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SZ + Update Meißen

Was die Parteien im Landkreis Meißen zum Wahlergebnis sagen

Ein Radebeuler Arzt stellt sich der AfD-Übermacht mit ihren drei Direktkandidaten entgegen. Eine Meißner CDU-Politikerin, eine BSW-Frau aus Riesa und zwei Minister ziehen über die Liste in den Landtag ein.

Von Ulf Mallek & Catharina Karlshaus & Ines Mallek-Klein & Eric Weser
 10 Min.
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Das Wahllokal im Musikzimmer der Afra-Grundschule in Meißen. Nach Wahlschluss, um 18 Uhr, wurden die Urnen entleert.
Das Wahllokal im Musikzimmer der Afra-Grundschule in Meißen. Nach Wahlschluss, um 18 Uhr, wurden die Urnen entleert. © Claudia Hübschmann

Wahlkreis Radebeul und Umgebung

Landkreis. Wie wichtig es ist, auf beinahe verlorenem Posten weiterzukämpfen, zeigt das Beispiel Sven Eppinger. Der Radebeuler Arzt hat es gegen einige Gegenwehr und wohl zunächst auch nur mäßiger Unterstützung der CDU-Landesführung (Listenplatz 41) als Direktkandidat seiner Partei geschafft. Im schwer umkämpften Radebeuler Wahlkreis verwies er René Hein von der AfD, aber auch die beiden Minister Martin Dulig (SPD) und Katja Meier (Grüne), die Stimmen aus dem Lager der Mitte abziehen, auf die Plätze. Sowohl Dulig als auch Meier schaffen den Einzug in den Landtag über Listenplätze.

Die Wahl Eppingers entschied sich vor allem bei der Briefwahl in Radebeul. Zudem gewann er in den Villenvierteln.

Jetzt heiße es, die Ärmel hochzukrempeln und mit der Arbeit loszulegen, sagt Eppinger. In den kommenden fünf Jahren möchte er mit seiner Politik auch jene Bürger von sich und der CDU überzeugen, die ihm jetzt noch nicht die Stimme gegeben haben. Mit Eppinger ist seit langer Zeit wieder einmal ein Arzt im Sächsischen Landtag vertreten. Der Hautarzt in Dresden-Mickten will sogar seine Praxis halbtags weiterführen und fand für die andere Hälfte eine Vertretung. Seine Patienten sind ihm ebenso wichtig wie die Landespolitik.

Gewann das Direktmandat in einem Kopf-an-Kopf-Rennen: Sven Eppinger (CDU)
Gewann das Direktmandat in einem Kopf-an-Kopf-Rennen: Sven Eppinger (CDU) © Arvid Müller
Martin Dulig (SPD), zuletzt sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, schaffte den Einzug in den Landtag über den Listenplatz 4 der Partei.
Martin Dulig (SPD), zuletzt sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, schaffte den Einzug in den Landtag über den Listenplatz 4 der Partei. © Andreas Weihs
Auch Katja Meier (Grüne) konnte sich zwar nicht das Direktmandat sichern, die ehemalige Justizministerin wird jedoch durch ihren Listenplatz wieder im Landtag sitzen.
Auch Katja Meier (Grüne) konnte sich zwar nicht das Direktmandat sichern, die ehemalige Justizministerin wird jedoch durch ihren Listenplatz wieder im Landtag sitzen. © Andreas Weihs

Der AfD-Kandidat in diesem Wahlkreis René Hein nimmt seiner Niederlage sportlich. "Ich habe von vornherein nur mit einer 50:50-Chance gegen Sven Eppinger gerechnet", sagte er sächsische.de. "Ich gönne Sven Eppinger den Sieg und wünsche ihm Erfolg. Der Wahlkreis war schon immer sehr schwer für mich, weil die CDU hier traditionell stark ist. Ich habe im Vergleich zu 2019 deutlich zugelegt, aber Eppinger war eben noch besser."

