Die Löwenmama aus Pahrenz

Hirschstein. Mit der knapp dreijährigen Valentina auf dem Arm empfängt die blonde, attraktive Frau den Besuch auf dem Grundstück in Pahrenz in der Gemeinde Hirschstein. Hier ist die gebürtige Zittauerin seit fünf Jahren angekommen. Wer sich mit ihr unterhält, kommt nicht auf die Idee, dass sie noch vor wenigen Jahren eine schwere Lebenskrise durchlebte, eine Zeit voller Selbstzweifel.
Dabei hatte sie doch alles, was man sich wünschen kann: einen Mann, drei Söhne, ein Haus, einen tollen Job. "Doch vor acht Jahren erreichte ich meinen schlimmsten Tiefpunkt überhaupt. Ich war schwer depressiv, hatte Bulimie und war kurz davor, mir das Leben zu nehmen", sagt sie.
Sie kommt aus dem Urlaub zurück, ist kein bisschen erholt. Sie stört die Fliege an der Wand. Sogar die kleinen Glasglöckchen einer Weihnachtspyramide nerven sie unendlich. "Die Ursachen liegen wohl in meiner Kindheit. Ich habe Dinge erlebt, die mich geprägt haben, hatte immer hohe Ansprüche an mich, wollte perfekt sein als Ehefrau, Hausfrau, Mutter, im Beruf", sagt die heute 46-Jährige. Doch das alles überfordert sie.
Eines Tages sagt die gelernte Informatikerin, die im Marketing in Bautzen arbeitete, zu ihrem Chef einen verstörenden Satz. "Ich habe alles verkackt". Der ist entsetzt, rät ihr, dringend professionelle Hilfe zu suchen.
Das macht sie, weist sich selbst in die Psychiatrie ein, wird dort sechs Wochen lang stationär behandelt. Geheilt ist sie da noch nicht. Eineinhalb Jahre ist sie arbeitsunfähig. Die Beziehung hält die Belastungen nicht aus. Es gibt ständig Streit mit ihrem Mann, bis sich die beiden trennen.
Erst nach jahrelangem Kampf gegen sich selbst kann sie sich aus der Depression befreien. "Ich hatte Unterstützung durch Psychologen, mit deren Hilfe, aber vor allem durch meinen eigenen Lebenswillen mein Leben eine neue Richtung bekam", sagt sie. Inzwischen ist sie geheilt, nimmt auch keine Medikamente mehr.
Schock nach der Untersuchung
Und lernt einen neuen Partner kennen, ihren Traummann, wie sie sagt. "Kennengelernt haben wir uns über Parship. Dabei war ich gar nicht ernsthaft auf der Suche nach einem neuen Partner, sondern wollte testen, inwiefern ich noch attraktiv für Männer bin", gibt sie zu. Mario Kirchner heißt er, ist so alt wie sie und wohnt in Pahrenz. Sie zieht zu ihm, einige Zeit später wird sie schwanger. "Es war nicht geplant, ist einfach passiert, ich war ja schon über 40", sagt sie. Es wird ein Mädchen, beide freuen sich riesig auf das Kind.
Doch dann der Schock nach einer Untersuchung in der 16. Schwangerschaftswoche bei ihrer Frauenärztin. "Ich sage Ihnen jetzt mal, was mir an Ihrem Kind nicht gefällt", beginnt diese ihren Vortrag. Dass das ungeborene Kind einen Herzfehler hat, gefällt ihr nicht und Trisomie 21, besser bekannt als Down-Syndrom.
Anstatt der üblichen 23 Chromosomenpaare in allen menschlichen Zellen weisen die Zellen der Menschen mit Down-Syndrom ein zusätzliches Chromosom auf. Das Chromosom 21 ist bei ihnen dreifach vorhanden, deswegen spricht man auch von einer „Trisomie 21“. Das überzählige genetische Material beeinflusst die körperliche und geistige Entwicklung. Die Betroffenen haben in der Regel typische körperliche Merkmale und sind meist in ihren Denkfähigkeiten beeinträchtigt. Die Krankheit hat unterschiedlich schwere Ausprägungen, ist nicht heilbar.
Sylvia Grunewald-Kirchner droht wieder, in die Depression zurückzufallen. "Als ich das erfuhr, ist in mir alles zusammengebrochen. Ich habe gedacht, warum immer ich?", sagt sie. Ein Satz ihrer Ärztin aber schockiert sie besonders: "Machen Sie das Kind weg und werden Sie schnell wieder schwanger". Sie habe nur noch Ohnmacht, Schmerz und Hilflosigkeit gefühlt, sagt sie.
