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Meißen: Der Nachbar stirbt, die App schlägt Alarm

Bei einem Herzstillstand zählt jede Sekunde. Die kostbare Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte könnte künftig besser genutzt werden.

Von Andre Schramm
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Marcel Damme und sein Team machen sich dafür stark, dass die Lebensretter-App auch im Landkreis Meißen bald funktioniert. Dafür braucht es Geld.
Marcel Damme und sein Team machen sich dafür stark, dass die Lebensretter-App auch im Landkreis Meißen bald funktioniert. Dafür braucht es Geld. © Claudia Hübschmann

Meißen. Etwa 70.000 Menschen erleiden jedes Jahr außerhalb eines Krankenhauses einen plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand. Die Überlebensrate für diese Patienten ist gering. Sie liegt bei gerade einmal zehn bis 15 Prozent. Das Problem, so sagt Marcel Damme, sei die Zeit bis zum Eintreffen der Rettungskräfte. "Schon nach drei bis fünf Minuten kann es zu irreversiblen Hirnschäden kommen. Der Rettungswagen braucht in Deutschland im Durchschnitt aber zwischen acht und zwölf Minuten", so der 32-Jährige weiter. "Die Wahrscheinlichkeit ist also ziemlich hoch, dass der Patient dann entweder tot oder den Rest seines Lebens ein Pflegefall ist", erklärt er.

Marcel Damme ist gelernter Rettungssanitäter und hat leider schon viele dieser Situation erlebt. Seit sechs Jahren studiert er Medizin. Bei einem Reanimationslehrgang vor einigen Jahren wurde der Meißner auf ein neues System der Reanimationsversorgung aufmerksam. Es nennt sich "Region der Lebensretter" und wurde von dem Notfall- und Intensivmediziner Prof. Dr. Michael Müller entwickelt. Dahinter verbirgt sich eine App für Smartphones (IOS/Android-Systeme), die Helfer und Patienten zusammenbringen will, und zwar zügig. Der 32-Jährige schloss sich daraufhin mit drei weiteren Medizinern aus Dresden zusammen, um diese Möglichkeit der Erstversorgung auch in unserer Region zu etablieren. Das Team arbeitet ehrenamtlich.

So funktioniert's

"Über diese App können professionelle Helfer in der Nähe des Patienten bei einem Notfall alarmiert werden. Der Vorteil: Sie sind dann viel schneller als die regulären Einsatzkräfte vor Ort, um mit Wiederbelebungsmaßnahmen zu beginnen", erklärt Damme weiter. Die Alarmierung soll, ebenso wie bei normalen Rettungskräften, über die Leitstelle Dresden erfolgen. Hier landen die Notrufe aus dem Landkreis Sächsische Schweiz – Osterzgebirge, der Landeshauptstadt Dresden und dem Landkreis Meißen. Etwa 1,1 Millionen Menschen leben in diesem Gebiet.

"Der Helfer bekommt in so einem Fall dann eine entsprechende Information auf sein Smartphone und kann dann entscheiden, ob er annimmt oder nicht", erklärt der Student. Manchmal, so erzählt er weiter, befänden sich ausgebildete Lebensretter gleich um die Ecke, wüssten aber nicht, dass jemand nebenan gerade dringend Hilfe braucht.

Damit das Programm hierzulande genutzt werden kann, gilt es noch ein paar Hürden zu überwinden. Zunächst müssen sich genügend Helfer in der App registrieren. "Das können u. a. Krankenhausschwestern, Rettungsdienstler, Ärzte, Katastrophenschutzhelfer oder Feuerwehrleute sein", erzählt der Mediziner weiter. Als Mindestanforderung wird die Sanitäter-Ausbildung angegeben. Viele Mitglieder von Hilfs- und Rettungsorganisationen aus der Region, so sagt Damme, hätten bereits ihre Unterstützung signalisiert. Der weitaus schwierigere Part ist die Finanzierung. Damit die App bei uns funktioniert, muss die Software in der Leitstelle Dresden integriert werden. Dazu werden 40.500 Euro benötigt. Weitere 10.000 Euro kostet die notwendige Schnittstelle.

Etwa 1.000 Einsätze pro Jahr

Seit Freitag läuft deshalb eine Crowdfunding-Aktion (Spendensammlung) auf der Plattform "99funken". Titel: "Region der Lebensretter Dresden und Elbland". Wird die Summe erreicht, kann das Projekt starten. Das Fundingziel liegt allerdings bei 70.500 Euro. "Jeder Helfer soll zudem eine Weste und eine Beatmungshilfe bekommen", erklärt der Mitinitiator. Gesammelt wird bis 17. Februar 2023. Die Initiatoren haben dabei vor allem Apotheken und Unternehmen im Blick. Privatpersonen können das Projekt natürlich auch unterstützen. Zuletzt wurde eine ähnliche Spendensammlung in Ostsachsen durchgeführt – mit Erfolg. "Die App soll dort bereits in den nächsten Wochen online gehen", sagt Damme.

In Baden-Württemberg, genauer noch in der Stadt Freiburg und Umgebung, hat man mit der Retter-App seit 2018 viele Erfahrungen gesammelt. "Im zweiten Halbjahr 2019 gab es hier 577 Einsätze. Im ersten Halbjahr 2020 waren es 334", sagt Damme. Hochrechnungen gehen davon aus, dass die Zahl in unseren Breiten bei etwa 1.000 pro Jahr liegen wird. Um die beiden Landkreise und die Stadt Dresden flächendeckend zu versorgen, bräuchte man allerdings 4.000 Helfer mit der entsprechenden Ausbildung. Dazu müssten sie noch gleichmäßig verteilt sein. "Das hinzubekommen, wird natürlich schwer. Aber auch mit weitaus weniger Ehrenamtlichen lässt sich schon viel bewegen", sagt Damme mit Blick auf Freiburg. Dort hatten sich im ersten Jahr "nur" 276 Helfer registriert. Sie konnten immerhin schon rund 30 Prozent der über die App gemeldeten Einsätze übernehmen. Das digitale Tool kann allerdings noch mehr. Es kennt die Standorte der Defibrillatoren in der näheren Umgebung.

Bundesweit könnten jedes Jahr etwa 10.000 Menschen gerettet werden, wenn zeitnah wiederbelebt wird. Ein Problem in diesem Zusammenhang ist die niedrige Laienhelferquote in Deutschland. Sie liegt bei 40 Prozent, und damit halb so hoch wie in skandinavischen Ländern.

Informationen: www.99funken.de/region-d-lebensretter-dresden