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Die Russen sind da

Aus unserer Serie: „1.000 Jahre Meißener Stadtgeschichte“ Teil 7. Wo waren wir stehen geblieben? Meißen 1945.

Von Christiane Weikert
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Die zerstörte Meißner Elbbrücke
Die zerstörte Meißner Elbbrücke © Foto: Archiv Meißen

In unserer letzten Stadtgeschichte erzählten wir über die Stunde Null in Meißen. Der Krieg war zu Ende.

Wie ging es der Meißner Bevölkerung?

Auszug aus: Joachim Burkhardt: "Meißen – meine Stadt"

„Langsam, während der zugelassenen Zeiten, bevölkerten sich Fußwege und Fahrdamm. Männer und Frauen, schnell gealtert, mit unruhig huschenden Augen, Grüppchen, die Ihre Habseligkeiten auf Karren und Leiterwagen geladen hatten: Rucksäcke, Decken, klaffende, mehrmals durchwühlte Koffer. Sie zogen in die eine, nach ein paar Tagen in die andere Richtung. Mütter, bleich, die überall nach Milch fragten. Auf flachen Tafelwagen wurden Typhusleichen abtransportiert: in Papier eingeschlagen und wie riesige Brote nebeneinandergereiht…. Patrouillen der russischen Militärpolizei, rote Armbinden mit weißen Buchstaben am Arm. Anstreicher, die die letzten Aufrufe des NSDAP-Kreisleiters mit dem Befehl "Nummer eins" der sowjetischen Militärregierung überklebten…. Man lebte wie eingeschlossen. Keine Post, keine Zeitung, niemand rief uns zum Telefon. Nur die Stadt und das Elend und die Angst vor den fremden Soldaten. Die Postfrauen, als sie wieder ihre Wege machten, trugen aus, was noch im Krieg abgeschickt worden war. Es waren Botschaften und manchmal vage Hoffnungen…“

ehemals "Kaufstätte Merkus" einst Kaufhaus Schocken an der Elbbrücke. Beschädigt nach der Sprengung der Brücke, danach nach Brandschaden abgerissen.
ehemals "Kaufstätte Merkus" einst Kaufhaus Schocken an der Elbbrücke. Beschädigt nach der Sprengung der Brücke, danach nach Brandschaden abgerissen. © Bild: "Unser Meißen 1929 - 2004" von Gerhard Stein

Der Neuanfang.

Mit der bedingungslosen Kapitulation lag das Wohl und Weh der Bevölkerung in den Händen der Sieger, die nun von Ihrem Siegerrecht unbarmherzig gebrauch machten. Es kam zu Plünderungen und vielen Gewalttaten, denen mindestens sieben Einwohner in der Stadt zum Opfer fielen.

Die Situation musste wieder unter Kontrolle und so wurden Personen ausgewählt, die moralisch befähigt waren, dringende Verwaltungsaufgaben zu übernehmen. Albert Mücke und Willi Anker wurden zum Oberbürgermeister und Bürgermeister ernannt und stellten eiligst eine neue, antifaschistische Stadtverwaltung zusammen - immer unter den wachen Augen der sowjetischen Kommandantur, welche sich in der Ohm'schen Villa eingerichtet hatte.

Im Ratssaal kam es immer wieder zu hitzigen Diskussionen, mit welchen Personen welche Ämter zu besetzen wären. Am 10. Mai waren fast alle wichtigen Positionen besetzt und die unübersehbaren Aufgaben konnten angegangen werden.

Wer darf regieren?

Stadtverordnetensitzung im "Hamburger Hof"
Stadtverordnetensitzung im "Hamburger Hof" © Bild: "Unser Meißen 1929 - 2004" von Gerhard Stein

Am 10. Mai wurde nach sowjetischen Muster eine kommunistische Ortsgruppe gegründet mit Sitz im Rathaus. Es gab eine Klarstellung und Durchsetzung der politischen Orientierung der KPD, was in Meißen die Weichen stellte. Eine antifaschistisch-demokratische Grundordnung musste geschaffen werden und eine Säuberung von nationalsozialistischen Einflüssen folgte, welche sich am Anfang als recht willkürlich umsetzte, gerade unter der Regie von Albert Mücke. Insgesamt verschwanden im Kreisgebiet 1.200 Männer und Frauen von denen fast 900 umkamen.

Zur Überwindung der vergangenen und untergegangenen deutschen Vorstellungswelt war es erforderlich, eine Grundhaltung zu schaffen, was nicht nur mit der Wirksamkeit von Parteien, Verwaltungen und Medien erreicht werden konnte. So wurden ab dem 16. Mai 1945 viele Meißner Straßen mit Namen „Opfer des politischen Systems“ umbenannt um neue Traditionen herauszubilden. Das neue Meinungsbild sollte unübersehbar und unüberhörbar sein.

