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Erschöpfung viel mehr als nur Psyche

Die Fälle anhaltender Erschöpfung steigen auch als Langzeitfolge einer Covid-19-Erkrankung unaufhaltsam. Symptome sollten frühzeitig ernstgenommen werden.

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Sich müde, energie- und motivationslos zu fühlen ist keine Schande. Man sollte die Zeichen seines Körpers jedoch rechtzeitig als Warnung ernst nehmen.
Sich müde, energie- und motivationslos zu fühlen ist keine Schande. Man sollte die Zeichen seines Körpers jedoch rechtzeitig als Warnung ernst nehmen. © pexels.com

Das morgendliche Weckerklingeln läutet eine tägliche Qual ein. Eine Qual, sich für den Tag zu motivieren, da der Körper zunehmend streikt. Tätigkeiten, die früher problemlos im Alltag bewältigt wurden, sind auf einmal nicht mehr ohne Einschränkungen möglich. Was von einigen Menschen als schlechte Phase abgetan wird, hat sich bei anderen allmählich zu einer schweren Krankheit entwickelt. Verschiedene Formen chronischer Erschöpfung erlangen speziell im Corona-Jahr zunehmend Aufmerksamkeit.

Die Meißner Diätassistentin Peggy Dathe warnt davor, solche anfänglichen Hilferufe des Körpers nicht ernst zu nehmen. "Viele erkennen diese Symptome nicht als ernstzunehmendes Alarmzeichen des Körpers an oder haben Angst, sich aufgrund vermeintlich psychischer Probleme ärztliche Hilfe zu holen. Dabei spielen neben der Psyche nicht selten auch andere Gegebenheiten im Körper eine große Rolle, die solche Symptome hervorrufen und enorm verschlimmern können.", erklärt Peggy Dathe im Interview.

Welche Ausmaße kann eine chronische Erschöpfung nehmen?

"Umgangssprachlich wird der mit Erschöpfung verknüpfte Begriff des Burnouts seit ca. 10 Jahren recht inflationär verwendet. Leider werden die Beschwerden der Betroffenen oft nur einseitig betrachtet und nicht immer in ihrem ganzen Ausmaß erfasst. Der ICD-10-Code der WHO dient der Klassifikation und Einordnung von Krankheiten in zusammengehörige Diagnosegebiete. In dieser Klassifikation findet man das Burn-out-Syndrom unter „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Als häufig alleinige Maßnahme resultiert zu oft nur die Überweisung zur Psychotherapie. Erschöpfung begleitet als Symptom jedoch noch viele weitere, schwerwiegende Krankheitsbilder, wie beispielsweise das chronische Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrom (im Weiteren CFS genannt)).

CFS zählt zu den „Krankheiten des Nervensystems“ und nicht zu den psychischen Erkrankungen. Da es häufig nach Virusinfekten auftritt, wird es auch als postvirales Müdigkeitssyndrom bezeichnet. Das CFS zeichnet sich zusätzlich besonders durch Muskelschmerzen (= Myalgien) aus, weshalb eine weitere Bezeichnung „Benigne myalgische Enzephalomyelitis“ (ME) lautet (= gutartige Gehirn- und Rückenmarksentzündung mit Muskelschmerzen). Inzwischen findet sich oft auch die Bezeichnung CFS/ME. Schwere Verläufe der Krankheit reichen so weit, dass manche Patienten berufsunfähig werden, ans Bett gefesselt sind oder sogar versterben.

Neuere Untersuchungen legen den Verdacht nahe, dass es verschiedene Schweregrade der Erkrankung gibt. Manche Patienten tragen die Last des CFS möglicherweise jahrelang in geringerem Ausmaß mit sich: Der Kopf ist schwer und heiß, Hals und Muskeln schmerzen, jede kleinste Anstrengung führt zu Schweißausbrüchen und Erschöpfung. Nicht selten wird bei solchen Beschwerden die Diagnose „Nasennebenhöhlenentzündung“ gestellt. Empfohlene und gut gemeinte Bewegung verschlimmert dabei jedoch die Situation. Auch bei der deutschen Gesellschaft für ME/CFS heißt es folglich: "Die Verschlechterung der Symptome tritt nach körperlicher oder geistiger Anstrengung auf und führt u. a. zum Verlust der körperlichen, muskulären und mentalen Kraft, grippalen Symptomen und Schmerzen. Ursächlich hierfür ist eine Belastungsintoleranz. Belastungsintoleranz bedeutet das pathologische Unvermögen bei Bedarf Energie herzustellen und die Muskeln zu versorgen.

