„Die Sache ist es wert“

Meißen. Steffen Förster kniet sich rein – sei es in das Thema einer Sonderschau, die er im Stadtmuseum vorbereitet und aufbaut, oder in seinem Sportverein Albis Colonia Rudergesellschaft. Oder eben in die Wahl zum Deutschen Bundestag, für den der 57-Jährige mit grauem Bart und freundlichem Blick kandidiert.
Auf dem Wahlzettel steht sein Name als Kandidat der Ökologisch-Demokratischen Partei Deutschlands (ÖDP). Vielen ist sie unbekannt. Allenfalls vor Landtags- oder Bundestagswahlen fallen ihre in kräftigem Orange gehaltenen Wahlplakate auf. Schon am Wahlabend verschwinden sie aus der öffentlichen Wahrnehmung, weil die Stimmen der ÖDP in der Berichterstattung unter die „Sonstigen“ fallen. Die Stimmen reichen nicht aus, um die Fünf-Prozent-Hürde, die für Landesparlamente sowie im Bundestag gilt, zu überwinden.
Allein in diesem Frühjahr, bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg hatten 700.000 Menschen für die „Sonstigen“ gestimmt – „so viele wie die Landeshauptstadt Stuttgart Einwohner hat“, sagt er. Bei der Landtagswahl in Sachsen vor zwei Jahren, bei der er bereits für die ÖDP antrat, waren es landesweit 300.000 Stimmen. „Das kann man doch nicht ignorieren“, ist Steffen Förster überzeugt.
Dass die Fünf-Prozent-Hürde Extremisten aus den Parlamenten fernhalten soll, lässt er nicht gelten. Er argumentiert historisch: Die Machtübernahme der Nazis 1933 in Deutschland sei nicht das Ergebnis von Wahlen zum Reichstag gewesen, sondern Folge des Agierens des Reichspräsidenten. Auch deshalb hätten die Väter des Grundgesetzes das Amt des Bundespräsidenten in seiner Macht beschnitten. Die ÖDP setzt sich dafür ein, die Fünf-Prozent-Hürde über ein Volksbegehren zu Fall zu bringen.
Mit einem Kalender fing es an
Dass er sich seit 2018 in der ÖDP engagiert, ist für Steffen Förster nur konsequent. Er, der 1964 – dem geburtenstärksten Jahrgang in beiden deutschen Staaten – das Licht der Welt erblickte, machte sich schon als junger Mann Gedanken über die Zukunft der Welt. Ein Greenpeace-Kalender bot ihm Fakten und Einblicke, zu denen er als DDR-Bürger keinen Zugang hatte. Den Kalender hatte er 1987 von einer Cousine aus dem Westen bekommen.
Für ihn war das Anlass, die Kernenergie und ihre Erzeugung zu hinterfragen. Kernenergie – darüber sprach man in der DDR nur im Zusammenhang mit friedlicher Nutzung und nuklearer Abrüstung. Die Reaktorkatastrophe bei Tschernobyl im April 1986 erschütterte diese Sichtweise. Aber auch die verheerenden Schäden durch den Abbau und die Verarbeitung der Braunkohle in Kraftwerken und Chemiefabriken im Umfeld der Stadt Leipzig, wo er studierte, zeigten ihm, dass „da etwas falsch läuft“.
Doch er fand Gleichgesinnte. In ihren Diskussionen ging es um die Umweltzerstörung in der DDR, aber auch um Alternativen. Und schließlich um die Frage, die sich völlig unabhängig vom Gesellschaftssystem stellte: Muss es von allem immer mehr sein? Schon damals erkannte Steffen Förster, dass ökonomisches Wachstum nicht unendlich sein kann – schon deshalb, weil die Ressourcen nicht mitwachsen.
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Nach dem Studium kam der frisch gebackene Museologe Steffen Förster 1989 nach Meißen. Hier fand er zu den Gründern des Neuen Forums. Im Januar 1990 schloss er sich der Grünen Partei in der DDR an. Für die daraus hervorgegangene bundesdeutsche Partei Bündnis 90/Die Grünen saß Steffen Förster bis 2008 im Meißner Kreistag. Kurz darauf verließ er die Bündnisgrünen. „Ein Loblied von Joschka Fischer auf den Kapitalismus hatte den Ausschlag für meine Entscheidung gegeben“, erinnert er sich. Es sei nicht konsequent, zu sagen, alles könne so bleiben wie es ist, nur eben grün, so seine Kritik.
