Meißen. Es ist Freitagmorgen, kurz nach 9 Uhr. Die Sonne brennt auf den Meißner Markt, den gerade ein Mann überquert, Mitte vierzig, im schwarzen Shirt mit Rucksack auf dem Rücken und einem gelben Schild in der Hand. "Grundrechte gelten für alle, auch für Kinder, gelten überall auch in der Grundschule!", steht auf den laminierten Seiten.
Passanten bleiben stehen, etwas ratlos, und entziffern die Zeilen. Mit manchen kommt Thomas M. ins Gespräch. Er stehe hier, weil seinen Kindern Unrecht widerfahren sei, und das mit staatlicher Duldung. Dagegen gelte es, sich zu wehren und zu dieser freien Meinungsäußerung habe jeder Bürger das in Artikel 5 verankerte grundgesetzliche Recht.
Doch wie weit trägt dieses Recht, deckt es auch die persönliche Verunglimpfung einer Schulleiterin, die Verleumdung und Verbreitung von Falschaussagen? Damit werden sich am Ende Gerichte beschäftigen müssen.
Die Causa Feuerzeug
Doch von vorn. Familie M. lebte zuletzt in Grünheide bei Berlin, unweit des Teslawerkes. Sie zog mit ihren drei Kindern voriges Jahr nach Sachsen, "wegen des guten Schulsystems", wie Thomas M. erklärt. Man lebte zunächst in Radebeul, entschied sich aber Anfang 2024 zu einem Umzug nach Meißen, weil hier Mieten und Immobilienpreise günstiger seien. Zwei der drei Kinder wurden in der Johannesschule angemeldet und besuchten dort nach den Winterferien die zweite bzw. vierte Klasse. Die Schulleiterin Silke Huge erinnert sich an zwei nette wissbegierige Schüler.
Doch dann kam der 6. März 2024. In der Jungentoilette im Erdgeschoss entdeckte der Hausmeister einen Schwelbrand im Papierkorb, der schnell unter Kontrolle gebracht war. Anschließend fanden sich noch angekohlte Papierreste auf dem Hof.
Fast zeitgleich nahm ein Lehrer dem Sohn von Thomas M. ein Feuerzeug weg, mit dem er vor seinen Klassenkameraden der 4c geprahlt hatte. Ob das laut Schulordnung verbotene Feuerzeug mit der Kokelei im Zusammenhang steht, sollte am nächsten Tag geklärt werden.
Die Schulleiterin plante eine Befragung des Viertklässlers und teilte das auch der erzürnten Mutter mit, die sich am Nachmittag am Telefon beschwerte, weil ihrem Sohn das Feuerzeug weggenommen worden war. "Es lag zur Abholung durch die Eltern im Sekretariat bereit", so die Schulleiterin. Später rief Thomas M. an, er verbot der Direktorin, mit seinem Sohn zu sprechen und schrie in den Apparat, dass an der Johannesschule Zustände wie bei der Stasi herrschen würden.
"Zeit, gegen Unrecht vorzugehen, habe ich genug"
In der Folge beschwerte er sich beim Landesamt für Schule und Bildung, beim Kultusminister und selbst in der Staatskanzlei über die Schulleiterin, unterstellte Kindeswohlgefährdung und im Zusammenhang mit der Befragung psychische Gewalt gegenüber den Kindern. Silke Huge ist seit 1992 Schuldirektorin. Sie habe schon vieles erlebt, aber so etwas noch nicht, sagt sie. Das mache etwas mit einem, umso wichtiger war es, dass sowohl die Schulbehörde als auch das Ministerium der Schulleiterin den Rücken stärken und keine Verstöße sehen. Der Minister Christian Piwarz griff sogar persönlich zum Hörer und suchte das Gespräch mit der Pädagogin.
Doch Thomas M. fühlt sich weiter im Recht. Er und seine Frau haben sich Mitte Mai entschlossen, ihre beiden Kinder zu Hause zu beschulen. "Das hat schon während Corona sehr gut geklappt und beide Kinder haben jeweils eine Klasse übersprungen", sagt Thomas M., der in seinen dreißiger Jahren im brandenburgischen Glienicke als Dorfpfarrer gearbeitet hat. Danach gab es Zerwürfnisse mit der Landeskirche und eine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand, da war Thomas M. noch keine 45. "Zeit, gegen Unrecht vorzugehen, habe ich also genug", sagt er.
Seit einigen Tagen ist er nun mehrfach auf der Dresdner Straße vor der Johannesschule unterwegs und in der Meißner Innenstadt. Er fordert die Einhaltung der Grundrechte auch für Kinder, unterstellt Silke Huge psychische Gewalt gegen Kinder. Polizeibesuch hatte Thomas M. deshalb auch schon, und zwar ganze viermal in den vergangenen Tagen. Seine Plakate wurden fotografiert, sind aber von der freien Meinungsäußerung gedeckt. Dass Meinung nicht immer dem Kriterium der Wahrheit standhalten muss, steht auf einem anderen Blatt.
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Eltern weigern sich, Zeugnis abzuholen
Befragt nach dem Sinn der Aktion, äußert Thomas M. zwei Ziele. Er will, dass Schulleiterin Silke Huge ihren Posten räumen muss. Die denkt aber gar nicht daran, im Gegenteil. "Die letzten fünf Dienstjahre bis zu meiner Rente gedenke ich, hier an der Johannesschule zu arbeiten." Rückendeckung bekommt sie dafür nicht nur vom Elternrat, sondern auch von der Gesamtlehrerkonferenz, die am vorigen Mittwoch zum Fall der Familie M. tagte und in den Aktionen von Thomas M. eine Gefahr für den gesamten Schulbetrieb sah. Die Geschlossenheit, mit der sich das Lehrerkollegium hinter die Direktorin stellt, rührte selbst die langjährige Schulleiterin.
Familie M. hat indes ihren großen Sohn im Franziskaneum eingeschult. "Der blüht dort richtig auf und unsere Erwartungen an das sächsische Schulsystem werden mehr als erfüllt", so Thomas M. Die kleine Tochter lernt weiter zu Hause. Ihr Zeugnis liegt seit Wochen im Sekretariat der Johannesschule, doch die Eltern weigern sich, es abzuholen.
Nun gibt es am 3. September einen letzten Versuch der gütlichen Einigung. Im Schulamt in Dresden ist ein Anhörungstermin festgesetzt. Per Mail hat Thomas M. schon angekündigt, nicht erscheinen zu wollen. Macht er diese Ankündigung wahr und äußert sich auch schriftlich nicht, wird das Schulverhältnis mit seiner Tochter an der Johannesschule möglicherweise enden. Zwei weitere Schulen im Schulbezirk gäbe es, die das Mädchen ab sofort unterrichten könnten. Thomas M. bleiben einige Tage, seine Tochter dorthin umzumelden. Tut er das nicht, droht ihm wegen der Verletzung der Schulpflicht eine Strafzahlung von bis zu 25.000 Euro.