Nicht übersehen darf man an dieser Stelle jene Menschen, die sich zwar schwer krank fühlen, aber dennoch „arbeitsfähig“ sind. Sie leiden sehr oft an ihren unerklärlichen Beschwerden: Schon bei kleinsten Aktivitäten sind sie erschöpft, fühlen sich schwer krank, doch die Ärzte „finden Nichts“.", so Peggy Dathe.

Wie wird eine Diagnose gestellt?

„Die richtige Diagnose zu stellen, ob es „nur“ eine Schwierigkeit bei der Lebensbewältigung ist oder eben eine Krankheit des Nervensystems, ist nicht eindeutig. Die Krankheitsmodelle sind einseitig organisch ausgerichtet mit Schwerpunkt auf immunologische und virologische Einzelbefunde (CFS) oder ausschließlich psychologisch mit Bezug zum Burnout.

Meine Erfahrung zeigt mir jedoch, dass die Übergänge hier fließend sind. Ich kenne aus meiner beruflichen Praxis zahlreiche Menschen, die stark mit äußerst belastenden CFS-artigen Phasen zu kämpfen haben. Noch zu oft aber werden Betroffene mit dem Stempel „vermeintlich psychische Ursache“ nach Hause geschickt. Daraus kann man aber keinem kassenärztlich tätigen Mediziner einen Vorwurf machen. Dies ist viel mehr den Bedingungen unseres Gesundheitssystems geschuldet.

Das A und O, das einer guten Diagnostik vorausgeht, ist ein ausführliches Anamnesegespräch. Ein Gespräch, welches mindestens eine Stunde umfassen sollte. Darauf beruhend erfolgt die Empfehlung verschiedenster Untersuchungen. Die chronische Erschöpfung ist z. B. durchaus im Blut oder im Speichel messbar.", erklärt die Diätassistentin.

Kann Stress langfristig zur chronischen Erschöpfung führen?

"Die Erkrankung des CFS ist weiterhin in großen Teilen ein Rätsel. Sie zeigt sehr deutlich, wie eng Körper und Psyche miteinander verbunden sind. Patienteninitiativen beschreiben CFS als rein körperliche Erkrankung, da sich im Blutplasma eindeutige Hinweise zeigen. Doch auch das Blutplasma ist nicht unabhängig von den übrigen Vorgängen des Körpers, da unter anderem die Hormone, das Immunsystem und die Muskulatur beteiligt sind.

Stress schwächt unser Immunsystem. Auch „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ [vgl. ICD-10-Code] werden als Stress empfunden. Der Darm ist die primäre Schaltzentrale unseres Immunsystems. Die Folge eines geschwächten Immunsystems ist dann eine erhöhte Durchlässigkeit vom Darm ins Körperinnere für unerwünschte Dinge wie Viren, Allergene, krankmachende Keime usw. Dass Viren die Muskulatur angreifen können, wissen wir von grippalen Infekten: Manchmal kann man sich kaum bewegen, weil jeder Muskel schmerzt. Unser Immunsystem versucht diese Eindringlinge dann natürlich mittels einer Entzündung abzuwehren. In kurzer, akuter Form ist das kein Problem. Problematisch wird es, wenn es sich zur chronischen und stillen Entzündung entwickelt. Diese breitet sich in jeder einzelnen Zelle aus und schwächt dort unsere Zellkraftwerke – die Mitochondrien, welche für die Energieproduktion in unserem Körper zuständig sind.

Die Rechnung kann so aussehen:

Stress = geschwächtes Immunsystem = leichteres Eindringen von unerwünschten Stoffen = akute mit Übergang zu chronischer Entzündung = verminderte Energieproduktion = Erschöpfung.

Es entsteht ein geschlossener Kreislauf aus Psyche, Nerven und Immunsystem."