Wurden auf den Elbwiesen illegal Bäume gestutzt?

Klipphausen. Auf einen Frühling voll blühender Apfelbäume kann sich Leo Lippold schon lange nicht mehr freuen. Zwar pflanzt der Schlossherr mit dem Kulturkreis Scharfenberg seit vielen Jahren Bäume an den Wegesrand. Doch das reiche bei Weitem nicht aus, um die vielen gefällten Bäume zu kompensieren. Zuletzt ist Lippold bei den Elbleiten zwischen Scharfenberg und Gauernitz - unweit der Western-Pension - eine vermeintlich verbotene Baumfällung aufgefallen.
Da es sich um ein Naturschutzgebiet handelt, dürften Bäume dort nur unter besonderen Gründen gefällt werden. Dennoch hat es eine 30-jährige, scheinbar gesunde Eiche und ein hundertjähriges Weidenensemble getroffen. Beide wurden zusammengestutzt. "Früher haben Fahrradfahrer unter der Baumkrone gerastet und Kinder in den Bäumen gespielt und da wird einfach etwas abgesägt. Was soll das?", fragt sich Lippold, während er am Elbufer entlang läuft und stutzig vor einem vertrockneten Ahorn stehenbleibt. Der nämlich nicht angefasst wurde.
Im Gegensatz zur anderen Eiche reichen dessen Äste nicht so weit auf die Weidefläche und stützen damit Lippolds Vermutung: "Das Problem ist, die Weidefläche, also das Stück wofür Fördergelder ausgeschüttet werden, per Satellit ausgemessen wird und deshalb werden gerade an den Waldrändern rigoros Bäume abgemacht." Je mehr Äste, umso mehr Schatten, desto kleiner die vermessene Fläche. Lippold hält das für eine Masche; die Bäume immer wieder Stück für Stück zu fällen, sodass es langfristig niemandem auffällt.
Nur noch die ockerfarbenen, vom Regen aufgequollenen Sägespäne sind unübersehbar zurückgeblieben. Während der Verschnitt schon längst aufgeladen und verkauft worden sei: "Die Bäume treiben nun nicht mehr aus, wenn sie so angeschnitten sind und sterben einfach", sagt Lippold. "Und selbst, wenn sie nochmal austreiben, dann werden sie abgefressen."
Zur Nutzlandschaft verkommen
Lippold sieht sich gar nicht so sehr als Umweltschützer. Er ärgert sich einfach, wenn er rausfährt und sieht wie seine Landschaft ausgeräumt wird. "Das geht schon seit Jahren so", sagt Lippold. "Deshalb habe ich auch schon zig Angaben gemacht und Briefe geschrieben, weil es mich stört, dass unsere Lebensumgebung zu einer reinen Nutzlandschaft verkommen ist."
Auch bei den gestutzten Bäumen am Elbufer wendet sich Lippold im Dezember mit einem Brief ans Meißner Kreisumweltamt: "Das ist nicht nur in Anbetracht der Folgen des Klimawandels, des Zustandes der Wälder, unserer ausgeräumten Agrarwüsten untragbar", schreibt Lippold auch im Blickwinkel dessen, dass Vereine und Bürger um jede Nach- oder Neuanpflanzung kämpfen müssten, weil sich Gemeinden mittlerweile daran gewöhnt haben, Gestaltung und Pflege des öffentlichen Raumes ihren Einwohnern zu überlassen. Und schließt mit der Frage, mit welcher Begründung, welche sachliche oder fachliche Logik steckt dahinter, wenn man eine etwa 30-jährige, völlig gesunde Eiche fällt und einen vertrockneten Ahorn stehen lässt?
In einem Antwortschreiben bewertet das Kreisumweltamt es nicht als Unzulässigkeit, da es sich um das Aufstocksetzen - also um den Verjüngungsschnitt - von Gehölzen bzw. der Entnahme einzelner Bäume in einer Baumreihe gehandelt habe.
Lippold sieht darin den widerrechtlichen Gebrauch von fremdem Eigentum – es gehöre nämlich der Gesellschaft – und stellt daraufhin eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft. Seitdem würden in Schloss Scharfenberg fast jeden zweiten Tag Rechtfertigungen eintrudeln: "Diese Frequenz gab es noch nie. Die merken schon, dass es nicht mehr so geht wie früher", so Lippold, dem es gar nicht um die einzelnen Bäume, sondern um die Frage, wie es sein kann, dass überhaupt Bäume gefällt werden, wo er doch ständig neu pflanzt: "Wenn wir das als Privatpersonen machen müssen und dann kommt einer und sägt diese Bäume ab und die Behörde sagt nichts dazu, rechtfertigt das sogar noch mit Pflegeaufwand. Das ist Hohn."
10.000 Bäume verschwunden
Wie viele Bäume in den vergangenen zehn Jahren wirklich verschwunden sind, geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage des damaligen grünen Landtagsabgeordneten Wolfram Günther hervor: Dieser ist zu entnehmen, dass im Zeitraum 2010 bis 2018 im Landkreis Meißen an Bundesstraßen 1.402, an Staatsstraßen 3.460 und 172 Bäume an Alleen gefällt wurden. Im gleichen Zeitraum wurden im Landkreis Meißen jedoch nur 786 Bäume an Bundesstraßen, 427 Bäume an Staatsstraßen und 71 Alleebäume nachgepflanzt. Rechnet man diese Zahlen mit der Bilanz an Kreisstraßen zusammen, sind in den letzten zehn Jahren circa 10.000 Straßenbäume im Landkreis verschwunden.