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Hochschule Meißen: Der Weg ins Digitale ist ein Marathonlauf

So einfach und schnell wie Onlineshopping sollen Behördengänge künftig in Sachsen funktionieren.

Von Ines Mallek-Klein
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Die Zettelwirtschaft soll in sächsischen Behörden schrittweise der Vergangenheit angehören.
Die Zettelwirtschaft soll in sächsischen Behörden schrittweise der Vergangenheit angehören. © sächsische zeitung

Die Experten dazu werden an der Hochschule Meißen ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Staatssekretär für Digitale Verwaltung und Verwaltungsmodernisierung und CIO des Freistaates Sachsen Prof. Thomas Popp und dem Rektor der Hochschule Meißen Prof. Dr. Frank Nolden:

Herr Nolden, 2023 werden die ersten 15 Absolventen des neuen Studiengangs Digitale Verwaltung als Informatikfachkräfte in sächsische Behörden wechseln. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Schon 2018 bat uns Staatssekretär Thomas Popp, der als CIO des Freistaates Sachsen die Fäden der Digitalisierung in der Hand hält, um ein Konzept für einen Studiengang „Digitale Verwaltung“. Mit dem Studiengang ist uns eine hoffentlich gute Mischung aus IT-Wissen von Technik- und Prozessmanagement bis hin zur Programmierfähigkeit auf der einen und Verwaltungswissen auf der anderen Seite gelungen. Wir bilden Weltenwandler aus, die sich in der IT und Verwaltung zu Hause fühlen, mehr noch, die beides vereinen und in der Lage sind, zielgerichtete Strategien ressourcenschonend zu erarbeiten und - ganz wichtig - praktisch umzusetzen.

Wie bereitet die Hochschule ihre Studierenden auf das neue Zeitalter vor?

Wir suchen hochmotivierte junge Menschen, die Verwaltung nicht nur wollen, sondern dafür brennen. Sie sehen sich als „Staatsdiener“, wobei wir keine Diener in dem engen Sinne ausbilden möchten, sondern Mitdenker, Vorantreiber, Visionäre, die durch die Studienzeit in Meißen aufgeladen sind mit rechtlicher Orientierung, dem Wissen um die Bedeutung von wirtschaftlichen Aspekten, der Fähigkeit, in alle Richtungen zielorientiert zu kommunizieren und vielen anderen Inhalten und Kompetenzen. Wir haben den Eindruck, dass der „Meißner“ bzw. die „Meißnerin“ als Absolventen unserer Hochschule ein Prädikat tragen, welches in der behördlichen Arbeitswelt viele Türen öffnet und auf die wir stolz sein können.

Herr Prof. Popp, gibt es Fachgebiete, in denen die digitale Verwaltung schon sehr weit fortgeschritten ist und wo hängt es besonders?

Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung. Verwaltung findet auf unterschiedlichen Ebenen und in diversen Formen statt: auf EU-, Bundes-, Landesebene und auf kommunaler Ebene. Jede dieser Ebenen hat eine ganz bestimmte Funktion im großen Gefüge. Verwaltungsleistungen, die Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen häufig benötigen, beispielsweise die Anmeldung eines Hundes, der Antrag auf Wohngeldzahlung oder eine Gewerbeanmeldung, werden zu großen Teilen auf kommunaler Ebene erbracht. Wie diese Leistungen digital angeboten werden, fällt gleichzeitig unter das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen. Das heißt, der Bund oder der Freistaat Sachsen können den Kommunen nicht vorgeben, auf welche Art und Weise sie digitale Verwaltungsleistungen anbieten. In diesem Spannungsfeld ist auch das Online-Zugangsgesetz umzusetzen, das jede Behörde verpflichtet, die dafür geeigneten Verwaltungsleistungen auch im Internet anzubieten. Die Ausgangslage hierfür war sehr unterschiedlich: Von mustergültig digitalisierten Fachbereichen bis zu Prozessen, in denen vornehmlich mit Papier und Fax gearbeitet wurde. Dann noch einmal zu Ihrer Frage. In der Steuerverwaltung haben wir mit der elektronischen Steuererklärung schon seit vielen Jahren ein effizientes und beim Nutzer akzeptiertes Onlineverfahren. Auch in Spezialbereichen, wie beispielsweise bei der Anzeige einer Tiefenbohrung, gibt es in Sachsen bereits ein Fachverfahren. Digitale Verwaltung beinhaltet viel mehr als nur neue Computertechnik. Einen Antrag online ausfüllen zu können, ist nicht gleichbedeutend mit effizienter digitaler Verwaltung. Besonders deutlich wird das, wenn das elektronisch ausgefüllte Onlineformular zur weiteren Bearbeitung im Amt erst ausgedruckt werden muss. Hier setzen wir im Freistaat an und wollen eine echte Ende-zu-Ende-Digitalisierung durchsetzen, vom Antrag über die Bearbeitung bis hin zum elektronischen Bescheid soll alles elektronisch funktionieren – ohne Papier.

