Peter Sodann will Staucha verlassen

Stauchitz. 120 Jahre wolle er am liebsten werden, sagte Peter Sodann einmal, sei aber nicht sicher, ob er das schaffe. Der Rücken tue ihm schließlich jetzt schon weh. Wie geht es dem Rücken vier Jahre später? "Ach, naja, es geht so. Für mein Alter kann ich ganz zufrieden sein, wenngleich die geistige Entwicklung, die ich mal hatte, mir durch die heutige Zeit genommen wird", sagt der 84-Jährige.
Peter Sodann steht in der ehemaligen Scheune in Staucha, zeigt auf einen riesigen Berg von gefüllten Pappkartons. "Das ist die Ausbeute von diesem Jahr. Alle diese Bücher haben die Leute in den neun Monaten hier abgegeben", sagt er. Die Bücher, die er so leidenschaftlich sammelt, wachsen ihm buchstäblich über den Kopf. Wie viele Exemplare in der Bibliothek, dem Antiquariat und den Lagern stehen, weiß er nicht. Die Zahl dürfte wohl sechsstellig sein. Kritik an seiner Leidenschaft lässt er nicht zu. "Ich mache das hier nicht aus Spaß, niemand hat mir da was zu sagen." Die Bücher alle unterzubringen, wurde zu einem großen Problem, nachdem ihm Räume in Oschatz gekündigt wurden. Seitdem war er auf der Suche.
Bücherkiste in Magdeburg
Die war jetzt von Erfolg gekrönt. Nach dem thüringischen Schmalkalden hat er nun auch seit kurzem ein Lager in Schönebeck in Sachsen-Anhalt. Rund 300.000 Bücher sollen dort lagern. Und nicht nur das. In Magdeburg auf dem Breiten Weg, einer "Prachtstraße" mitten im Zentrum, eröffnete er jetzt ein 100 Quadratmeter großes Ladenlokal, die "Bücherkiste Peter Sodann". Vermittelt hatte das der sachsen-anhaltinische Staats- und Kulturminister Rainer Robra (CDU). "Der Andrang dort ist wahnsinnig groß in den ersten Tagen", sagt seine Frau Cornelia Sodann-Brenner. Es soll dort sogar ein Café geben, schrieb eine Zeitung. "Das ist Quatsch", sagt der Schauspieler, frühere Tatort-Kommissar und ehemalige Intendant des Theaters Halle. "Wenn Besucher einen Kaffee wünschen, bekommen sie den auch. Aber Cafés gibt es dort rundherum genug."
Eingerichtet werden konnte das Geschäft durch einen Sponsor. "Ich habe mit Dr. Karl Gerhold in Magdeburg einen Gönner. Er hat mir schon mehrfach für die Bibliothek Geld gespendet und jetzt auch für den Laden", sagt Peter Sodann. Sein Ziel sei es gewesen, in allen drei mitteldeutschen Ländern eine Bibliothek zu haben. Das hat er jetzt geschafft.
Rückzug auch als Aufsichtsrat
In Staucha und Umgebung gibt es auch Gönner. Es sind 127, und sie nennen sich Genossenschaftsmitglieder. kommen nicht nur aus Sachsen, sondern aus vielen Teilen Deutschlands. Die 2018 gegründete Genossenschaft "Wider das Vergessen" soll die Peter Sodann-Bibliothek einmal in Eigenregie führen. Bis zu seinem 85. Geburtstag, so hatte der gebürtige Meißner, der in Weinböhla aufwuchs, mal gesagt, sollte die Genossenschaft 100 Mitglieder, besser 150, haben. Sieben Monate hat er noch Zeit, um auch das zweite Ziel zu erreichen. Sodann selbst will sich dann zurückziehen. Er ist derzeit stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender, facto aber der Chef, da es keinen Aufsichtsratsvorsitzenden gibt. "Ich werde auf der nächsten Versammlung meinen Rücktritt anbieten, bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Ich habe genug Bücher gesehen in meinem Leben ", sagt der 84-Jährige.
Er will sich nicht nur aus der Genossenschaft zurückziehen, sondern auch aus Staucha. Ihn und seine Frau zieht es zurück nach Halle. "Ich möchte einmal nicht auf dem Stauchaer Friedhof begraben werden. Da muss ich vielleicht neben Leuten liegen, die ich nicht mag", sagt er mit seinem typischen schwarzen Humor. Aber im Ernst: "Ich muss wieder unter Leute kommen. Mir fehlen die Gespräche mit Freunden, Bekannten, ehemaligen Kollegen. Hier in Staucha gibt es ja nicht mal eine Kneipe. Meine haben sie mir weggenommen", sagt er. Wann er und seine Frau umziehen, stehe aber noch nicht fest. "Derzeit sind wir in Halle auf Wohnungssuche, haben aber noch nichts Passendes gefunden", so Peter Sodann. Da mag zumindest Außenstehende überraschen. Immerhin hatte Sodann vor einiger Zeit sein Elternhaus in Weinböhla und auch sein Haus in Halle verkauft.
Seine Frau unterstützt die Pläne. "Wenn mein Mann etwas macht, dann richtig. Er kann nicht aufhören. Wenn er ein wenig räumlichen Abstand hat, fällt das Aufhören vielleicht leichter", sagt sie. Das Wohnhaus, die Bibliothek und die Scheune sollen aber nicht verkauft werden, die Bibliothek, wie geplant, von der Genossenschaft fortgeführt werden.
Auf die Idee, Bücher aus DDR-Zeiten zu sammeln und der Nachwelt zu erhalten, kam Peter Sodann 1990 in Halle. Ein zehnjähriges Mädchen sei zu ihm gekommen. "Herr Sodann, am Gewerkschaftshaus passiert etwas, was meinen Eltern nicht gefällt. Sie haben Angst", sagte das Kind. Sodann ging hin und sah, wie vor dem Gewerkschaftshaus mehrere Lkw standen, auf die massenhaft Bücher geworfen wurden. Was sie da machen, wollte er von den Leuten wissen. "Wir schmeißen die Russenschwarten weg. Und wenn Du nicht abhaust, schmeißen wir Dich gleich mit auf den Lkw", sollen diese geantwortet haben. Er ärgert sich noch heute: "Die Leute schmeißen nicht nur die Bücher, sondern auch ihr Gehirn weg", sagt er. Und zitiert Erich Kästner: "Die Erinnerung ist eine mysteriöse Macht und bildet den Menschen um. Wer das, was schön war, vergisst, wird böse. Wer das, was schlimm war, vergisst, wird dumm."
Immer noch auf der Suche
Peter Sodann vergisst nicht, was schön war. Das betrifft nicht nur Bücher. In seinen Räumen finden sich auch viele Leuchter. "Die hier stammen aus dem Kongresszentrum Leipzig. Das ist Bauhausstil, hergestellt wurden die 1946. Die Wessis wollten sie wegschmeißen", sagt er. Peter Sodann holte sie in seine Räume, wie viele andere Leuchter auch. Und wünscht sich nichts sehnlicher, als dass so manchem auch mal ein Licht aufgeht.
Peter Sodann ist weiter auf der Suche. Auf der Suche nach Räumen für seine Bücher. Dann auch die jetzt vorhandenen reichen nicht aus. Die Bibliothek ist auch jetzt weiterhin geöffnet, Bücher können aber auch über das Internet bestellt werden.