Zum Glück habe er als Autoverkäufer einen ordentlichen Beruf. Seine Firma habe er nie aufgegeben. "Jetzt müssen wir eben statt 50 Autos 100 verkaufen, was nicht so einfach ist in der Marktlage gerade." Ein direkter Einzug über die Liste ist nicht möglich. Er liegt auf Platz 25, aktuell zieht die Liste bis Platz 23. Das ist Pech. Er habe aber noch künftige Chancen als Nachrücker oder eben vielleicht bei der Bundestagswahl.

Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hat es geschafft, aus dem Stand drittstärkste Kraft im Radebeuler Wahlkreis Meißen 4 zu werden. Das sagte BSW-Direktkandidatin Gunda Thielking. "Dank einer großartigen ehrenamtlichen Teamarbeit haben wir in Coswig, Radebeul und Moritzburg viele Menschen erreicht. Den Rückenwind haben wir in vielen Gesprächen an den Haustüren und an unseren Wahlständen gespürt." Das BSW habe es als einzige Partei geschafft, der AfD Stimmen abzunehmen. Thielking selbst schaffte den Sprung in den Landtag nicht, ihr Listenplatz 23 reichte nicht für einen Einzug gleich im ersten Anlauf.

Wahlkreis Meißen und Umgebung

Thomas Kirste ist am Montagvormittag damit beschäftigt, nach der Wahlparty aufzuräumen. Er hat am Wahlsonntag nicht in Dresden gefeiert, sondern in Meißen, und das ganz bewusst, „um meinen vielen Unterstützern Danke zu sagen“, so Thomas Kirste. Er hat im Wahlkreis 3 mit über 40 Prozent das Direktmandat für die AfD geholt.

„Mit meinem persönlichen Ergebnis bin ich zufrieden, auch weil der Wert der Erst- über dem der Zweitstimmen liegt“, so Kirste. Er sieht darin eine Wertschätzung für seine politische Arbeit, die er in den zurückliegenden Jahren geleistet habe. Von seiner Mitbewerberin Daniela Kuge (CDU) sei dagegen erst in Zeiten des Wahlkampfes etwas zu sehen und zu hören gewesen, so Kirste.

Doch so zufrieden er mit seinem persönlichen Abschneiden ist, so enttäuscht ist der vom Ergebnis seiner Partei. „Die Silbermedaille ist eben keine Goldmedaille und ich hätte mir schon gewünscht, dass wir stärkste Kraft im Land werden, vor der CDU“, so Kirste. Was die über 30 Prozent der Wählerstimmen wert sind und wie die künftige Regierung Sachsens aussehen werde, sei völlig offen. „Wer allerdings von Brandmauern redet, hat die Demokratie nicht verstanden“, so Kirste. Seine Partei wird sich am Mittwoch in Dresden zur konstituierenden Fraktionssitzung treffen und dort auch beraten, wie man sich verhalten wird.

Thomas Kirste (AfD) hat ein Direktmandat gewinnen können.
Thomas Kirste (AfD) hat ein Direktmandat gewinnen können. © Sebastian Schultz
Seine Kontrahentin, Daniela Kuge (CDU), wird über einen Listenplatz in den Landtag einziehen.
Seine Kontrahentin, Daniela Kuge (CDU), wird über einen Listenplatz in den Landtag einziehen. © privat

CDU-Kandidatin Daniela Kuge, die Kirste das Direktmandat streitig machen wollte, gibt sich kleinlaut. "Ich bedanke mich bei den Wählerinnen und Wählern, die mir ihre Stimme für den Sächsischen Landtag gegeben haben. Leider hat es - trotz mehr Stimmen als 2019 - nicht für ein Direktmandat gereicht." Da sie auf Listenplatz 12 wieder in den Landtag einziehen wird, kann sie ihre Arbeit wie gewohnt fortführen.

Der FDP-Politiker Martin Bahrmann hat eine alte Karikatur herausgekramt. Sie zeigt ein Auto, das gegen eine Ampel gefahren ist. Als der Fahrer von den Sanitätern auf der Trage geborgen wird, sagt er, „ich bin in der FDP“. Die Retter antworten nüchtern: „Dann haben Sie ja Erfahrungen mit Nahtod-Erlebnissen.“ Damals ist die FDP mit 1,7 Prozent aus dem Sächsischen Landtag geflogen. Heute steht sogar eine Null vor dem Komma.