Und wo, Herr Popp, ist der Handlungsdruck besonders groß?

Überall dort, wo wir Verwaltungsleistungen haben, die häufig nachgefragt werden und die standardisiert bearbeitet werden, können wir mit Digitalisierung relativ schnell spürbare Effekte erzielen. Noch effektiver wird es, wenn wir viele Beteiligte über digitale Schnittstellen einbinden können. Das ist zum Beispiel möglich, wenn ein eingehender Onlineantrag direkt und automatisch in das Fachverfahren übernommen wird, in dem er weiterbearbeitet wird. Wenn wir über Handlungsdruck sprechen, gibt es aber noch eine grundsätzliche Dimension, die alle Verwaltungsbereiche betrifft: Wir brauchen mehr Digitalkompetenz. Viel zu oft wird Digitalisierung als ein Thema von Spezialisten angesehen und im IT-Bereich bei technischen Experten angesiedelt. Moderne Verwaltung beginnt in den Köpfen von Bediensteten und Führungskräften.

Und wo steht Sachsen bei der digitalen Verwaltung im Bundesvergleich?

Wir sind gut unterwegs. Wir haben in Sachsen das Ziel, auch nach Antragstellung den verwaltungsinternen Bearbeitungsprozess vollständig elektronisch abzubilden. Das kostet Zeit und eine intensive Abstimmung mit vielen Beteiligten. In der Staatsverwaltung haben wir für eine medienbruchfreie Bearbeitung eine wichtige Voraussetzung erfüllt. Wir haben in weiten Teilen der staatlichen Behörden und Einrichtungen die elektronische Aktenführung und Vorgangsbearbeitung bereits etabliert. Damit nehmen wir bundesweit eine Vorreiterrolle ein.

Bis wann, Herr Popp, wird man die Forderungen des Online-Zugangsgesetzes des Bundes erfüllen können?

Ein Bundesgesetz allein kann nicht dafür sorgen, dass innerhalb von fünf Jahren alle 575 Leistungsbündel mit 2.000 Verwaltungsleistungen fertig programmiert, an alle betroffenen Behörden ausgerollt und bei Bürgern und Unternehmen bekannt sind. Bis zum Jahresende 2022 sollen jedenfalls 35 Leistungen, die als besonders wichtig deklariert wurden, flächendeckend in der Bundesrepublik ausgerollt werden. Der Freistaat Sachsen ist hierbei für das Themenfeld „Recht und Ordnung“ verantwortlich. Darüber hinaus stehen für die sächsischen Kommunen derzeit über 40 Online-Antragsverfahren zur Verfügung, die zentral bereitgestellt werden. Beispielsweise sind das An-, Ab- und Ummeldung eines Wohnsitzes, der Antrag auf Wohngeld, die sächsische Ehrenamtskarte, der sächsische Landesfamilienpass, die An-, Ab- und Ummeldung eines Fahrzeugs, Unterhaltsvorschuss, Gewerbeanzeigen, Anmeldung zur Hundesteuer Anforderung Personenstandsurkunden oder Wahlscheine für die Briefwahl. Aufgrund des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen besteht jedoch keine Pflicht, diese zentralen digitalen Verfahren zu nutzen. Dennoch ist unser aller Anspruch, einen digitalen Zugang für die Bürgerinnen und Bürger und für die Unternehmen zu gewährleisten.

Welche Gelder, Herr Popp, wird der Freistaat in den kommenden Jahren bereitstellen, um die digitale Verwaltung voranzubringen?

