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Darum lebt ein Schiedsrichter „mit sechs Frauen zusammen“

Thomas Napp ist Schiedsrichter aus Leidenschaft. 1.000 Spiele hat er mittlerweile begleitet. Die Zeit für das Hobby ist knapp bemessen. Der Familienvater fährt auch eine Straßenbahn durch Dresden.

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Schiedsrichter Thomas Napp mit seinen Töchtern Wilma (drei Jahre alt) und Smilla (zwei Jahre alt).
Schiedsrichter Thomas Napp mit seinen Töchtern Wilma (drei Jahre alt) und Smilla (zwei Jahre alt). © privat

Dresden. Er ist ein Spätstarter und das ist keineswegs negativ gemeint. Thomas Napp, 51 Jahre alter Schiedsrichter, leitete am vergangenen Sonntag das Kreisoberligaspiel zwischen dem FV Zabeltitz und dem LSV 61 Tauscha (0:1). Es war sein 1.000 Einsatz als Unparteiischer beziehungsweise Assistent an der Seitenlinie. Durch den Kreisverband Fußball Meißen wurde er mit der Ehrennadel in Silber ausgezeichnet.

In der Saison 2018/19 brachte es Napp auf sage und schreibe 82 Einsätze. Warum er diese Zahl heute nicht mehr erreichen kann, erzählt er unter anderem im ausführlichen SZ-Gespräch.

Thomas, Glückwunsch für den 1.000 Einsatz und die Ehrung. Wie verlief Ihr Jubiläumsspiel?

Erstaunlich ruhig, was das Auftreten der Spieler auf dem Platz betraf. Ich selbst war zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder aufgeregt, aber mit dem Anpfiff war das erledigt. Über die Auszeichnung habe ich mich sehr gefreut. Und die aufrichtigen Glückwünsche der Spieler und Funktionäre beider Vereine bestätigen mir, doch einiges richtig gemacht zu haben.

Gibt es einen Schiedsrichter im Profifußball, dessen Spielleitung Sie als eine Art „Leitbild“ bezeichnen würden?

Nein. Ich denke, jeder Schiedsrichter muss seine eigene Linie finden. Ich versuche, meine jede Woche so gut wie möglich umzusetzen. Jedes Spiel ist anders, aber die Linie eines Schiedsrichters, die Ausstrahlung und die Klarheit der Entscheidungen sind in meinen Augen das Wichtigste.

Wie kommt man mit 29 Jahren auf die Idee, sich als Schiedsrichter an fast jedem Wochenende beschimpfen zu lassen?

Gute Frage! Angefangen hat alles 2001. Ich war als Fan von Stahl Riesa regelmäßig auf dem Fußballplatz unterwegs und wurde von Rainer Schwurack gefragt, ob ich Lust hätte, Schiedsrichter zu werden. Ich sagte spontan zu, aber als der erste Tag der Ausbildung heranrückte, wollte ich kneifen. Zum Glück habe ich das nicht getan und bekam am 19. August 2001 mein erstes Spiel in Wülknitz. Am Ende stand es 0:9. Es war kein schwer zu leitendes Match. Nun bin ich bei 1.000 Einsätzen. Schon verrückt.

Und die Kehrseite der Medaille?

Sicher gab es auch nicht so Schönes, aber das habe ich immer schnell weggesteckt. Das muss man auch können, ansonsten würde das gar nicht gehen. Leider wird vor allem von außen immer viel reingetragen. Junge Schiedsrichter können damit nicht immer gut umgehen und manche hören schnell wieder auf. Ich gebe definitiv immer mein Bestes, auch wenn ich die eine oder andere Entscheidung nach dem Abpfiff schon bereut habe.

Wurden Sie schon einmal tätlich angegriffen?

Ja, das ist auch schon passiert. Ich wurde zweimal während des Spiels von einem Spieler umgestoßen. Ein anderes Mal bekam ich nach dem Duschen auf dem Weg zum Auto den fast vollen Inhalt eines Bierglases ins Gesicht. Da hat man sich abends schon die Frage gestellt: Warum machst du das hier eigentlich? Am folgenden Wochenende hatte ich es aber schon verarbeitet und pfiff die nächste Partie an.