„Der Kapitalismus ist die Ursache für die Ausbeutung von Mensch und Natur“. Diese These von Herbert Gruhl, der 1982 die von ihm mitbegründeten Grünen verlassen hatte, um die ÖDP aufzubauen, hat sich Steffen Förster zu eigen gemacht. „Die Schöpfung war noch vor 150 bis 200 Jahren, so einigermaßen im Gleichgewicht, und das ist vor allem seit der Industriellen Revolution immer mehr gefährdet. Aus dem ökologischen Wahnsinn von heute entstehen doch die sozialen Probleme von morgen“, sagt er. Sein Engagement in der ÖDP versteht er als seinen Beitrag, Debatten anzustoßen – um ein Umdenken, besser noch ein Umsteuern zu erreichen. Den Versuch sei es allemal wert, „bevor wir gar nichts machen“, so Steffen Förster.
Weniger ist mehr
„Die Zukunft darf nicht länger vom Wachstum abhängig sein“, erklärt er, wofür seine Partei eintritt. Die Zahl der Millionäre und Milliardäre habe sich auch in Zeiten der Pandemie weltweit vervielfacht – hier müsse das Umsteuern beginnen. Die Wirtschaft müsse weg vom Irrsinn eines Wachstumszwangs, sozialer Ausgrenzung und Umweltzerstörung. „Mensch vor Profit!“, ist Steffen Försters Motto.
„Weniger Wachstum für mehr Zukunft“. Mit diesem Slogan startet der Internet-Auftritt der ÖDP Sachsen. Dass die Wirtschaft so schnell wie möglich klimaneutral sein muss, ergebe sich zwangsläufig daraus. Und: Die Abkehr vom Wachstum bedeute Verzicht. Wo, wie und durch wen auf was verzichtet werden soll, das lasse sich regeln, ist Steffen Förster überzeugt. Das könne mit Vernunft gestaltet werden. Die ÖDPler sehen darin einen wesentlichen Unterschied zu anderen Parteien.
Weil das jeden etwas angeht, bestimmen die Themen Zukunft, Wachstum und Verzicht viele Gespräche an Kaffeetafeln, mit Bekannten und Sportfreunden, natürlich auch in der Familie. Mit seinen beiden 30 und 28 Jahre alten Söhnen und seiner 17-jährigen Tochter, die noch zu Hause in Cölln lebt, weiß sich Steffen Förster einig. Als in der SZ eine kurze Notiz über seine Kandidatur erschienen war, sprachen ihn viele an. Und zeigten sich aufgeschlossen für die Auffassungen, Einsichten und Vorschläge der ÖDP, sagt er. „Meine Stimme kriegst du“, hörte Steffen Förster in den letzten Wochen des Öfteren. Es bestätige ihn darin, dass die Kraft der Argumente durchaus noch etwas auszurichten vermag, sagt er.
Im Einsatz für die Bahn
Dass er nicht nur diskutiert, sondern auch handelt, zeigt Steffen Förster mit seinem Engagement für die Wiederbelebung der Bahnstrecke zwischen Meißen und Döbeln. Dass der Landkreis 2015 die gerade ausgebaute Bahnstrecke für den Personenverkehr stilllegte – so wie bereits 1998 die Strecke zwischen Riesa und Nossen – und dafür mehr Busse auf der Distanz fahren lässt, hält er für ein „klassisches Beispiel kurzsichtiger und wenig nachhaltiger Politik“.
Steffen Förster ist Mitbegründer und heute Gesellschafter der Nossen-Riesaer Eisenbahn-Compagnie GmbH (NRE). Sie hat einige Bahnhöfe übernommen und hält die Infrastruktur intakt. Dass es sich lohnt, zeigt der Andrang bei Sonderfahrten, die in den vergangenen Jahren organisiert wurden. So bleibt die Hoffnung, dass auf den Bahnstrecken zwischen Meißen, Nossen, Lommatzsch und Riesa wieder regelmäßig Personenzüge fahren können.
In den nächsten Wochen wird Steffen Förster sich in Meißen sowie in den Fußgängerzonen in Riesa und Großenhain persönlich vorstellen und um Stimmen werben. Den Ausgang der Bundestagswahl wird er am 26. September in Dresden-Reick verfolgen. Die ÖDP Sachsen hat in die Alte Wäscherei zur Party geladen – in der Hoffnung, dass sie diesmal nicht schon am Wahlabend aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwindet.