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"Ich weiß selbst, was es bedeutet, Flüchtling zu sein"

Durch die Pandemie verstärkt sich die psychische Belastung für Geflüchtete. Die Meißnerin Monika Fischer wünscht sich als Patin den engen Kontakt zurück.

Von Beate Erler
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Flüchtlings-Patin Monika Fischer, vor dem Johannesstift in Meißen, dessen Saal jetzt leer ist. Die Kontakte zu den Flüchtlingen laufen fast nur noch online.
Flüchtlings-Patin Monika Fischer, vor dem Johannesstift in Meißen, dessen Saal jetzt leer ist. Die Kontakte zu den Flüchtlingen laufen fast nur noch online. © Claudia Hübschmann

Meißen. Der Gemeindesaal im Johannesstift in Meißen wirkt verlassen. Die Stühle stehen ordentlich übereinandergestapelt in einer Ecke. Auch die anderen Räume sind abgeschlossen, als wäre längere Zeit niemand hier gewesen. Monika Fischer dreht die Heizung auf und stellt zwei Stühle davor. „Als wir hier angefangen haben, war der Saal oft rappelvoll“, sagt sie. Mit dem Beginn der Corona-Pandemie 2020 mussten sie das Café International im Gemeindesaal schließen. „Seitdem hat sich alles sehr dezimiert“, sagt sie.

Die 79-Jährige ist eine von acht Frauen der Johanneskirchgemeinde Meißen-Cölln, die sich für geflüchtete Menschen in Meißen einsetzen. Sie haben das „Café International“ im Jahr 2015 auf die Beine gestellt, als viele Flüchtlinge in die Stadt kamen und in der Hochschule Meißen ihre erste Unterkunft fanden. „Wir haben uns bemüht, von Anfang an einen Kontakt herzustellen“, sagt sie. Auch die anderen Frauen sind alle Rentnerinnen und über 70 Jahre alt.

Im Gemeindesaal bereiteten sie Kaffee und Tee, besorgten Kuchen, deckten die Tische ein und hängten Flyer in deutscher und arabischer Sprache aus. „Wir wollten einen freundlichen und offenen Empfang“, sagt die gebürtige Wittenbergerin. Das hat geklappt, denn die Männer, Frauen und Kinder aus Syrien und dem Irak kamen gern vorbei.

Die Hälfte hat psychische Probleme

Nun ist der Saal leer und die Kontakte finden fast nur noch online statt. Sie hätten überlegt wieder zu öffnen, aber angesichts der hohen Infektionsgefahr sei ihnen das nicht geheuer, sagt Monika Fischer. „Ich wünsche mir, dass bald wieder gemeinschaftliches Leben in der Kirchgemeinde stattfinden kann.“

Die Universität Leipzig hat 2019 in einer Studie herausgefunden, dass etwa die Hälfte der Asylantragsteller in Deutschland psychisch belastet sind. Schon damals sei der Weg zu einer psychologischen Betreuung für sie sehr schwierig gewesen. Rechtliche Hürden, Sprachbarrieren und fehlende Therapieplätze seien die Gründe dafür, so die Studie. Durch die Covid-19-Pandemie hat sich die psychische Belastung für Flüchtlinge noch verstärkt.

Gerade in dieser Zeit wäre die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer umso wichtiger, die der SPD-Landtagsabgeordnete Frank Richter für Meißen auf etwa 40 schätzt. Die Hilfe reicht von Beratung, über finanzielle Unterstützung bis hin zur Begleitung auf Ämter. Außerdem gibt es den Internationalen Garten in Meißen-Bohnitzsch, der von Familien mit Migrationshintergrund zum Anbau von Gemüse, als Spielplatz und für Partys genutzt werden kann.

Sprachbarriere als große Hürde

Am meisten Unterstützung benötigten die Flüchtlinge bei Behördengängen, beim Ausfüllen von Formularen, bei der Suche nach guten Anwälten, die wirklich helfen und nicht nur abzocken wollen sowie beim Dolmetschen, sagt Frank Richter, der sich in Meißen selbst für Flüchtlinge einsetzt.

Die Sprachbarriere sieht auch Monika Fischer als eine der größten Hürden für die Menschen, die bei ihrer Ankunft meist kein Wort Deutsch sprechen. Deshalb hat die ehemalige Grundschullehrerin für Deutsch, Mathe und Religion vor allem den Kindern Deutschunterricht gegeben. „Durch meinen Beruf und meine Arbeit mit Kindern, konnte ich mein Wissen nutzen“, sagt sie.

Die ungefähr zwölf Kinder gingen damals auf die Johannesschule, aber hatten keine Hortbetreuung. Monika Fischer und die anderen Frauen holten sie nach dem Unterricht von der Schule ab und betreuten sie im Gemeindesaal des Johannesstift. Es wurde gespielt und Deutsch gelernt. Bei der Verständigung hat ein junger Syrer geholfen, der 2015 allein nach Meißen gekommen war und heute als Altenpfleger im Seniorenpark Carpe Diem arbeitet.

Monika Fischer kannte Meißen bis sie 2014 hierherzog nur als Touristin. Als ihr Mann verstarb und ihre Töchter 2011 beruflich nach Meißen zogen, verließ sie Baden-Württemberg und hat in Meißen-Cölln neu angefangen. Und auch als Kind hat sie erfahren, was es heißt, die Heimat zu verlassen und plötzlich ganz woanders zu sein. „Wir waren Ostzonen-Flüchtlinge“, sagt sie. Als sie elf Jahre alt war, flohen die Eltern mit ihr aus der Geburtsstadt Wittenberg, gingen nach Berlin, dann weiter nach Hamburg und schließlich nach Wesel am Niederrhein. „Wir waren über zwei Jahre unterwegs und mussten oft in Feldlagern und Kasernen bleiben“, sagt Monika Fischer.

In dieser Zeit habe es immer wieder Menschen gegeben, die ihr, der jungen Schülerin, geholfen hätten. Eine Direktorin mit kostenlosen Schulbüchern und eine Lehrerin, die in ihrer Wohnung Nachhilfeunterricht gegeben hat. „Daran habe ich mich erinnert und beschlossen, auch zu helfen.“

Fahrrad verschenkt

Sie und die anderen sieben Frauen aus der Gemeinde begleiten die Menschen zu Wohnungsbesichtigungen, spenden Kleidung und Monika Fischer verschenkt sogar ein Fahrrad. Auch wenn das Café International gerade nicht öffnen kann, bleibt sie in Kontakt. So zum Beispiel mit einem Mädchen, das 2017 nach Meißen gekommen ist und heute mit ihrer Familie hier lebt. „Sie ist damals immer zur Hausaufgabenbetreuung gekommen und ist sehr ehrgeizig“, sagt Monika Fischer. Sie geht jetzt in die zehnte Klasse der Oberschule und schickt über WhatsApp ihre Hausaufgaben zur Kontrolle. Im letzten Schuljahr ist sie Klassenbeste gewesen.