Das Rätsel der Heiligen Drei Könige

Meißen. Im Festkreis der Kirche, heißt die Zeit Anfang des Jahres, genau zwischen dem 6. Januar und dem 2. Februar, "Epiphanias". Das bedeutet so viel wie "Erscheinung" und nimmt darauf Bezug, dass Gott durch seinen Sohn Jesus in die Welt gekommen ist.
Der 6. Januar ist einer der ältesten Festtage der Kirche. Er erinnert an die Geschichte von den drei Weisen aus dem Morgenland , die drei Gaben – Gold, Weihrauch und Myrrhe – überbrachten und das neugeborene Kind in der Krippe anbeteten. Daraus hat man später auf drei Könige geschlossen, denn nur sie konnten solche kostbaren Geschenke machen.
Die Könige erfüllten die alttestamentliche Vorhersage: "Und alle Könige des Erdkreises sollen ihn bewundern, alle Nationen sollen ihm dienen" (Psalm 71). Das Ereignis der Anbetung war seit der Spätantike ein beliebtes Motiv in der Kunst, das man sowohl in den frühchristlichen Wandmalereien der Katakomben Roms als auch in der Renaissance vorfindet.

Auch im Meißner Dom haben sich verschiedene mittelalterliche Künstler der Interpretation dieses Ereignisses angenommen. Sogar ein großer Teil des Domes, der im Volksmund als "Fürstenkapelle" bezeichnete Westchor, ist den Heiligen Drei Königen geweiht; es ist also in Wirklichkeit eine "Dreikönigskapelle".
Zur ursprünglichen Ausstattung der Kapelle gehörte ein großer dreiflügeliger Altar – ein Triptychon – mit der Darstellung der Anbetung, der jedoch heute als Hochaltar im Hohen Chor des Domes zu sehen ist. Auf diesem Triptychon, Öl auf Birkenholz, sieht man auf der Mitteltafel mit den Maßen 170 Zentimeter mal 299 Zentimeter die Anbetung durch die Heiligen Drei Könige. "Ein sich gabelnder Baumstamm und ein Strohdach, Reste einer verfallenen Scheune, des Stalles, umschließen die Hauptszene der Anbetung. Das weit auskragende Dach wirkt wie ein Baldachin, unter dem die, in einen blauen Mantel gehüllte Muttergottes, das Christuskind auf ihrem Schoß präsentiert.
Der nackte Knabe schaut mit wachem Blick auf den vor ihm knieenden weißhaarigen älteren König, der in ein rotes Gewand gehüllt ist. Hinter dem älteren Herrscher folgt aufrechtstehend, abwartend, ein zweiter König. Hier hat der Maler eine prächtige Gewandung wiedergegeben. Der König trägt dichtes dunkles Haar, das in einen Vollbart übergeht. Fast schon außerhalb der Anbetungsszene steht ein dritter König, der durch seine dunkle Hautfarbe als der "Mohrenkönig" charakterisiert ist [...] Auf den beiden Altarflügeln sind jeweils zwei Apostel wiedergegeben."
Ungewöhnliche Rahmen stimmen überein
Soweit kann man der Bildbeschreibung im Jahrbuch des Meißner Dombau-Vereins 2001 folgen. Aber: Es besitzt eine äußerst einprägsame Form, weil hier nicht nur das übliche Rechteckformat verlassen wurde, sondern mit einem Kleeblattbogen als oberem Abschluss eine ganz eigenwillige Gestaltung zeigt.
Die Mitteltafel schwingt nämlich helmartig auf; die Seitenflügel sind der Geometrie der Mitteltafel folgend entsprechend angepasst. Das Bild fällt auf! Und so stellt sich auch sofort die Frage nach dem Schöpfer des ungewöhnlichen Triptychons.
Nun gilt nach den jüngsten Forschungen der Maler "Meister Jhan" – ab 1491 bis 1493 in den Rechnungsbüchern als Hofmaler Friedrichs des Weisen (1463-1525) aufgeführt – als wahrscheinlicher Schöpfer des Triptychons. 1494 begleitete dieser Künstler den sächsischen Kurfürsten, der als Auftraggeber des Meißner Bildes in Frage kommt, auf einer Reise in die Niederlande.