Nicht angemaßt, Gott zu spielen
Doch sie und ihr Mann sind sich einig: "Wir maßten uns nicht an, Gott zu spielen, haben dem Kind selbst überlassen, ob es zur Welt kommt", sagt sie. Valentina kommt zur Welt. Wird nach drei Wochen am Herzen operiert, später noch einmal. Der Herzfehler ist nun behoben, die Trisomie 21 aber bleibt.
"Ich habe ein Stück gebraucht, doch dann erweckte ich in mir die Lebensgeister, die Löwenmama. Ich unternahm alles, was ich nur konnte, um dem kleinen Lebewesen den bestmöglichen Start in das Leben zu geben und die beste Mama zu sein, die ich nur sein kann", so die Mutter.
Valentina geht in eine integrative Kindereinrichtung in Prausitz, kommt dort gut zurecht. Doch Sylvia Grunewald-Kirchner weiß, dass das Mädchen kein selbstständiges Leben führen kann, immer auf Betreuung angewiesen sein wird. Außer "Mama" und "Papa" spricht die Kleine kein Wort.
Ihre Lebensgeschichte, ihre Erfahrungen haben aber noch andere Auswirkungen. "Ich habe mir es zur Aufgabe gemacht, Mütter jeden Alters und auch Mamas besonderer Kinder in allen Lebenslagen zu unterstützen, denn ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn man nicht mehr kann", so die 46-Jährige.
So helfe sie Müttern, in ihre Kraft zu kommen, das Leben in Leichtigkeit zu leben, inneren Frieden zu finden und sich von allen negativen Gedanken, Schuldgefühlen, Stress, Müdigkeit, Überforderung zu befreien. Dazu hat sie eine Ausbildung als Impuls Coach gemacht, arbeitet derzeit noch nebenberuflich. Ab Oktober will sie dies hauptamtlich machen. "Mein Wissen, meine Erfahrung und die in meiner Ausbildung erlernten Coaching-Techniken vereinen alles Notwendige, um Mamas helfen zu können", ist sie überzeugt.
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Als Coach für Frauen und Expertin für Stressmanagement will sie Frauen helfen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, ohne sich dabei gestresst und als schlechte Mutter zu fühlen. Das Coaching dauert in der Regel ein Jahr, auch sechs Monate sind möglich.
Doch warum nur Frauen, kommen nicht auch Männer in ähnliche Situationen, leiden unter Depressionen, haben Minderwertigkeitskomplexe? "Ja, sicherlich, doch ich kann mich als Frau besser in Frauen hineinversetzen", sagt sie.
Doch Männer schließe sie nicht grundsätzlich aus. So coache sie derzeit auch einen jungen Mann. "Dabei suche ich mir aber Herz-Typen aus, mit Ego-Typen arbeite ich nicht. Die lassen sich ohnehin nichts sagen", so die Wahl-Pahrenzerin. Das Coaching findet ausschließlich online statt. Die Krankenkassen bezahlen diese Leistung nicht.
Ab Herbst im Team
Auf die Idee mit dem Stress-Coaching sei sie während Corona gekommen, das sie übrigens selbst hatte, obwohl sie dreifach geimpft ist. "Ich habe doch selbst erlebt, dass die Menschen sehr gelitten haben, weil die sozialen Kontakte eingeschränkt waren. Die Menschen und vor allem die Kinder brauchten Hilfe und bekamen sie nicht", sagt sie.
Die meisten Frauen, die sich an sie wendeten, seien zwischen 35 und 50 Jahre alt. "Das ist die Zeit, in der die Jugend endgültig vorbei ist, sich viele fragen, was sie erreicht haben und was nicht, was sie noch erreichen wollen. Manche Frauen fallen in ein tiefes Loch, wenn die Kinder das Haus verlassen", sagt sie. Auch da hat sie ja Erfahrung mit ihren drei Söhnen, die 15, 22 und 26 Jahre alt sind und nicht mit in Pahrenz leben.
Sylvia Grunewald-Kirchner hat große Pläne. Schon ab Herbst will sie die Arbeit nicht alleine machen, sondern ist dabei, ein ganzes Team aufzubauen. "Ich bin total glücklich und zufrieden mit meinem Leben und mit dem, was ich jetzt mache", sagt sie und schaut ihre Tochter an. Sie lächelt zurück.
Kontakt: Telefon 0178 7319219, E-Mail: [email protected]