Leipzig
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"Mein Opa würde sich im Grab umdrehen"

Der Enkel des DDR-Fotografen Friedrich Gahlbeck ist geschockt. Ein Bild seines Großvaters prangt auf AfD-Plakaten in ganz Leipzig.

Von Daniel Krüger
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Versuchen, die Erinnerungen an die Montagsdemonstrationen der DDR für ihre politischen Zwecke zu nutzen: Alexander Gauland und die AfD.
Versuchen, die Erinnerungen an die Montagsdemonstrationen der DDR für ihre politischen Zwecke zu nutzen: Alexander Gauland und die AfD. © Robert Michael

Leipzig. Es ist nicht irgendeine beliebige Schwarz-Weiß-Aufnahme, sondern das Festhalten eines politischen und gesellschaftlichen Umbruchs, der Deutschland bis heute nachhaltig beeinflusst. Das Bild des jüngsten Meisterfotografen der DDR, Friedrich Gahlbeck, zeigt rund 120.000 Menschen, die im Oktober 1989 vor der Leipziger Nikolaikirche ihrem Unmut über das SED-Regime freien Lauf lassen. 

Gahlbeck, der bei der staatlich monopolisierten Agentur ADN tätig war, dokumentierte das Aufbegehren der Ostdeutschen bei den Montagsdemonstrationen von Anfang an fotografisch.

Bereits 1988 starteten evangelische Pfarrer gemeinsam mit oppositionellen Basisbewegungen sogenannte "Friedensgebete". Schnell entwickelten sich die Veranstaltungen zu Massenprotesten, immer friedlich, immer mit der Forderung nach demokratischen Strukturen. 

Die Aufnahmen zeigen wütende Gesichter, junge und alte Menschen, gleichzeitig entfaltete die Perspektive Gahlbecks auch geschichtsträchtige Symboliken, wie in der legendären Gegenüberstellung des Protestplakats "Die Demokratie in ihrem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf."

Auch Gahlbecks Enkel Martin Neuhof ist Fotograf, auch sein Fokus liegt auf den Menschen und ihrem soziokulturellen Umfeld, dem Agieren in und mit der Stadt Leipzig - rund 30 Jahre später. Eines seiner Projekte, so steht es auf der Homepage des 1984 in der Messestadt geborenen Neuhof, porträtiert 101 Leipziger, zeigt ihr Wirken als "Helden des Alltags". 

Nun wird die Öffentlichkeit erneut mit der Aufnahme seines Großvaters konfrontiert, die gerade deshalb so besonders ist, weil allein ihre Existenz symbolisch für das Aufweichen der Machtverhältnisse im sozialistischen Teil Deutschlands steht. Auch dieses Mal soll das Foto einen Systemwechsel ankündigen - zumindest, wenn es nach dem AfD-Landesverband Sachsen geht.

Die Partei hat in ganz Leipzig Wahlplakate mit Gahlbecks Aufnahme aufhängen lassen. Darauf zu lesen: "Kommunalwahl 2019. Wende für Leipzig." Die Motivauswahl passe aus Sicht der Partei sehr gut, ließ ein AfD-Sprecher am Dienstag gegenüber der Deutschen Presseagentur verlauten.

Ein Schock für Martin Neuhof. Er wendet sich verzweifelt an die Online-Community, bittet um Mithilfe. "Es macht mich echt traurig, dass ein Bild meines Opas für solche Zwecke entfremdet wird", schreibt der 34-Jährige auf seinem Twitter-Account.

Sein Opa würde sich dreimal im Grabe umdrehen, wenn er von dieser Nutzung erfahren würde, ist er überzeugt, und fragt: "Wo habt ihr überall dieses Plakat in Leipzig gesehen? Ich Ich erstelle gerade eine Liste mit diversen Standorten, um mir einen Überblick zu verschaffen."

Doch rein rechtlich sind dem Fotografen wohl die Hände gebunden, denn auch wenn Neuhofs Mutter ebenfalls glaubt, dass ihr Vater "ärgerlich und wütend" über die Nutzung durch die AfD wäre: Die Familie hält, so schreibt Neuhof weiter, nicht die Rechte am Bild.

Das Bundesarchiv hatte die Aufnahme mithilfe einer sogenannten Creative-Commons-Lizenz versehen, die als einzige Bedingung für die Verwendung die Nennung des Autors, in dem Fahl Gahlbeck, voraussetzt.

Das bestätigte der Leiter des Bildarchivs, Oliver Sander gegenüber der dpa. Demzufolge gebe es keine juristischen Bedenken gegen die Verwendung des Fotos auf dem Wahlplakat.

Allerdings, so Neuhof, habe die AfD den Autorenhinweis wohl online mehrmals vergessen und auch auf den Wahlplakaten erst nachträglich aufkleben lassen. Die Partei betonte auf dpa-Nachfrage, es handle sich um eine rechtlich einwandfreie Verwendung.