Der weite Weg zur Impfung

Meißen. Bloß gut, dass sie vor einem Jahr dabei war, als Mitglieder des Jugendstadtrates zu einer Veranstaltung „Nie zu alt fürs Internet“ eingeladen hatte. So konnte Hannelore Alisch sich wenigstens durch das Netz klicken, um ihren 85 Jahre alten Mann fürs Impfen registrieren zu lassen. Und es bedurfte zahlreicher Telefongespräche, um auch einen Termin im Impfzentrum Riesa zu erhalten, berichtet Frau Alisch, die im Mai 80 wird – und demzufolge jetzt noch nicht dran ist.
Frau Alisch half auch einem älteren Ehepaar beim Anmelden zur Impfung. Viermal hintereinander – und das immer und immer wieder – hat sie die Hotline angerufen, erhielt nach vielen Absagen einen ersten Termin für ihren Mann. Auch für das Ehepaar, dem sie helfen wollte, konnte sie nach langem Hin und Her einen Termin erhalten – aber zu einem anderen Zeitpunkt. „Eine Zusammenlegung dieser Termine war natürlich nicht möglich“, berichtet Frau Alisch über das Ergebnis ihrer Kommunikation mit einem Call-Center irgendwo in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg.
Hannelore Alischs Mann ist mit seinem Pkw zu beiden Impfterminen nach Riesa gefahren. Denn wie sollte das andere Ehepaar dorthin kommen? „Die Kinder wohnen an der Ostsee, mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist es schwierig, als etwas gehbehinderte Senioren nach Riesa zu kommen. Erst einmal zum Bahnhof oder Busbahnhof in Meißen, dann in Riesa umsteigen in einen anderen Bus? Das traut sich mancher Senior über 80 dann doch nicht zu. Man muss ja auch wieder nach Hause kommen und bei den jetzigen Witterungsverhältnissen und eben auch geschlossenen Gaststätten kann man ja nicht einmal einen Kaffee in einem Restaurant als Pause einschieben“, schreibt Hannelore Alisch in einer E-Mail an die Lokalredaktion.
Als Mitglied der Meißner Seniorenvertretung weiß sie, dass für viele der über 80-Jährigen der Weg zur lebensrettenden Impfung zu weit und zu beschwerlich ist. „Die Senioren möchten eigentlich alle geimpft werden, aber die Realisierung dieses Wunsches sieht zurzeit nicht gut aus. Wir möchten alle gern in unserem eigenen Haushalt und der eigenen Wohnung leben, das wird immer wieder empfohlen von der Regierung. Aber hier lässt man die Senioren doch allein.“
Physische und psychische Herausforderung
„Die Seniorenvertretung der Stadt Meißen ist entsetzt darüber wie mit den ältesten Bürgerinnen und Bürgern der Stadt umgegangen wird“, bringt es Bernd Matthes auf den Punkt – in einem Brief an die Landesseniorenvertretung, den er auch Landrat Ralf Hänsel und Oberbürgermeister Olaf Raschke zukommen ließ. „Für Bewohner in Alten- und Pflegeheimen hat man eine vernünftige Lösung gefunden. Dafür sind wir dankbar “, schreibt Bernd Matthes. Jedoch die älteren Menschen, die solange es möglich ist in ihrer eigenen Häuslichkeit leben möchten und nicht selten mit erheblichen Einschränkungen zurechtkommen und häusliche Pflege in Anspruch nehmen müssen – an diese Bürgerinnen und Bürger hat man nicht bzw. nur unzureichend gedacht.
Für viele hochbetagte Menschen ist die Fahrt zum Impfzentrum eine physische und psychische Herausforderung. Die Anreise nach Riesa mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei einfach nicht zumutbar. Bernd Matthes, selbst 79 Jahre alt, fordert „eine an der Praxis orientierte bürgerfreundliche Lösung“: Darunter verstehen die Meißner Seniorenvertreter, wohnortnah Impfstandorte in Meißen einzurichten, und zwar auf beiden Seiten der Elbe.
Der knappe Impfstoff kann nicht für alle Pannen und den insgesamt holprigen Start der Impfkampagne herhalten, ist die Seniorenbeauftragte der Stadt Gabriele Richter überzeugt. Deshalb versuche die Stadt, zu helfen, soweit sie es könne. An sie wenden sich viele Ältere in diesen Tagen, sagt Gabriele Richter.
Im Einzelfall kann sie sich bei zuständigen Behörden oder Krankenkassen erkundigen und mit einem Rat helfen. In mehreren Fällen half der Hinweis, dass Personen ab dem Pflegegrad 1 einen Transportschein erhalten können. Damit können sie das Impfzentrum in Riesa per Krankentransport oder Taxi erreichen. Ebenso kümmert sie sich darum, dass anspruchsberechtigte Menschen in betreuten Wohngruppen und Obdachlose nicht durchs Raster fallen und ihre Impfungen erhalten.
Wo genau die Impfbusse, die seit wenigen Tagen in ganz Sachsen unterwegs sind, eingesetzt werden und wann sie nach Meißen kommen, darauf hat die Stadtverwaltung keinen Einfluss. Ebenso wenig darauf, ob und ab wann die Impfungen auch in Hausarztpraxen verabreicht werden können, sagt Gabriele Richter. Da ist die Politik gefragt. In den Kommunen können jetzt aber Weichen gestellt werden. Wenn ausreichend Impfstoff vorhanden ist, könnten auch in Meißen Impfstellen eingerichtet werden, so wie es die Seniorenvertretung fordert, um den Ältesten weite und beschwerliche Wege zu ersparen. Gespräche dazu werden in diesen Tagen geführt.
Die Impfstrategie verlangt, in Sachsen innerhalb eines halben Jahres vier Millionen Menschen zu impfen, erklärt der Sprecher des DRK-Landesverbandes Kai Kranich. Um diese gewaltige Herausforderung bewältigen zu können, wurden die Impfzentren in den Landkreisen eingerichtet. Das DRK organisiert im Freistaat die Impfungen. Jetzt werde die Infrastruktur aufgebaut, damit auch Ärzte die Impfungen verabreichen können. Wann genau das möglich sein wird, lasse sich derzeit noch nicht sagen. "Voraussichtlich Anfang März starten wir mit einem Pilotprojekt, an dem landesweit etwa 40 Praxen beteiligt werden", antwortete Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) im SZ-Interview auf die Frage, wann Impfungen bei Hausärzten möglich sind.