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Erwacht! Geister der Görnischen Gasse (3)

Teil 3: Die Geschichte der Görnischen Gasse 35

Von Christiane Weikert
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In ziegelroter Farbe erleuchtet das Haus die alte Gasse
In ziegelroter Farbe erleuchtet das Haus die alte Gasse © Foto: Christiane Weikert

In der kommenden Folge unserer Reihe „Erwacht – Die Geister der Görnischen Gasse“ schauen wir uns die Geschichte und die Sanierung des Hauses Nummer 35 etwas näher an.

Das alte Handwerkerhaus aus dem 15 Jahrhundert beherbergt die bislang älteste datierte mittelalterliche Holzbalkendecke der Meißner Bürgerstadt. Die Decke im ersten Obergeschoß wurde 1435 eingebaut, die im Erdgeschoß 1464.

Wir wandeln auf den Pfaden der Vergangenheit. In dieser Gasse lebt das Mittelalter und man kann gut erkennen, wie sich die Stadt baulich gestaltete.

Bis ins 19. Jahrhundert war dieses schöne Handwerkerhaus ein giebelständiger vierachsiger Zweigeschosser. Bei dem Gebäude sind mehrere Bauetappen nachweisbar, so dass eine stilreine Zuordnung nicht möglich ist. Fakt ist, das der durch den Schwedeneinfall ausgehende große Stadtbrand vom 6.6.1637, dieses Haus komplett verschonte. Durch den Erhalt der Häuser Görnischen Gasse 34 und 35, wurde auch eine weitere Besonderheit bewahrt. Den sogenannten Ehgraben.

Das ist das letzte original erhaltene Beispiel eines „Ehgraben“ in der Meißner Altstadt!

Der "Ehgraben" zwischen den Häusern 34 und 35
Der "Ehgraben" zwischen den Häusern 34 und 35 © Foto: Robin Geyer

Der Ehgraben, auch Reule oder Reihe genannt, war der schmale, nicht bebaute Streifen zwischen den Häusern der mittelalterlichen Städte. Es handelte sich um einen offenen Graben einer Breite von bis zu drei Metern, der auf dem Grund eines schmalen Gässchens zwischen den gegenüberstehenden Rückseiten zweier Häuserreihen verlief.

Der Vorderteil des Wortes ist mittelhochdeutsch ê(we) ‚Gesetz‘; ein Ehgraben war also ursprünglich ein „rechtsgültiger Grenzgraben“ beziehungsweise dann „der durch das Gesetz bestimmte Abzugsgraben zwischen zwei Häuserreihen einer Stadt, in welche sich die Aborte entleeren“.

Die Ehgräben wurden zur Fäkalienbeseitigung benutzt; an den Häuserrückseiten befanden sich die Abtrittserker, aus denen die Fäkalien unmittelbar in den Ehgraben hinabfielen. Wegen des „pestilenzialischen Gestankes“ der Ehgräben waren diese Hinterwände mit möglichst wenig Fenstern versehen.

Entwässerung und Fäkalienbeseitigung im Mittelalter – das stinkt zum Himmel!

Im Mittelalter bildeten Fäkaliengruben, Ehgräben und oberirdisch verlaufende, angelegte „Bäche“ das Entwässerungssystem einer Stadt. Gingen auch die einzelnen Ehgräben manchmal mit Gefälle ineinander über, um schließlich in den Stadtgraben oder einen Wasserlauf zu münden, so entledigten sie sich dort nur eines Teiles ihrer flüssigen Schmutzstoffe. Sie mussten deshalb von Zeit zu Zeit geräumt werden. Die Reinigung der Ehgräben erfolgte entweder durch Spülen oder durch Auslegen mit Mist, der dann der landwirtschaftlichen Verwertung zugeführt wurde.

Wie selten dies geschehen sein mag wissen wir heute nicht. Nach einer Schilderung des Nürnberger Stadtbaumeisters Endres Tucher, geht dies allerdings deutlich hervor. In seinem Baumeisterbuch heißt es:

„Eine reihen, die da get zwischen der judenheuser herab an die Ledergass … pis an die Newengass … hab ich räumen lassen im siebenzigsten jar (1470) zu Martini und gab darzu auß … zwei und zweitzig pfunt alt. Die reihen war in 18 jaren nit geräumt worden.“

Lassen wir uns aber weiter begeistern. In der Bauweise des Hauses erkennen wir den Wechsel von Fachwerk zu Steinbau wohl bereits im 16. Jahrhundert.