SZ + Meißen
Merken

Vom Gabelstapler überfahren

Ein kurzer Moment der Unaufmerksamkeit hat desaströse Folgen. Doch welche Schuld trägt der Angeklagte?

Von Jürgen Müller
 3 Min.
Teilen
Folgen
Mit 2,3 Tonnen Eigengewicht ist ein Gabelstapler wie dieser ein gefährliches Fahrzeug. Die abgebildete Person und Firma haben nichts mit der Gerichtsverhandlung zu tun.
Mit 2,3 Tonnen Eigengewicht ist ein Gabelstapler wie dieser ein gefährliches Fahrzeug. Die abgebildete Person und Firma haben nichts mit der Gerichtsverhandlung zu tun. © Symbolfoto: Robert Michael

Meißen. Es ist mehr als zwei Jahre her, doch dieser Unfall in einem Logistikunternehmen lässt den 48-jährigen Niederauer bis heute nicht los. „Es tut mir bitter leid, ich habe die Frau einfach nicht gesehen. Im Bruchteil einer Sekunde ging alles kaputt, was ich mir in der Firma aufgebaut hatte“, sagt er dem Richter.

Dem Lagerarbeiter wird fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Als Gabelstaplerfahrer soll er eine Mitarbeiterin übersehen, sie mit seinem rund 2,3 Tonnen schweren Arbeitsgerät an Schulter und Fuß erfasst haben. Die damals 28-Jährige stürzte, ihr rechter Fuß wird von dem Gabelstapler überrollt. Sie erleidet ein Überrolltrauma und, was noch viel schlimmer ist, bleibende Schäden. Drei Zehen werden derart gequetscht, dass sie absterben und amputiert werden müssen. Insgesamt zehn Monate ist die Frau und Mutter zweier Kinder arbeitsunfähig.

Krankenbesuch geht schief

Die Betroffenheit und Solidarität in der Firma ist groß. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter hätten die schwer verletzte Frau im Krankenhaus besucht, sagt der Logistikleiter des Unternehmens. Nur einer nicht: der Angeklagte. Ein Kollege schließlich überzeugt den Angeklagten, der Geschädigten doch einen Besuch abzustatten. Aber dieser geht schief. Wohl auch aus Verlegenheit vergreift er sich im Ton, will wohl lustig sein. Jetzt habe sie eine ganze Weile Urlaub, sagt er. Für die Frau, die gerade drei Zehen verloren hat, ist das überhaupt nicht witzig. Der Krankenbesuch endet schnell. Ein Wort der Entschuldigung bringt der Mann nicht über die Lippen.

Vor Gericht gibt er der Frau eine Mitschuld. Diese war gerade dabei, Ware auf einer Palette zu scannen, als der Gabelstapler kam und sie anfuhr. Sie habe keine Warnweste getragen und auch nicht die vorgeschriebenen Arbeitsschuhe, sondern Sportschuhe, behauptet der Angeklagte.

Beides stimmt nicht. Warnwesten waren damals nicht zwingend vorgeschrieben, außer für Betriebsfremde wie Kraftfahrer. Den Mitarbeitern wurden sie nur empfohlen. Die hatten ansonsten Arbeitskleidung mit reflektierenden Streifen an. Arbeitsschuhe hatte die Frau sehr wohl an. „Die sehen zwar aus wie Sportschuhe, sind aber keine“, so der Logistikleiter.

Eines ist jedoch klar. Es gibt in der Halle Fahrspuren für die Gabelstapler. Die dürfen nicht betreten werden. Die Frau befand sich beim Aufprall jedoch zumindest ein Stück in der Fahrspur, die Ware allerdings auch. Auf dem Video der Überwachungskamera ist zu sehen, dass der Angeklagte nicht besonders langsam fährt. Schnell fahren kann er aber auch nicht. Die Stapler sind auf zwölf Kilometer pro Stunde gedrosselt. Dennoch war er in dieser Situation zu schnell.

Nach dem Unfall will der Angeklagte helfen, kann aber nicht. Er ist völlig durch den Wind, war danach selbst krank, musste sich in psychologische Behandlung begeben.

Doch wie groß ist seine konkrete Schuld an dem Unfall? Für den Verteidiger sehr gering. Er verweist zudem darauf, dass sein Mandant rund 2.500 Euro Kosten für einen Arbeitsgerichtsprozess hatte. Die Geschädigte hatte diesen angestrengt, verlangte 20.000 Euro Schmerzensgeld. Dies lehnte das Gericht zwar ab, doch im Zivilverfahren muss jeder seine Kosten selbst tragen. Wer keine Rechtsschutzversicherung hat, muss dann eben zahlen.

Schmerzensgeld bekam die Frau doch noch, aber nicht vom Angeklagten. Die Berufsgenossenschaft zahlte ihr 12.000 Euro.

Warnwesten sind jetzt Pflicht

Einen Freispruch schließt das Gericht aus, auch eine Verfahrenseinstellung ohne Auflagen, dafür seien die Schäden zu hoch. „Der Angeklagte trägt eine geringe Schuld, doch die Folgen sind desaströs. Er hatte die Pflicht, mit einem besonders gefährlichen Verkehrsmittel besonders vorsichtig zu fahren“, so Richter Michael Falk. Er stellt das Verfahren gegen eine Geldauflage von 600 Euro vorläufig ein.

Konsequenzen aus dem Unfall zog auch die Firma. Seit diesem Tag sind Warnwesten auch für die Mitarbeiter Pflicht.