Meißen. Meißen hat es wieder gewagt. Vor neun Jahren bewarb sich die Stadt um den Titel des Unesco-Welterbes. Und scheiterte. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf. „Ich freue mich, dass wir diesmal mit einer hochkarätigen, thematisch sehr fokussierten Bewerbung und mit drei für Meißen so wichtigen und prägenden Partnern ins Rennen gehen“, verkündet Oberbürgermeister Olaf Raschke (parteilos) stolz. An der Bewerbung arbeiten schon monatelang Experten der Manufaktur Meissen, der Porzellanstiftung sowie des sächsischen Schlösserlandes. Diese vielseitige Kompetenz mache sich nun bemerkbar, erklärt Olaf Raschke am Montag. Das wäre 2012 nicht so gewesen.
Damals habe es nicht an inhaltlichen Gründen gelegen, dass Meißen kein Welterbe-Kandidat wurde. Sondern der ehemalige Chef der Manufaktur Christian Kurzke habe nicht hinter der Kandidatur gestanden, erklärte im vergangenen Jahr Matthias Donath, Verantwortlicher und Koordinator für das Meißner Welterbe-Vorhaben. 2012 koordinierte er schon den ersten Versuch. 2021 sind die Bedingungen jedoch günstiger.
So betont Manufaktur-Chef Tilman Blaschke, wie viele Stunden und Nächte in die Bewerbung geflossen seien. Alles neben dem laufenden Geschäft. Deshalb lobt der Manufaktur-Geschäftsführer ausdrücklich Anja Hell, ohne die dieser Antrag nicht möglich gewesen wäre. Die Geschäftsführerin der Meissen Porzellan-Stiftung habe viel Engagement hineingesteckt. Sie meint, dass für sie, seit Weihnachten die freien Wochenenden selten gewesen wären.
Wegen der Corona-Kontaktbeschränkungen haben sich die Experten allerdings kaum persönlich getroffen, sondern diskutierten ihre wissenschaftlichen Ergebnisse per Videokonferenz. „Durch die digitalen Möglichkeiten war das jedoch kein Problem“, erklärt wiederum André Thieme, Bereichsleiter Museen der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten.
300 Jahre Geschichte auf 30 Seiten
Doch die beiden Wissenschaftler und weitere Experten haben sich nicht nur extra viel Mühe mit dem Antragsverfahren gegeben: Ihre gemeinsame Recherche war eine Voraussetzung, um die Welterbe-Kriterien der Unesco zu erfüllen. Notwendig war zum Beispiel, eine vergleichende Analyse durchzuführen. Das Erbe der Meissen-Manufaktur musste dem Vergleich mit anderen Porzellanherstellern standhalten. Etwa 250 weltweite Unternehmen wurden dafür in den Blick genommen.
Anja Hell ist deshalb froh, dass die Arbeitsgruppe die Frist Ende März eingehalten habe. Als Stiftungsvorsitzende sei es für sie dabei selbstverständlich gewesen, am Bewerbungsprozess teilzunehmen. Den Schutzstatus des Meissen-Porzellans weiter zu erhöhen, sei der Stiftungszweck. Auf ihrem Arbeitstisch liefen auch die gesamten Rechercheergebnisse aller Beteiligten ein, aus denen der Unesco-Antrag entstanden ist. Etwa 300 Jahre Geschichte auf 30 Seiten zu bringen, das wäre eine große Herausforderung gewesen. Allerdings eine, die sie stolz gemacht hätte. Denn erst durch den Vergleich wurde ihr und den anderen deutlich, welchen Stellenwert das Meissener Porzellan international hat und hatte.
„Der Blick von außen ist viel erhabener, als ich vermutet hätte“, so Anja Hell. Das vergesse sie manchmal in der täglichen Arbeit, in der sich die studierte Kunsthistorikerin um das Meissen-Museum kümmert. „Die Meissener Porzellanmanufaktur wurde im späten Barock zum ‚Trendsetter‘ für die gesamte Tisch- und Tafelkultur in Europa“, erklärt sie. Mit Porzellan gedeckte Tafeln wurden zum Standard. Zudem ist der Werkstoff bis heute der meist verbreitete Verbundstoff der Welt und werde als künstliches Kniegelenk oder Hitzeschild für Raumfahrtschiffe verwendet. Diese aktuelle Technik habe ihren Ursprung in Meißen. „Deshalb war der Bewerbungsprozess für mich sehr bewegend.“ Ihrer Meinung nach, ist es nun gelungen, den außergewöhnlichen Wert des Weißen Goldes aus Meißen zu formulieren.
Albrechtsburg und Manufaktur als Welterbe-Stätten
Dazu gehören die Stätten des Meissener Porzellans. Diese bestehen zum einen aus der Albrechtsburg als erster Produktionsstätte. „Das ist der Fixpunkt für die sächsische Identität“, erklärt André Thieme. Gerade das bauliche Erbe spiele europaweit in der ersten Liga mit. Doch die Wiege Sachsens ist auch bekannt für die erste Porzellanmanufaktur Europas, 1710 gegründet. Diese Bedeutung sei momentan wieder verstärkt im Mittelpunkt mit der aktuellen Dauerausstellung auf der Burg, die auch seit vergangenem Wochenende nach etwa 160 Tagen wieder besucht werden kann.
Zum anderen zählt die heutige Manufaktur dazu. Sie wurde 1861 bis 1865 im Triebischtal errichtet. Dort etablierte sich eine moderne industrielle Produktion des Porzellans, ohne die traditionelle Handwerkskunst zu vergessen. Die Bedeutung dieser beiden Stätten für Europa sei vergleichbar mit den Zentren der Porzellanherstellung in Jingdezhen für China und Arita für Japan, betont André Thieme.
Aktuell verzeichnet die Unesco-Welterbeliste 1.121 Stätten in 167 Ländern. Die meisten Eintragungen auf der Liste hat Deutschland mit 46. In Sachsen als Welterbestätten anerkannt sind bislang der Muskauer Park und die Montanregion Erzgebirge. Mit der Anmeldung und der Anerkennung zum Unesco-Welterbe verpflichtet sich der Freistaat, das Welterbe zu schützen, zu erhalten und an zukünftige Generationen weiterzugeben.
Zwei weitere Bewerber konkurrieren mit Meißen
Die Meißner Bewerbungsunterlagen beim sächsischen Staatsministerium für Regionalentwicklung sind nun der Beginn eines Prozesses, der noch länger andauern wird. Zunächst entscheidet sich, ob der Freistaat die Meißner Bewerbung für die sächsische Kandidatenliste nominiert. Denn Meißen muss mit anderen Kandidaten in Sachsen konkurrieren. Nur, dass es bislang drei Bewerber sind, teilt das Landesamt für Denkmalpflege mit. Von diesen kann Sachsen zwei Kandidaten vorschlagen, die als Unesco-Welterbe eingetragen werden sollen. Zunächst wird der Meißner Antrag jedoch von unabhängigen Gutachtern überprüft.
Wenn diese Hürde überwunden wird, besteht Hoffnung, den Welterbe-Titel zu erlangen. Ob das jedoch bis 2029 erfolgt, wenn Meißen 1.100 Jahre Stadtgeschichte feiert, ist nicht sicher. Schöne wäre es, sind sich alle Experten einig. So oder so: Durch das Unesco-Welterbe-Siegel würde der kulturelle Rang der historischen Porzellanstätten nochmals deutlich unterstrichen.
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