Meißen
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Viel Wind um nichts

Ein Mann soll im Landratsamt randaliert haben. Er wird wegen Sachbeschädigung angezeigt. Es wird eine Justizposse.

Von Jürgen Müller
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Der Angeklagte soll im Landratsamt einen Ventilator beschädigt haben. Tatsächlicher Schaden: null Euro. Dennoch wird er von der Behörde angezeigt.
Der Angeklagte soll im Landratsamt einen Ventilator beschädigt haben. Tatsächlicher Schaden: null Euro. Dennoch wird er von der Behörde angezeigt. © dpa

Meißen. Generalstaatsanwalt Hans Strobel hat sie 2019 in Sachsen durchgesetzt, die „Null-Toleranz-Strategie“. Die besagt, dass die sächsische Justiz bei Bagatelldelikten härter durchgreifen soll. Weil Staatsanwälte weisungsgebunden sind, halten sie sich strikt daran. Das produziert so manche Justizposse. Wie in diesem Fall.

Einem Mann wird vorgeworfen, im Meißner Landratsamt randaliert zu haben. Dabei soll er einen Ventilator beschädigt haben. Der Schaden bestand wohl darin, dass sich das Abdeckgitter löste. Es konnte jedoch komplett wieder aufgesetzt werden, der Ventilator funktionierte danach wieder einwandfrei. Das Landratsamt erstattete dennoch Anzeige wegen Sachbeschädigung. Der Sachschaden wurde auf 40 Euro beziffert. Das ist mehr als der Neupreis eines solchen Ventilators.

Die Staatsanwaltschaft leitete ein Verfahren ein. Richter Michael Falk erließ aber keinen Strafbefehl. Er wollte die Sache in einer Verhandlung klären. Doch das war in zweifacher Hinsicht sehr aufwendig. Denn der Mann sitzt im Gefängnis in Dresden. Zur Verhandlung wegen dieser Bagatelle hätte er vorgeführt werden müssen. Doch einen Tag vor der Verhandlung erfährt der Richter, dass der Mann, der eine Geldstrafe, die er nicht bezahlen konnte, absaß, vorzeitig entlassen wurde. Möglicherweise hatte er im Gefängnis Sozialstunden geleistet und die Strafe damit abbezahlt. 

Dolmetscherin aus Königs-Wusterhausen

Doch das ist noch nicht alles. Der Mann ist Slowake. Weil es in der Region keine für das Gericht zugelassenen Dolmetscher für Slowakisch gibt, musste eine Dolmetscherin aus Königs-Wusterhausen anreisen.

Die Verhandlung kann dennoch nicht stattfinden. Grund: Der Angeklagte fehlt. Zwar wurde ihm die Ladung sowohl ins Gefängnis als auch an seine Dresdner Wohnadresse geschickt. Allerdings nur in Deutsch. Dass er nicht da ist, hat wohl noch einen anderen Grund. Dem Mann wurde die Freizügigkeit innerhalb der EU aberkannt. So etwas ist äußerst selten, die Hintergründe sind unklar. Möglicherweise hängt es mit einer siebenmonatigen Haftstrafe auf Bewährung zusammen, die das Amtsgericht Dresden 2017 verhängte. Er ist jedenfalls seit längerem ausreisepflichtig. 

Kurios: Obwohl das noch nicht rechtskräftig ist, muss er das Land verlassen. Fürchtete er, gleich vom Gericht aus in Abschiebehaft zu kommen?

Erschienen ist die Zeugin, eine Mitarbeiterin des Meißner Landratsamtes. Statt Verhandlung gibt es eine richterliche Vernehmung. Der Mann sei wöchentlich im Landratsamt gewesen und habe sich schon des Öfteren ungebührlich benommen, sagt sie. Er forderte eine Wohnung und mehr Geld. Weil er ausreisepflichtig ist, hat er aber nur Anspruch auf Grundsicherung. Zudem wurde er in einer Asylbewerberunterkunft in Großenhain untergebracht. Das alles passte ihm nicht. Er habe vor Wut mit der Faust um sich geschlagen, dabei den Ventilator getroffen, sagt die Zeugin. Es war also keine Absicht. Eine fahrlässige Sachbeschädigung ist aber straffrei. Ob sie ihren Strafantrag zurücknehmen wolle, will der Richter von der Zeugin wisse. Dazu sei sie nicht befugt, das müsse im Landratsamt entschieden werden.

Vorführung oder Sitzungshaft?

Die Staatsanwaltschaft will sich nun mit der Behörde in Verbindung setzen. Wird der Strafantrag nicht zurückgenommen, muss doch verhandelt werden. Dazu müsste der Angeklagte polizeilich vorgeführt oder notfalls ein Sitzungshaftbefehl verhängt werden. Er säße dann bis zur Verhandlung im Gefängnis. Auch das verursacht wieder Kosten. Der Richter könnte ihn auch freisprechen, wenn keine Straftat vorlag. Allerdings: Auch da müsste der Angeklagte erscheinen. Möglich also, dass die Posse weitergeht.

Dennoch gibt es Gewinner und Verlierer. Eine Gewinnerin ist die Dolmetscherin. Sie reiste zwei Tage eher mit ihrem Ehemann nach Meißen, verband das gleich mit einem Kurzurlaub. Ihre Kosten bekommt sie  ersetzt,  die für ihren Ehemann und die zusätzlichen Übernachtungen natürlich nicht. Gewinnerin ist auch die Mitarbeiterin des Landratsamtes.  Obwohl ihr Ventilator nicht kaputt ist, bekam sie ein neues, moderneres Model.

Der große Verlierer ist der Steuerzahler. Der finanziert das alles nämlich. Und auch die Justiz kann sich nicht als Gewinnerin zählen. Ob einer solchen Posse könnte der eine oder andere auf die Idee kommen, man habe nichts Wichtigeres zu tun. Null-Toleranz-Strategie ist ja gut und schön. Man kann es aber auch übertreiben.