Meißen
Merken

Der Mann, der Licht nach Meißen brachte

Der Bau der Albrechtsburg begann vor 550 Jahren. Ihr Schöpfer hat kein Gesicht, aber er dachte und arbeitete verblüffend modern.

Von Peter Anderson
 4 Min.
Teilen
Folgen
Vorhangbogenfenster, wie hier rechts im Bild, sind eine von mindestens drei Innovationen des Baumeisters Arnold von Westfalen, welcher mit seiner Bauhütte 1471 den Bau der Albrechtsburg begann.
Vorhangbogenfenster, wie hier rechts im Bild, sind eine von mindestens drei Innovationen des Baumeisters Arnold von Westfalen, welcher mit seiner Bauhütte 1471 den Bau der Albrechtsburg begann. © Claudia Hübschmann

Meißen. Dunkel sei das Mittelalter gewesen, um nicht zu sagen, finster. So lautet ein Klischee. Der Dom zu Meißen liefert mit seinen hohen gotischen Fenstern ein Gegenbeispiel. Das Licht fließt hinein in den Raum, durchflutet ihn. Doch wie soll das Licht in eine Residenz, in ein Schloss geholt werden?

Mitte des 15. Jahrhunderts steht Baumeister Arnold von Westfalen vor dieser schwierigen Aufgabe. Seinen Auftraggebern und Landesherren reicht die alte Burg auf dem Berg neben dem mittlerweile fertiggestellten Dom zu Meißen längst nicht mehr aus. Zu winzig sind die Fenster. Der Bau macht einfach nichts her. Die frühere Feste gegen Slaweneinfälle ist überflüssig geworden. Eine Residenz wird benötigt, welche der Kurwürde den entsprechenden Ausdruck verleiht. Das Geld dafür kommt aus den Silberminen des Erzgebirges.

Albrechtsburg-Museologe Falk Dießner erzählt diese und andere Geschichten, als wäre er damals dabei gewesen. Aus Anlass der 550. Wiederkehr des Baustarts an der Wiege Sachsens lädt er zu Sonderführungen ein, welche das Publikum mit auf eine Zeitreise nehmen. Vor der Burg stehend, die eigentlich Deutschlands erster Schlossbau ist, verweist er auf die sogenannten Vorhangfenster.

Sie waren die Lösung, mit der Arnold von Westfalen das Licht in die Räume holte. Sandsteinbögen unterbrechen ganz selbstverständlich die Bögen der Fenster. Wie eine Gardine gliedern sie den oberen Teil und lösen die Fläche filigran auf. Komplett neu erfunden hat Arnold von Westfalen dieses Sujet nicht, wohl aber zur Perfektion gebracht.

Ein Trickfilm in der Dauerausstellung der Albrechtsburg bringt uns den Alltag Arnold von Westfalens ganz praktisch näher. Das Pferd war der Dienstwagen des 15. Jahrhunderts. Es brauchte Hafer, Wasser, Pflege.
Ein Trickfilm in der Dauerausstellung der Albrechtsburg bringt uns den Alltag Arnold von Westfalens ganz praktisch näher. Das Pferd war der Dienstwagen des 15. Jahrhunderts. Es brauchte Hafer, Wasser, Pflege. © Claudia Hübschmann
Der Wendelstein der Meißner Albrechtsburg - im Prinzip ein Treppenhaus - ist vielfach kopiert worden. Für den Museologen Falk Dießner ist dieses Bau-Detail der Meißner Albrechtsburg als Original trotzdem allen Nachahmungen überlegen.
Der Wendelstein der Meißner Albrechtsburg - im Prinzip ein Treppenhaus - ist vielfach kopiert worden. Für den Museologen Falk Dießner ist dieses Bau-Detail der Meißner Albrechtsburg als Original trotzdem allen Nachahmungen überlegen. © Claudia Hübschmann
Aller Innovationen sind mindestens drei. Beim Mauern der Zellengewölbe arbeitet Arnold von Westfalen nach heutigen Maßstäben nachhaltig und umweltschonend. Die Rippen lagern auf einem hölzernen Rahmen, der teilweise nur durch Hanfseile zusammengehalten wird.
Aller Innovationen sind mindestens drei. Beim Mauern der Zellengewölbe arbeitet Arnold von Westfalen nach heutigen Maßstäben nachhaltig und umweltschonend. Die Rippen lagern auf einem hölzernen Rahmen, der teilweise nur durch Hanfseile zusammengehalten wird. © Claudia Hübschmann

Die Fensterform ist dabei nur eine der Innovationen des Baumeisters, von dem kein Porträt überliefert ist. Wer mehr über Arnolds Einfallsreichtum wissen möchte, folgt Dießner am besten in die Museumsräume. Dort steht ein Modell, welches die Albrechtsburg im Schnitt zeigt. Meißen schreibt ab dem Sommer 1471 Architekturgeschichte in deutschen Landen. Obwohl auf schwierigem Baugrund, dem unregelmäßigen Granitberg zwischen Elbe und Meisa erreichtet, kommt die Fassade komplett ohne die beim benachbarten Dom noch gebräuchlichen dicken Stützpfeiler aus. Im Inneren werden die Lasten von oben nach unten weitergegeben.

Die Fassade habe keine tragende Funktion, sagt der Historiker. Sie könne sich ganz auf ihre Aufgabe als Schmuck konzentrieren. Die aus statischen Gründen nötigen massiven Strukturen hat der Baumeister dahinter versteckt. Ähnlich verhält es sich beim Wendelstein, dem alle Blicke auf sich ziehenden Treppenhaus, das Dießner selbst dem filmreifen Torgauer Pendant vorzieht.

Aller Innovationen sind mindestens drei. Beim Mauern der Zellengewölbe arbeitet Arnold von Westfalen nach heutigen Maßstäben nachhaltig und umweltschonend. Die Rippen lagern auf einem hölzernen Rahmen, der teilweise nur durch Hanfseile zusammengehalten wird und dadurch mehrfach verwendbar ist. Es entfallen die für eine vollständige Verschalung benötigten Bretter. "Auf diese Weise wird nicht nur Bauholz eingespart, sondern auch Arbeitskraft, welche für die Verschalung gebraucht würde", sagt Dießner.

Das Pferd als Dienstwagen

Derlei erstaunliche Parallelen zwischen dem Mittelalter und der Jetztzeit ziehen sich fort. Ein Trickfilm in der Dauerausstellung der Albrechtsburg bringt uns den Alltag Arnold von Westfalens ganz praktisch näher. Das Pferd war der Dienstwagen des 15. Jahrhunderts. Es brauchte Hafer, Wasser, Pflege. All dies sollte und konnte der viel beschäftigte Baumeister freilich nicht selbst leisten. Eine Dienstanweisung des Landesherren verpflichtete deshalb alle sächsischen Ämter, dem Baumeister bei der Pferdepflege zu helfen.

Die Sonderführungen über 70 Minuten "550 Jahre Baubeginn der Albrechtsburg Meißen" finden statt am Sonntag, 25. Juli, 10 Uhr und 12 Uhr. Die nächsten Führungen folgen am Sonntag, 15. August, 14 Uhr und 16 Uhr. Tickets zu 14,50 Euro sind buchbar unter www.albrechtsburg-meissen.de und an der Kasse vor Ort. In diesem Rahmen lässt sich auch die Ausstellung des Künstlers Thomas Reichstein "Gotik neu gedacht" erleben.