Zu Ihrem Jubiläumsspiel war auch Schiedsrichterin Liesa Malina anwesend. Was verbindet Sie mit Ihr?

Eine meiner schönsten Erfahrungen als Schiedsrichter. 2009 habe ich die damals zwölf Jahre alte Liesa zu einem Spiel abgeholt und wir haben bis heute zusammen die eine oder andere brisante Partie absolviert. Seit dieser Saison leitet sie Begegnungen in der Frauen-Regionalliga. Ihre Entwicklung erfüllt auch mich mit Stolz. Bei meinem Jubiläumsspiel durfte sie nicht fehlen.

Leiten Sie nur auf Kreisebene oder auch höherklassig?

Dadurch, dass ich spät eingestiegen bin, hat es „nur“ bis zur Kreisoberliga gereicht. Allerdings durfte ich einige Jahre Futsalspiele auf Landesebene in der Halle leiten.

Gibt es eine Altersbegrenzung?

Für die einzelnen Spielklassen, ja. In der Kreisoberliga darf man hier bis zum Alter von 55 Jahren pfeifen. Für die Kreisklasse oder als Assistent gibt es keine Beschränkung, sofern man den Einstufungstest besteht. Es gibt zahlreiche Sportfreunde jenseits der 70, teilweise sogar der 80, die beinahe jedes Wochenende unterwegs sind.

Wie hoch ist die Aufwandsentschädigung?

Die beträgt für den Schiedsrichter in der Kreisoberliga pro Spiel 30 Euro und für die Assistenten 25 Euro.

Gibt es Partien, an die Sie sich besonders gern erinnern?

Ja, klar. Im April 2010 leitete ich das Spiel zwischen Ottendorf-Okrilla und dem Hermsdorfer SV – ein Nachbarschaftsduell vor rund 500 Zuschauern. Da war richtig Feuer drin. Und natürlich war die Leitung des Kreispokal-Endspiels in Lampertswalde 2019 ein emotionaler Höhepunkt. Solche Spiele sehe ich auch als Auszeichnung.

Sie machen sehr genaue Angaben. Führen Sie eine Statistik?

Ja. Ich habe alle Partien in einer Excel-Datei erfasst. Ich könnte Ihnen auch sagen, wie viele Rote und Gelb-Rote Karten ich gezückt habe. Aber das behalte ich lieber für mich.

Gibt es Spieler, die Sie mehrfach vorzeitig unter die Dusche geschickt haben?

Die gibt es tatsächlich. Zwei musste ich sogar jeweils dreimal vom Platz stellen. Die Namen bleiben aber intern.

Mussten Sie schon einmal eine Partie lange unter- oder sogar ganz abbrechen?

Die zuvor schon angesprochenen Angriffe auf dem Platz hatten zwangsläufig einen Spielabbruch zur Folge. Ansonsten kann das auch aus weniger schwerwiegenden Gründen vorkommen. Wegen eines schweren Gewitters musste ich mal ein Freundschaftsspiel unterbrechen, und da es länger als die 45 Minuten anhielt, die man in diesem Fall warten muss, habe ich es schließlich abgebrochen.

Thomas Napp lernte als Quereinsteiger bei den Dresdner Verkehrsbetrieben das Straßenbahnfahren.
Thomas Napp lernte als Quereinsteiger bei den Dresdner Verkehrsbetrieben das Straßenbahnfahren. © Marion Doering

Was machen Sie denn eigentlich hauptberuflich?

Ich habe mich vor drei Jahren beruflich neu orientiert und fahre jetzt eine 45 Meter lange Straßenbahn durch Dresden. Da ich mindestens an zwei Wochenenden Dienst habe, bin ich nun seltener auf dem Fußballplatz unterwegs. Zudem fordern meine sechs Frauen, mit denen ich zusammenlebe, ihr Recht.

Wie bitte?

Bis vor vier Jahren war ich noch Single und lebte in Riesa. Dann lernte ich meine Frau kennen und wir heirateten 2020. Sie brachte drei Töchter mit in die Ehe, zudem haben wir selbst noch zwei kleine Mädchen, zwei und drei Jahre alt. Jetzt wohne ich mit meinen sechs Frauen in der Landeshauptstadt.

Das Gespräch führte Jürgen Schwarz