Die Schaffung einer funktionierenden Verwaltung gestaltete sich allerdings als schwierig, weil die Kommunisten Ihren Führungsanspruch – gestützt und gefördert durch die sowjetischen Besatzer – als SED vehement gegenüber den anderen Parteien wie SPD, CDU und LDPA, durchsetzen wollten. Bei den ersten Gemeindewahlen am 1. September 1946 im „Hamburger Hof“ zeigte sich – zur Unzufriedenheit der SED – das die CDU und LDPD die SED mit 203 Stimmen übertrafen.

Der Wirtschaftsaufbau beginnt

Bekundung der Bodenreform auf dem Markt am 20.10.1945
Bekundung der Bodenreform auf dem Markt am 20.10.1945 © Bild: "Unser Meißen 1929 - 2004" von Gerhard Stein

Erschwerend in dieser Zeit war die siegergerechte Demontage und Abtransport von Maschinen und Anlagen als Wiedergutmachung für die Zerstörung der Sowjetunion im Krieg, wie es im Potsdamer Abkommen festgeschrieben wurde.

Ein erster wichtiger Schritt war der Wiederaufbau der Elbbrücke, welcher ab 7. Mai 1945 nur provisorisch stattgefunden hatte. Die dafür eingesetzten deutschen Arbeitskräfte wurden mit zusätzlichen Vergünstigungen wie Milch, warmer Kleidung und Fleisch bedacht. Am 31.1.1946 wurde die Brücke fertiggestellt und übergeben. Eben so fand die Bodenreform statt und es kam zu massenweisen Enteignungen. „Junkernland in Bauernhand“ war der große Slogan.

Trotz großer Probleme legten viele Wirtschaftsbetriebe in der Stadt und dem Umland wieder los. Die Porzellanmanufaktur, die Ofen- und Wandplattenwerke wie auch die Teichert-Werke, gefolgt von der Meißner Schuhfabrik. Und alle stellten sich der Herausforderung der Er- und Überfüllung des Zweijahresplanes. Sie sahen darin die einzige Möglichkeit, für ein besseres Leben.

Der Schwarzmarkt blüht

Die Erfüllung lebensnotwendiger Erfordernisse blieb allerdings auf dem "Schwarzmarkt" und den teils öffentlichen Tauschhandel angewiesen. Die „Tauze“ soll sich in der Neugasse 74 (jetzt 53) befunden haben, wo man Gold, Schmuck, Porzellan und andere Wertsachen gegen Zigaretten, Brot oder sonstige Lebensmittel tauschen konnte.

Treiben auf dem Schwarzmarkt
Treiben auf dem Schwarzmarkt © Bild: akg-images

Alte und neue Bewohner

Eine erhebliche Problematik ergab sich auch aus dem plötzlichen Einwohnerzuwachs in Meißen. Trotz Kriegsverlusten stieg die Zahl der Einwohner durch die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland Vertriebenen sprunghaft an. Die Selbstfindung in diese neue Situation und Eingliederung war schwer, weil keiner wirklich willkommen war. Ähnlich erging es den Heimkehrer und Kriegsverletzten, die sich in einer völlig veränderten Situation wiederfinden mussten. Erst als Helden in den Krieg verabschiedet, wurden Sie nun mit Missachtung gestraft.

Vertrieben und Hoffnungslos
Vertrieben und Hoffnungslos © Bild: wikipedia

Und dann kam der Winter

Und mit ihm die Kälte. Vom 19.1. – 16. März herrschte eine Durchschnittstemperatur von -5,2 °C. Während die Brennstoffbeschaffung den Alltag bestimmte, alarmierte in der Nacht vom 11. zum 12. März das Glockengeläut die Meißner Bevölkerung von der rasch ansteigenden Elbe, die sich nach dem Eisaufbruch am Abend vor den Eisbarrieren an der Knorre staute und gegen 4 Uhr nachts die Altstadt flutete. Es wurde ein Pegelstand von 832 m erreicht der erst niedriger wurde, nachdem sich die Eismassen, welche sich 6 m hoch türmten, durch eine Eissprengung lösten und das Wasser wieder normal abfließen konnte.

Entbehrungsreiche und harte Zeiten. Und eine neue Republik steht in den Startlöchern.

Bleiben Sie dran.

Textquellen + Bilder: "Unser Meißen 1929 - 2004" von Gerhard Steinecke, Stadt Meißen, Wikipedia, Joachim Burkhardt: "Meißen – meine Stadt"