist deutlich gestiegen. Laut Kultusministerium wurden 2016 von den Landkreisen und kreisfreien Städten 6144 Ordnungswidrigkeitsverfahren gemeldet, die eingeleitet wurden, weil Schüler länger unentschuldigt gefehlt haben. Im Jahr davor waren es lediglich gut 4000 Verfahren. Die meisten Verletzungen der Schulpflicht gab es demnach an Oberschulen und Berufsschulen. Zahlen für 2017 konnte das Ministerium nicht nennen.

Wie hoch die Zahl der Schulschwänzer in Sachsen jedoch tatsächlich ist, weiß niemand. Denn es werden lediglich die schweren Fälle gemeldet, bei denen wegen Verletzung der Schulpflicht Verfahren eingeleitet wurden. Heißt: Der Schüler hat fünf Tage unentschuldigt gefehlt, Gespräche mit Erziehungsberechtigten haben nichts gebracht. In 4788 Fällen wurden 2016 Bußgelder verhängt.

Die Ursachen für die Zunahme der Fälle konnte das Ministerium nicht benennen. Diese könnten „vielfältig“ sein und psychische und familiäre Gründe haben, hieß es. Jeder Fall sei ein Einzelfall. Wissenschaftliche Studien zu den Ursachen der Schulverweigerung in Sachsen gebe es nicht.

Besonders oft schwänzen Schüler in Leipzig den Unterricht. Mit 2164 Ordnungswidrigkeitsverfahren liegt die Stadt mit weitem Abstand an der Spitze. 2015 waren es noch 1653 Verfahren. Auf den zweiten Platz landet der Landkreis Bautzen (503) gefolgt von Dresden (435). Im Erzgebirgskreis und dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gibt es die wenigsten Verfahren.

Der Vorsitzenden des Landeselternrates, Michael Becker, sieht auch im landesweiten Lehrermangel eine Ursache. „Wenn überlastete Lehrer mit ihrem Unterricht die Schüler nicht mehr begeistern können, macht denen das Lernen keine Freude.“ Denn es sei völlig absurd, wenn Mädchen und Jungen kostenlose Bildung verweigerten. „Zumal sie in den Schulen ja auch ihre Freunde haben.“

Laut Becker sind es aber nicht nur Schüler, die ihre Schulpflicht verletzen. Er sieht Versäumnisse auch beim Staat: „Wegen des hohen Lehrermangels erfüllt er seinen Bildungsauftrag nicht mehr in vollem Umfang“, sagte er. Teilweise könnten Schüler nicht einmal mehr betreut werden.

„Leistungsdruck und Angst, aber auch fehlende Zukunftsperspektiven sind Gründe“, sagt der Sprecher des Landesschülerrates, Leonard Kühlewind, zu den Schulverweigerern. Schulsozialarbeiter trügen erfahrungsgemäß zur Verbesserung des Schulklimas bei. Sie seien für den Umgang der Schüler mit dem steigenden Leistungsdruck und Mobbing unverzichtbar. Zudem werde der Einsatz von Streetworkern für Konflikte vor allem in Brennpunktschulen befürwortet.

Stefanie Teumer vom Schulprojekt „Lift“ der Volkssolidarität in Schwarzenberg im Erzgebirge, das mit Schulverweigerern arbeitet, beobachtet eine Zunahme. „Früher kamen die Anfragen nur von Schulen aus nur sozialen Brennpunkten wie etwa Plattenbaugebieten. Jetzt kommen sie flächendeckend von überall her.“ Es seien auch nicht nur Jungen und Mädchen aus sozial schwachen, bildungsfernen Familien betroffen. „Da sind auch welche aus eigentlich gut gestellten Haushalten dabei.“

Leistungsdruck, Probleme in der Familie, Mobbing in der Schule - es gebe viele Gründe. Vor allem mit praktischer Arbeit versucht der Verein die Jugendlichen wieder fürs Lernen zu begeistern. „Wenn sie selbst feststellen, wo ihnen Wissen fehlt, erkennen sie möglicherweise, dass Schule doch keine schlechte Idee ist“, meint Teumer.

Der Landesschülerrat verweist aber auch auf einen weiteren Aspekt: Eltern, die ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen. „Die Freilernen-Befürworter werden subjektiv immer mehr, sie stellen sich gegen die Schulpflicht und möchten ihre Kinder lieber zuhause unterrichten“, schildert Kühlewind. (dpa)