Meißen. Linda Karohl-Kistmacher zieht Schutzhandschuhe an. Nicht wegen Corona, sondern sie will einen besonderen Schatz berühren. Eine bedeutungsvolle Entdeckung für das Stadtmuseum Meißen. Denn es kehrt nun ein Familienmitglied zurück, das kurz vor der Wende auf dem Kunstmarkt landete. Nur durch Zufall ist das Gemälde wieder im Meißner Stadtmuseum vorzufinden. Es geht um ein Porträt des ehemaligen Ratsziegeleipächters Karl Gottlob Rudolph. Das Bild ist ein wichtiges Zeugnis des Verkaufes von Kunstwerken in der DDR, woran vor allem Meißen litt.
Eine beispiellose Meißner Geschichte
Ein kurzer Blick zurück: 1955 erhielt das Stadtmuseum das Porträt, gemeinsam mit anderen Bildern, die Rudolph’sche Familienmitglieder darstellen. Ab 1965 lagerte es in der Albrechtsburg, 1989 wurde es an die Staatlichen Kunstsammlungen übereignet. Danach war es verschwunden. Bis es 2019 in einem Dresdner Auktionshaus auftauchte. Ein Jahr später kaufte es Romy Donath. Durch Zufall. „Es war als Weihnachtsgeschenk für meinen Mann gedacht.“ Ihm ist beim Auspacken auf der Rückseite etwas aufgefallen: Drei unterschiedliche Nummern. Eine davon war auffällig: „Stm 235“. Der promovierte Kunsthistoriker vermutete, dass das Bild zum Museum gehören muss. Nach einem Bericht von Provenienzforscher Jan Scheunemann in der Sächsischen Zeitung meldete sich das Ehepaar Donath beim Stadtmuseum. Unter anderem mithilfe der rückseitigen Inventar- und Depotnummern konnte das Porträt zweifelsfrei dem Meißner Stadtmuseum zugeordnet werden.
Zwar sind Romy und Matthias Donath leidenschaftliche Sammler von Gemälden des 18. und 19. Jahrhunderts, doch dieses Bild sollte nicht auf ihrem Rittergut in Niederjahna untergehen. „Das Bild hat eine herausragende Bedeutung für die Stadt, deshalb müssen es zukünftige Generationen auch entdecken können“, so Romy Donath. Sie und ihr Mann übergaben das Gemälde dem Museum im Beisein von Oberbürgermeister Olaf Raschke und Museumsleiterin Linda Karohl-Kistmacher am Dienstag als Schenkung. Der Tag ist zufällig auch der Todestag des porträtierten Ratsziegeleipächters.
Linda Karohl-Kistmacher dankt dem Ehepaar Donath dafür. Denn das Bild zeuge von einer beispiellosen Meißner Geschichte. Die Direktorin spielt auf den massenweisen Verkauf von Kunstwerken in der DDR an, um Devisen zu erwirtschaften. Zwischen 1965 und 1977 wurden mehr als 500 Kunstwerke aus dem Stadtmuseum in die Albrechtsburg geschafft. Einerseits hatte das Museum kaum Lagermöglichkeiten. Andererseits wollte sich das Haus in den 1950er-Jahren als Kreismuseum profilieren. In der frühen DDR sollten Kreismuseen sich stärker zeithistorischen Themen sowie der Geschichte der Arbeiterklasse widmen. Für die alten Exponate war deshalb kein Platz mehr. Sie wurden 1988 an die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden überführt und danach ins Depot Mühlenbeck der Kunst und Antiquitäten GmbH, ein DDR-Außenhandelsbetrieb, geschafft. Von dort aus gelangte das Porträt Karl Gottlob Rudolphs im Dezember 1989 über ein Bremer Auktionshaus in den Kunsthandel.
Dem Museum fehlen insgesamt fast 250 Bilder
Kurz vor der Wende, wurden fast 700 Exponate der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden veräußert. Davon allein fast 550 aus Meißen. Etwa die Hälfte ist in den 1990er-Jahren ins Museum zurückgeholt worden. In dieser Zeit entstand auch ein Verlustkatalog, der noch fast 250 Bilder beinhaltet. „Von einigen Bildern wissen wir, wo sie sich befinden. Andere sind noch verschollen“, erklärt die Direktorin. Aber alle verlorenen Kunstwerke könne das Museum nicht kaufen, dafür fehle es an finanziellen Mitteln. „Vereinzelt haben wir Kunstwerke auf Ebay gefunden, die 4.000 bis 5.000 Euro kosten.“ Doch selbst dieser vergleichsweise kleine Betrag ist zu viel. Andere Gemälde kosten noch vielmehr.
Zum Beispiel das Bild „Junge Dame im Schaukelstuhl“. Das handelt das New Yorker Auktionshaus Bonhams 2019 für eine Preisspanne von 12.000 bis 18.000 Dollar, wie Jan Scheunemann herausgefunden hat. Der Wissenschaftler ist Experte in der Herkunftsforschung von Kunstwerken in der DDR und arbeitet seit 2018 bei der Kulturstiftung Sachsen-Anhalt. In seinem SZ-Artikel beschreibt er anhand des Gemäldes, dass die Abgabe der 547 Bilder für die Stadt Meißen ein kultureller und moralischer Verlust sei. Denn die meisten Werke stammten auch aus privaten Sammlungen oder Stiftungen. Im Zuge der sogenannten Bodenreform in der DDR wurden ab 1945 Schlösser samt darin befindliche Kunstwerke angeeignet und für Devisen verkauft.
Das Porträt von Karl Gottlob Rudolph hatte aber Glück, denn es wandert nicht mehr durch den Kunsthandel. Oberbürgermeister Olaf Raschke ist jedenfalls dankbar, dass das Ehepaar Donath dem Stadtmuseum das Gemälde schenkt und der zukünftigen Generation den Zugang ermöglicht. Das sei in seinen Augen nicht selbstverständlich. „Seine bewegte Geschichte macht dieses Porträt zu einem wichtigen Zeitzeugnis des 19. und zugleich auch des 20. Jahrhunderts“, sagt der Oberbürgermeister.
- Fachkonferenz "VEB Kunst – Kulturgutentzug und Handel in der DDR"
- Zur Übereignung von Kunstwerken in der DDR
- Deutschlandfunk-Beitrag: "Entzug von Kunst- und Kulturgut in der DDR. Museen rekonstruieren die Herkunft ihrer Objekte" (2019)