Wie es jetzt mit der Partei in Sachsen weitergehe, werde heute Abend Thema sein, wenn sich der Landesvorstand treffe, so Bahrmann. Er sieht die Ursache für das schlechte Abschneiden seiner Partei in der Ampelregierung. „Viele Menschen sind unzufrieden mit der Politik auf Bundesebene und haben die Wahl genutzt, den Koalitionsparteien einen Denkzettel zu verpassen“, so Bahrmann. Das sei schade, denn es werde dem Einsatz der Liberalen hier vor Ort in keiner Weise gerecht. „Wir haben bis zur letzten Minute gekämpft und sind trotzdem abgestraft worden“, so Bahrmann. Was jetzt noch bleibe, sei die Sacharbeit in den Kommunalparlamenten, in denen man noch vertreten sei.

Unternehmer Lutz Thieme ist im Wahlkreis Meißen 3 als Direktkandidat für das BSW angetreten, weil er Gesicht zeigen wollte für ein Bündnis, das erst vor acht Monaten aus der Taufe gehoben wurde. „Es wäre schon eine sehr große Überraschung gewesen, wenn ich über das Direktmandat den Einzug in den Landtag geschafft hätte“, so Thieme. Er will Unterstützer des BSW bleiben, über dessen Wahlerfolg er sich sehr freue. „Das ist schon eine enorme Leistung in der Kürze der Zeit ein solches Wahlergebnis zu erzielen“, so Thieme.

Die gewählten Landtagsabgeordneten werden sich in dieser Woche treffen, um auszuloten, wie es weitergeht. Eine Koalition aus CDU, SPD und BSW wäre rein rechnerisch möglich. „Aber das ist natürlich eine riesige Verantwortung und setzt voraus, dass das BSW keine seiner Ziele über Bord wirft“, so Lutz Thieme.

Wahlkreis Großenhain und Umgebung

Erstmalig bei einer Landtagswahl angetreten war Lucas Partuschek aus dem Großenhainer Ortsteil Zabeltitz. Der 28-Jährige, welcher sich um ein Mandat für die Freien Wähler bemühte, konnte in der Erststimme 6,9 Prozent auf sich vereinen und ließ damit Anja Lux (SPD), Ulrich Köhler (Linke), Sven Seurig (FDP) und Thomas Berndt (Grüne) hinter sich. „Dieses Ergebnis freut mich als Neuling natürlich einerseits sehr. Aber wir müssen andererseits auch klar sagen, dass wir die Menschen, die letztlich auch taktisch gewählt haben, für die sogenannte Zweitstimme nicht gewinnen konnten“, schätzt Lucas Partuschek ein.

Wie er betont, möchte er die politischen Inhalte, für welche die Freien Wähler stehen, auch weiterhin voranbringen. Zu wenig sei im Wahlkampf auf die tatsächliche Politik vor Ort eingegangen worden. Viel zu stark wurden stattdessen im Bemühen um Wählerstimmen bundespolitische Themen aufgerufen, anstatt sich mit den Problemen in den einzelnen Gemeinden und Kommunen zu beschäftigen. „Mir ist aber durchaus bewusst, dass für ein Umdenken ein Marathon notwendig ist und ich nicht sofort im Sprint durchs Ziel einlaufe. Wir werden einfach weiter konsequent unsere Art von Politik befördern und bis dahin können die anderen Parteien zeigen, was sie können beziehungsweise wie ernst es ihnen mit all ihren Versprechen ist“, so Lucas Partuschek.

Mario Beger (AfD) sicherte sich ein Direktmandat.
Mario Beger (AfD) sicherte sich ein Direktmandat. © Daniel Wagner

Zwar immer noch merklich heiser, aber relativ gefasst, klingt am Tag danach der bisherige CDU-Landtagsabgeordnete Sebastian Fischer. Absehbar sei seine Niederlage gegenüber dem AfD-Mitbewerber Mario Beger gewesen und angesichts des landkreislich blauen Wählervotums keineswegs überraschend.