Folgt man der Spur um 1494 in die damals habsburgische Provinz, so stößt man in der Kathedrale von 's-Hertogenbosch auf den Maler Hieronymus Bosch (1450-1516), der für die Malerei des ausgehenden 15. Jahrhunderts ähnlich bedeutsam war wie in deutschen Landen die Cranachs.
Er hatte im spanischen Königshof einen begeisterten Förderer und Sammler seiner Arbeiten gefunden. Im Sommer 2016 war im Madrider Museo Nacional del Prado "die" Ausstellung zum Werk "El Bosco’s" – wie der Maler Hieronymus Bosch in Spanien genannt wird – aus Anlass seines 500. Todestages zu sehen.
Faszinierend an Boschs Bildern sind bis heute, die fantastischen Figuren und Landschaften, die bildgewaltige Darstellung von Himmel und Hölle; eine revolutionäre Bildsprache, die bis heute bewundert wird. Die Kunstwissenschaft spricht von einer "Verrätselung der Welt".
Typisch für flämisch-niederländische Kunstlandschaft
Diese Idee erfüllt auch eines von Boschs fantastischen Bildern im Prado: das Triptychon mit der "Anbetung der Könige (Epiphanie)", Öl auf Eichenholz, Mitteltafel mit den Maßen 138 Zentimeter mal 72 Zentimeter, das nach Dendro-Datierung 1492 bis vor 1494 entstanden sein muss.
Ungewöhnlich, aber nicht untypisch für die flämisch-niederländische Kunstlandschaft, ist die vom üblichen Rechteckformat abweichende, geschwungene, etwas verschliffene Kleeblattbogen-Grundform des Retabels – und erinnert sofort an das Meißner Triptychon.
Auch für die Bildbeschreibung könnte man 1:1 den zuvor genannten Text des Meißner Triptychons zitieren. Nun ist das Thema Anbetung zwar ein Topos in der Malerei der Renaissance – aber so viele Übereinstimmungen der beiden Bilder bis hin zu den Kompositionsachsen und -linien, den Dreiecken, die man über die Blickbeziehungen des handelnden Personals im Bild herstellen kann – können nicht zufällig entstanden sein.

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Meister Jhan und sein Auftraggeber, Friedrich der Weise, im Rahmen ihrer Reise in die Niederlande das allein schon vom Format auffällige Werk Boschs gesehen, und – da auch das Thema für eine geplante Stiftung in der Meißner Dreikönigskapelle genau passte – seine Idee für ihre Zwecke genutzt haben.
Die Ausstellung im Prado gibt darauf leider keine Antwort. Sicher erscheint jedoch, dass das Meißner Triptychon in unmittelbarer und enger Anlehnung an die Anbetung Hieronymus Boschs entstanden sein muss – allerdings ist es plakativer und nicht von der Subtilität durchgeistigter Verrätselungen durchdrungen, die Boschs Arbeiten auszeichnen.
Kurfürst und Herzog ins Bild gemogelt
Dafür verrätselt Meister Jhan das Meißner Triptychon auf eine andere Weise: Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei der Darstellung der beiden knieenden Könige um die Personifikation von Kurfürst Ernst und Herzog Albrecht, die sich hier als Stifter des Altars als Anbetende in das Thema hineingemogelt haben.
Diese Art Verrätselung wäre für Bosch aber viel zu simpel gewesen. Eine direkte Schülerschaft Jhans scheidet aus. Bosch war kein Handwerker, der sein Können gern weitergab. Allerdings hat er in seiner Werkstatt mehrere Maler beschäftigt, die streng nach seinen Vorgaben gemalt haben und später noch nach seinem Tode begonnene Arbeiten in seinem Sinne vollendeten. Ein Meister Jhan befindet sich jedoch nicht unter den Kopisten. "Armselig ist die Geste, die immer von den Ideen der Anderen Gebrauch macht und selbst nichts entdeckt", urteilte Bosch über seine Nachahmer. An diesen Vorwurf werden wir nun bei Betrachtung des Meißner Altaraufsatzes auch denken müssen. Oder war es am Ende doch Jhans eigenständige Schöpfung? Eine verrätselte Welt!
- Bei Youtube findet sich ein Arte-Dokumentarfilm über eines der bekanntesten Bilder Boschs, den Garten der Lüste.