Meißen. Wie der Meissener Altmeister Ludwig Zepner wohl auf den frisch erschienen Adidas-Schuh mit einem an Manufaktur-Blumendekore angelehnten Muster reagiert hätte? Vielleicht wäre ein freundliches Nicken die Reaktion gewesen? Oder ein hintergründiges Schmunzeln? Möglicherweise auch ein leichtes Kopfschütteln.
Wir werden es nie erfahren. Zum zehnten Mal jährt sich dieses Jahr sein Todestag. Am 10. Januar 2021 wäre der gebürtige Niederschlesier 90 Jahre alt geworden. Die Meissen Porzellanstiftung nimmt dies zum Anlass, das Wirken des Designers und Künstlers mit einer Sonderschau zu würdigen. Die Umstände sind speziell. Nachdem das Museum bereits seit dem leichten Lockdown geschlossen ist, hat nun auch der Porzellanverkauf ein Ende gefunden. Stiftungschefin Anja Hell und ihre Kollegin Susanne Bochmann betreten Neuland.
Den Fernen Osten in den deutschen Osten geholt
In einem Raum des Museums wurden die Vitrinen freigeräumt, um einen konzentrierten Überblick zum Schaffen Zepners zu geben. An diesem Vormittag hat sich eine besondere Besucherin angemeldet. Für Gudrun Zepner, die Frau des früheren künstlerischen Leiters der Porzellanmanufaktur, darf eine Ausnahme gemacht werden. Sie soll die kleine Ausstellung direkt sehen dürfen. Für alle anderen Interessenten ist eine Präsentation mit Film im Internet in Arbeit.
"Anfangs waren die neuen Ideen meines Mannes und seiner Mitstreiter ja gar nicht gefragt", erinnert sich die rüstige Dame. Unter den ersten Nachkriegsdirektoren Herbert Neuhaus und Waldemar Wüstenmann ging es um eine fast sklavische Fortführung der Tradition. Neues kam für sie nicht infrage. Ludwig Zepner hatte sich unter diesen Umständen bereits von Meissen verabschiedet, suchte nach neuen Betätigungsfeldern. Dann allerdings erfolgte eine Wende.
Links der Tür in der ersten Vitrine des Zepner-Schauraums illustrieren zwei Ausschnitte aus Servicen von Rosenthal und Meissen die Geschichte. Die Formen sind modern, die Dekore reduziert. Von wegen, Meissen wäre im Barock steckengeblieben, wie es der frühere Manufaktur-Geschäftsführer Christian Kurtzke gern behauptete. Die 1960er stellen einen regelrechten Aufbruch dar. Wie auf vielen künstlerischen Gebieten wird nach dem Mauerbau an die Möglichkeit geglaubt, sich nun freier entfalten zu können.
Jägerlatein und Geschichten aus 1001 Nacht
Um Ludwig Zepner entsteht mit Heinz Werner, Peter Strang, später Rudi Stolle und Volkmar Bretschneider ein Kollektiv, das mit seinen kongenialen Entwürfen Meissen fit für die Moderne macht. Rosenthaler Formen finden sich in Meissener Entwürfen. Man schaut aufeinander, reagiert aufeinander. Die fünf Meissener dürfen in einem eigenen Atelier im Moritzburger Schloss fernab alltäglicher Zwänge schalten und walten. Der neue Manufakturchef Karl Petermann sieht die neue Vielfalt mit Wohlgefallen. Moritzburger Seerosen spiegeln sich in Dekor und plastischer Gestaltung. Aus der Bekanntschaft und Freundschaft mit den Moritzburger Jägern entsteht das verspielt-witzige Service "Jägerlatein", Watteau lässt grüßen. Meissen übernimmt erneut die europäische Vorreiterrolle, was Formen und Dekore anbelangt.
Dabei erlaubt der Staatsbetrieb seinen Vorzeigekünstlern, auch über den sozialistischen Tellerrand zu schauen. Keiner von ihnen wird sich bei Reisen nach Indien oder Japan ins Ausland absetzen. Zepner, Werner & Co. wissen nur zu gut, dass sie solche Freiheiten und derartige kreative Möglichkeiten wie in der DDR im Westen unter den Bedingungen der Marktwirtschaft nicht finden würden. In der Folge entstehen an orientalische Vorbilder erinnernde, raffinierte Gitterdurchbrüche bei Tellern und Vasen. Das Dekor "1001 Nacht" bringt den Fernen Osten in Wohnzimmer zwischen Fichtelberg und Kap Arkona. Die Orient-Begeisterung von Manufaktur-Gründer August dem Starken kehrt ausgerechnet im ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden zurück.
Für die breitere Masse entwickeln Zepner und sein Kollektiv die bis heute in ostdeutschen Haushalten weit verbreiteten, stark reliefierten Vasen. "Fleischklopfer", sagt Gudrun Zepner scherzhaft dazu. Der große Wurf gelingt schließlich mit dem im direkten Auftrag der DDR-Regierung entwickelten Geschirr "Der große Ausschnitt". Tonangebend sei in dieser Phase die neue Nachkriegssachlichkeit gewesen, heißt es im Begleittext zur Ausstellung. Dazu zählten die Multifunktionalität der Gefäße, Materialsparsamkeit und die Variabilität der Formen. Pompöses oder Verspieltes war nicht erwünscht.
Klein, aber fein. Das Fazit von Gudrun Zepner zur Sonderschau fällt positiv aus. Wesentliche Stationen Ludwig Zepners Schaffens werden mit prägnanten Beispielen illustriert. Stiftungschefin Anja Hell blickt derweil ins Frühjahr. "Wenn wir das Museum wieder öffnen dürfen, würde ich die Ausstellung gern noch einige Wochen zeigen", sagt sie.
- Hier wird es den Film zur Ausstellung zu sehen geben: http://www.porzellan-stiftung.de/