Meißen. Das hat Carolin Pluskat noch nicht erlebt. Die Filialleiterin bei Apollo-Optik im Elbecenter ist schon lange im Geschäft, aber eine 102-Jährige hat noch nie eine Brille bei ihr geordert. "Die älteste Kundin, an die ich mich erinnern kann, war 93 Jahre alt", sagte sie. Es ist Montagnachmittag und die 102-Jährige sitzt nun bei ihr am Tisch. Es gibt eine Einweisung in das neue Modell. Die Brille wird probiert und feinjustiert.
Die betagte Frau ist in Meißen keine unbekannte. Margarete Hummel war vor nicht allzu langer Zeit in der Zeitung gewesen, sogar zweimal. Erst, als sie ihren 102. Geburtstag feierte, und wenig später als ein Wunsch in Erfüllung ging: Einmal auf einem Kamel zu sitzen. Jetzt also eine neue Brille. "Gleitsichtbrille, um genau zu sein", so Filialleiterin Carolin Pluskat.
Frau Hummel war mit ihrem bisherigen Modell unzufrieden. Sie hatte bisher eine sogenannte Bifokal-Brille, also eines der Modelle, bei dem Nah- und Fernsicht-Funktion an einer Stelle strikt getrennt sind. "Die war nicht gut", befand die Seniorin. Sie habe ständig über die Brille gelugt. "Meistens habe ich sie gar nicht benutzt", schob sie hinterher. Irgendwann stand sie im Optiker-Fachgeschäft. "Das hat uns auch überrascht", gab Pluskat zu.
Ein Bubikopf obendrauf
"Menschen im betagten Alter oder deren Angehörige winken häufig ab, wenn es um eine neue Brille geht. Tenor: Lohnt sich nicht mehr. Ich persönlich finde das traurig", erzählte die Filialleiterin weiter. Sie weiß auch, dass Gleitsichtbrillen mit Vorurteilen zu kämpfen haben: Lange Eingewöhnung, komisches Gefühl beim Treppensteigen usw. "So pauschal kann man das nicht sagen. Am Ende muss man das einfach selbst probieren", so Carolin Pluskat weiter. Schwierig, wenn die Gläser individuell angefertigt werden, dabei Kosten entstehen, und es am Ende nicht passt. "Nicht unbedingt. Man kann die neue Brille zwei Monate testen und innerhalb dieser Zeit zurückbringen bei voller Kostenerstattung", sagte die Apollo-Frau.
Es bleiben an diesem Nachmittag kaum Zweifel, dass Frau Hummel und ihre neue Gleitsichtbrille ziemlich schnell Freunde werden könnten. "Ich bin bisher sehr zufrieden", sagte die Seniorin. Bei einer Gleitsichtbrille wird von der Ferne bis zum Nahbereich alles abgedeckt. Die Übergänge verlaufen fließend. "Früher konnte Frau Hummel TV schauen oder Kreuzworträtsel lösen. Was vielleicht auf dem Tisch vor ihr lag, hat sie nicht gut gesehen. Damit ist nun Schluss", so die Expertin. Ihr Gestell hatte sich die 102-Jährige selbst herausgesucht. Das neue Modell verfügt auch über selbst tönende Gläser, kann also auch als Sonnenbrille genutzt werden.
Der Clou: Für die neue Brille musste Frau Hummel nichts bezahlen. Es ist Teil der Firmenphilosophie, dass (über) 100-Jährige Gestell und Gläser kostenfrei bekommen. Weil die neue Brille dennoch sehr hochwertig ist (etwa 1.000 Euro), schloss die Seniorin eine entsprechende Versicherung (kostenpflichtig) ab. Neben der Gratis-Brille erhielt sie noch einen Bubikopf. "Ich denke, da hat Frau Hummel mehr davon als von einem Strauß Blumen", schmunzelte Carolin Pluskat.
Trotz ihres stolzen Alters war Margarete Hummel in den letzten Jahren häufig noch auf Tagesausflügen unterwegs gewesen. Das Waldbad in Oberau besucht sie ebenfalls. Möglicherweise hilft die neue Brille auch beim Pilze-Sammeln, einem weiteren Hobby der 102-Jährigen.