Wir stellen bereits mit dem Serviceportal Amt24 und weiteren zentralen Komponenten eine technische Infrastruktur für mehr digitale Verwaltung zur Verfügung, die auch die sächsischen Kommunen mitnutzen können. Auch das Verwaltungsnetz, über das wir miteinander kommunizieren, wird zentral an jeweils einer Stelle für die Staats- und die Kommunalverwaltung bereitgestellt. Wir fördern die Entwicklung zentraler Online-Antragsverfahren für sächsische Kommunen mit drei Millionen Euro jährlich. Neben den IT-Werkzeugen setzen wir auch darauf, mehr digitale Kompetenz in die Kommunen zu bringen. Dafür nehmen wir noch einmal über eine Million Euro pro Jahr in die Hand. Die Digital-Lotsen fungieren dabei als eine Art Kompetenzzentrum beim Sächsischen Städte- und Gemeindetag. Sie sollen die sogenannten Digital-Navigatoren in den sächsischen Kommunen „ausbilden“ und coachen. Beide Förderverträge sollen auch in den kommenden zwei Jahren weiterbestehen.

Inwieweit war Corona hilfreich, den Prozess zu beschleunigen?

Corona hat das Bewusstsein auf allen Ebenen geschärft, dass Digitalisierung systemrelevant ist. Und wir mussten während der Pandemie auch für Verwaltungsleistungen, die bisher eher selten genutzt wurden, einen effizienten digitalen Antragsprozess implementieren. Das gilt beispielsweise für die Entschädigungszahlungen nach dem Infektionsschutzgesetz. Die Ausnahmesituation hat uns gezeigt, was wir leisten können, wenn wir es müssen. Nun gilt es, diese Erfahrungen in den normalen Verwaltungsalltag zu übernehmen und das Tempo bei der Digitalisierung hochzuhalten.

Wie können die Bürger bei diesem Prozess mitgenommen werden?

Wir werden auch künftig mehrere Kanäle bedienen, um unsere Verwaltungsdienstleistungen anzubieten. Einen ausschließlich elektronischen Zugang wird es nicht geben. Um beispielsweise im ländlichen Raum und bei älteren Mitbürgern den Zugang zur Verwaltung zu schaffen, können auch neue Modelle wie Bürgerkoffer und Bürgerterminals genutzt werden. Allerdings wird dafür Personal gebraucht. Ein Online-Angebot, das vom Bürger selbst ausgefüllt und abgesandt wird, steht 24 Stunden und sieben Tage die Woche bereit. Persönlicher Kontakt zu einem Verwaltungsmitarbeiter über Telefon, im Bürgerbüro oder Bürgermobil kann nur zu festen Öffnungszeiten bzw. zu festen Terminen erfolgen.

Was braucht der Bürger künftig an technischen Voraussetzungen und digitalem Sachverstand, um den Kontakt mit den Behörden zu suchen?

Für den digitalen Zugang zur Verwaltung soll ein ähnliches Komfortniveau erreicht werden wie beim Onlineshopping. Zentrales Thema dabei muss es sein, die Informationssicherheit und den Datenschutz zu gewährleisten. Um eindeutig identifiziert zu werden, soll es das sogenannte Bürgerkonto geben. Nach der Registrierung sollen dann mit einem Internetzugang Verwaltungsdienstleistungen aller Art und – in der Endausbaustufe – in ganz Deutschland möglich sein.

Was bedeutet Digitalisierung für den Personalbedarf in den sächsischen Verwaltungen, heute gibt es gut 125.000 Beschäftigte, wie viele könnten es künftig sein?

Digitalisierung heißt, in technische Systeme und Personal zu investieren. Es ist ein Irrglaube, dass wir durch die Digitalisierung massenhaft Personal einsparen. Das Gegenteil ist der Fall. Die demografische Entwicklung „spart“ uns das Bestandspersonal automatisch ein. Im Freistaat Sachsen gehen bis 2035 ca. 35.000 Bedienstete in Rente. Wir wissen heute schon, dass wir diese Stellen nicht alle nachbesetzen können. Je mehr Prozesse wir bis dahin digitalisiert haben, desto effizienter können wir mit dem so reduzierten Personal arbeiten und unseren Auftrag erfüllen. Und Prof Nolden ergänzt: Sicherlich wird die Digitalisierung auf lange Sicht so manche Prozesse automatisieren, für die derzeit noch Menschen benötigt werden, aber wir müssen in Technik und Personal investieren, um die öffentliche Verwaltung handlungs- und gestaltungsfähig zu erhalten.

Das Bewerberportal der Hochschule Meißen ist unter anderem auch für den Studiengang Digitale Verwaltung aktuell geöffnet. Wer an dieser modernen Schnittstelle der Verwaltung mitwirken möchte, kann sich bis 1. November dort registrieren und im besten Falle im September 2023 mit seinem Studium in Meißen beginnen.