"Wer Corona überlebt, schafft alles"

Meißen. Ein Konzert in Pandemiezeiten: Das bringt manchmal skurrile Szenen hervor. Vor einem angekippten Terrassenfenster hat Marion Fiedler ihr Set aufgebaut. Gitarren, Mikrofon, Notenständer. Drinnen sitzt eine Handvoll Senioren. Sie freuen sich über etwas Abwechselung, auch wenn dickes Fensterglas zwischen Künstlerin und Publikum steht.
Die Musikerin beschreibt die Erfahrung der vergangenen Monate so: Sie fühle sich wie ein Fisch, der auf dem Trockenen schwimmt. "Egal, wie stark ich mit den Flossen schlage, ich komme nicht voran." Auf Auftritte musste sie wie viele Kollegen wegen des Corona-Lockdowns verzichten. In der Kulturbranche ist schon lange nichts mehr im Fluss. Doch nun erfasst die Sängerin eine kleine Welle.
Marion Fiedler hat ihre Musik zu den Menschen gebracht, die zwar stark im Fokus der Pandemie stehen, aber dennoch vergessen werden. Senioren in Altenheimen. Ihr Alltag hat viel an Farbe verloren. Abwechslung durch Kulturangebote und damit wichtige sinnliche Reize bleiben auch hier seit Wochen aus. Gerade als Tochter eines demenzkranken Vaters weiß Marion Fiedler: "Musik ist für sie wichtig, um sich wohlzufühlen. Auch wenn sie abwesend und unkonzentriert wirken." Nach ihrem Auftritt sagt die junge Frau, Jahrgang 1984, sichtlich erregt: "Mir wird jetzt erst klar, was mir gefehlt hat."
Nashville Sound aus Sachsen
Zwar konnte sie trotz Corona viele Lieder komponieren, doch sie nennt das nur einen kleinen Trost. "Ich will die Menschen erreichen. Dafür muss ich in ihre Gesichter sehen und ihre Stimmung wahrnehmen." Das gehe nur bei Konzerten. Dabei ist Marion Fiedler egal, wie viele Menschen im Publikum sitzen. Ob als Straßenmusikerin, in kleinen Clubs, vor 11.000 Menschen beim Kirchentag oder im Hinterhof des Seniorenparks Carpe Diem in Meißen – beim Singen und Musizieren ist sie, unabhängig von der Größe der Bühne, in ihrem Element.
Auf Einladung Karsten Voigts, Kantor der St.-Afra-Kirchgemeinde, wird für die Dresdnerin die Terrasse im Hinterhof des Seniorenparks zwischen Maschendrahtzaun und angekippten Fenstern zum Podium für ihre Lieder. UKA-Gesellschafter Ole-Per Wähling unterstützt den Auftritt. Weitere Konzerte mit verschiedenen Künstlern in anderen Einrichtungen sollen folgen.
Marion Fiedler hält Blickkontakt zu den Senioren. Lächelt unentwegt, während sie auf der Gitarre zupft und gleichzeitig singt. Fordert regelmäßig zum Klatschen und Mitsingen auf. Vor dem optimistischen Volkslied "Kein schöner Land in dieser Zeit" spricht sie von der Hoffnung, die sie hat. Es ist der Blick in eine Zukunft, in der Corona erfolgreich bekämpft wurde. Zwar erklärt sie, dass wir wohl alle lernen müssten, mit dem Virus zu leben, aber: "Wer Corona überlebt, schafft alles."
In vielen Songs stecken bluesige, Country-artige Gitarrenriffs. Dass Marion Fiedler mehrere Jahre in Nashville, Tennessee, lebte, blitzt immer wieder durch die verspielten Arrangements. Die US-amerikanische Stadt ist bekannt für ihre Countrymusik, die auch als Nashville Sound berühmt geworden ist. Dort studierte sie Musik an der Belmont University. Daneben begeistert sie sich für englische und französische Literatur sowie unterschiedliche Kulturen.
"Ich verreise gern, das hat mir in den vergangenen Monaten gefehlt." Sie liebe es, unterschiedliche Bräuche in anderen Ländern kennenzulernen. Nicht selten kommt ihr genau in diesen Momenten eine Idee für einen neuen Song. Für ihr letztes Album schrieb sie den Titelsong zum Beispiel auf dem Alpenriesen Mont Blanc. Deswegen sei die aktuelle Reisebeschränkung für sie unerträglich. Denn auch der kreative Austausch mit Freunden und Mitmusikern fehle.
Corona verschärft prekäre Lage von Künstlern
Trotz allem will sie sich dennoch eine positive Einstellung bewahren. "Durch Corona müssen die Menschen ihren gewohnten Alltagstrott verlassen und sich anpassen." In ihren Augen sei aber Veränderung immer gut. Dennoch muss auch sie bei allem Optimismus zugeben, dass gerade Künstler nahe am Abgrund stehen. Vor allem finanziell. Schon vor Corona wurden Künstler schlecht bezahlt und lebten teilweise sehr prekär. Corona habe die Situation noch weiter verschärft, so Marion Fiedler.
Sie selbst lebte in den vergangenen Monaten von ihren Ersparnissen. "Als Künstlerin bin ich momentan mehr bei mir als sonst. Ich kann ungestört komponieren oder mein neues Album produzieren." Mit einer befreundeten US-amerikanischen Künstlerin entstehe zudem gerade ein Pandemie-Song. "Ob ich davon aber in Zukunft leben kann? Da bin ich pessimistisch."
Doch als Marion Fiedler ihren Auftritt hat, merkt man nichts von ihren Zweifeln. Sie ist ein Profi. Genauso wie ihre Hündin Bagheera. Denn diese ist beim Konzert für die Senioren in Meißen entscheidend. Ihr hat die Sängerin ein eigenes Percussion-Set aufgebaut. Bagheera verpasst dabei nie ihren Einsatz. Zur Freude der Bewohner im Seniorenpark Carpe Diem, die zwar nicht durchweg klatschen oder mitsingen. Aber wenn die Hündin mit der Schnauze das Schlagholz berührt, entlockt sie den Senioren ein Lächeln.
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