"Machen wir Eensfünfe?"

Meißen. Die 24-jährige Coswigerin ist gerade in Meißen angekommen an jenem 10. März 2019, hat ihren Seat auf der Wettinstraße in Meißen ordnungsgemäß abgestellt und geht zur Arbeit. Keine 15 Minuten später kommt eine Kollegin ganz aufgeregt zu ihr. "Dein Auto ist kaputt, es hat einen Unfall gegeben", sagt sie.
Die Frauen gehen nach draußen. Der linke Außenspiegel des gerade einmal sechs Monate alten Seat ist abgefahren worden, Splitterteile sind über die ganze Straßenbreite verteilt. Auch an der Fahrertür und an der Seitenscheibe gibt es Beschädigungen. Es muss einen mächtigen Anstoß gegeben haben. Den hat sogar ein Mann gehört, der sein Auto gerade auf dem in der Nähe befindlichen Norma-Parkplatz abstellt.
Zwei Wochen ohne Auto
Der Schreck ist groß, der Ärger aber noch viel größer. Denn von dem Unfallverursacher gibt es keine Spur. Er ist einfach abgehauen. Besser: Sie ist abgehauen. Denn es handelt sich um eine 53-jährige Frau aus Meißen. Fast zwei Jahre später sitzt sie nun wegen unerlaubten Verlassen des Unfallortes vor dem Meißner Amtsgericht. Dass sie ermittelt werden konnte, hat die Geschädigte ihrer Kollegin zu verdanken. Sie hat den Unfall beobachtet und sich die Autonummer der Raserin notiert.
Der Schaden, der an dem Seat entstand, beträgt rund 1.600 Euro. Die Versicherung der Angeklagten hat ihn vollständig ersetzt, nach drei Monaten. "Ich hatte die ganze Rennerei, war zwei Wochen ohne Auto", sagt die Geschädigte. Am Unfalltag musste sie eine Stunde auf die Polizei warten, eine weitere Stunde habe die Unfallaufnahme gedauert. Die Zeit habe sie nacharbeiten müssen.
Aufs Autofahren verzichten will die Angeklagte hingegen nicht. Sie hat einen gerichtlichen Strafbefehl erhalten, in dem sie zu einer Geldstrafe und einem Fahrverbot verdonnert wird. Das will sie aber vermeiden. Und so geht sie in Einspruch.
Nun also wird verhandelt. Doch schon vor Beginn stürzt der Verteidiger aus dem Saal, als er die Staatsanwältin sieht, redet auf sie ein. Er will, dass das Verfahren eingestellt und damit ein Fahrverbot verhindert wird. Die Richterin tritt hinzu, alle drei verhandeln nun im Flur des Amtsgerichtes.
Die Richterin ist einverstanden, die Staatsanwältin nicht. Schließlich macht der Anwalt einen Vorschlag. "Machen wir Eensfünfe und dafür kein Fahrverbot", sagt er. Damit steht das Ergebnis schon vor Verhandlungsbeginn fest. Zwei Zeugen und Besucher sitzen im Verhandlungssaal, hören alles mit und trauen ihren Ohren kaum.
Für "sportliche Fahrweise" bekannt
Der Verteidiger begrenzt seinen Einspruch plötzlich auf die Rechtsfolgen, also auf die Höhe der Strafe. Hat den Vorteil, dass weder der Strafbefehl noch das Sündenregister der Angeklagten öffentlich verlesen werden.
Die Richterin macht "Eensfünfe". Das heißt, die Angeklagte muss eine Geldauflage von 1.500 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen. Das ist zwar mehr, als im Strafbefehl stand, dafür erkauft sie sich aber, dass das Fahrverbot wegfällt. Außerdem muss sie drei Termine bei einem Verkehrspsychologen wahrnehmen. Die Richterin spricht jetzt von einem "Rechtsgespräch zwischen der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft auf dem Flur", als wäre sie nicht dabei gewesen.
Die Angeklagte sei ihr durch ihre "sportliche Fahrweise " bekannt, hatte die Staatsanwältin zuvor gesagt. Ein Fahrverbot sei aber rechtlich nicht mehr zu begründen, weil die Tat so lange zurückliege und die Angeklagte geständig sei.
Das war sie nicht immer. Bei der Polizei soll sie angegeben haben, den Unfall nicht bemerkt zu haben. "Das ist doch ein Lacher", sagt die Geschädigte, die den Verlauf der "Verhandlung" nicht verstehen kann. "Ich fühle mich beschissen. Da werde ich als Zeugin geladen, muss von der Arbeit frei nehmen, und dann werde ich nicht mal angehört. Die Angeklagte hat sich bis heute nicht bei mir gemeldet oder gar entschuldigt, auch heute nicht", sagt sie.
Ein Unfall könne jedem mal passieren, doch einfach abzuhauen, sei ein starkes Stück. "Dafür hätte sie meiner Meinung nach hart bestraft werden müssen. Wäre meine Kollegin nicht so aufmerksam gewesen, wäre ich auf dem Schaden sitzengeblieben", so die 24-Jährige. Ihr Auto parkt sie jetzt nicht mehr auf der Straße, sondern auf dem Firmenparkplatz.
Kleiner Trost für sie: Die Angeklagte muss nicht nur die Gerichtskosten bezahlen, sondern wird auch in der Haftpflichtversicherung hochgestuft.