„Ich habe ja auch immer gesagt, dass im Vordergrund meiner Bemühungen nicht meine eigene Person, sondern die Zukunft des Landes Sachsen steht“, erinnert Sebastian Fischer. Insofern wäre er froh, dass im Freistaat nun eine bürgerliche Regierung gebildet werden könne, welche die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufgaben auf demokratischer Basis anpacken könne. Und mit Daniela Kuge und Sven Eppinger immerhin noch zwei Unionspolitiker aus dem Landkreis Meißen als kompetente Ansprechpartner in den Landtag einziehen.

Wie gesetzlich vorgeschrieben, müsse die erste konstituierende Sitzung des neu gewählten Gremiums spätestens in vier Wochen erfolgen. So lange sei er selbst noch als Abgeordneter tätig beziehungsweise habe Zeit, seine Mitarbeiter zu entlassen und das Büro zu räumen. Während völlig klar wäre, dass er auch weiterhin ehrenamtlich politisch tätig sein werde, gebe es beruflich mehrere Optionen.

Wahlkreis Riesa und Umgebung

CDU-Direktkandidat Falk Müller aus Riesa ist im Wahlkreis Meißen 1 (Riesa und Umgebung) teils deutlich hinter AfD-Mann Carsten Hütter gelandet. In seiner Heimatstadt Riesa, wo der Christdemokrat aufgewachsen ist und auch lebt, liegt er knapp zehn Prozentpunkte hinter seinem Hauptkontrahenten, holt dort gegenwärtig etwas mehr als 30 Prozent der Direktstimmen. Müller, der erstmals für den Landtag kandidiert hatte, ordnet das als „solide“ ein. Er habe bereits im Wahlkampf gemerkt, dass die Bürger oft die bundespolitischen Themen in den Vordergrund gerückt hätten. Was den eigenen Wahlkampf angehe, habe er sich nichts vorzuwerfen. „Wir haben einen guten, authentischen Wahlkampf geführt.“

Der Riesaer AfD-Direktkandidat Carsten Hütter ist am Abend auf dem Rückweg von der Dresdner Wahlparty in sein Wahlkreisbüro nach Riesa, um dort mit Unterstützern den weiteren Abend zu verbringen. Von der SZ erfährt er am Telefon, dass er klar vorn liegt. Einen Zuspruch von 45 Prozent habe er „sich nicht träumen lassen. Da freue ich mich natürlich.“ Etwas eingetrübt wird die Freude vom Landesergebnis seiner Partei, wie Hütter sagt. Er hätte die AfD gern ein bis zwei Prozentpunkte vor den Christdemokraten gesehen, so Hütter. „Da gebe ich zu: Das enttäuscht mich schon ein wenig.“

Freut sich über sein Direktmandat, ist aber enttäuscht von den AfD-Zweitstimmen: Carsten Hütter.
Freut sich über sein Direktmandat, ist aber enttäuscht von den AfD-Zweitstimmen: Carsten Hütter. © Foto: SZ/Eric Weser
Nachdem es mit den Linken jahrelang nicht klappte, zieht Uta Knebel über ihren Listenplatz 6 für das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Landtag ein.
Nachdem es mit den Linken jahrelang nicht klappte, zieht Uta Knebel über ihren Listenplatz 6 für das Bündnis Sahra Wagenknecht in den Landtag ein. © Sebastian Schultz

Ebenfalls - über die Liste - zieht BSW-Kandidatin Uta Knebel aus Riesa in den Landtag ein. Die ehemalige Linken-Politikerin, die zum BSW gewechselt ist und auf Platz sechs auf der Landesliste steht, freut sich darüber "wie verrückt". Fünfzehn Jahre habe sie darauf hingearbeitet, so die 58-Jährige.

Als Elder Statesman, der jetzt aus dem Landtag ausscheidet, versucht sich der Radebeuler Ex-Justizminister Geert Mackenroth von der CDU an einer Zusammenfassung des Wahltages: "Die Sachsen haben Veränderung gewählt, aber Veränderung mit Augenmaß. Die AfD wollen sie nicht in der Regierung. Ich auch nicht. Für Veränderung steht der Newcomer BSW, ich finde es spannend auszuloten, ob und was mit dieser Wundertüte machbar ist. Unser Wahlsieger Michael Kretschmer wird in die Rolle des Dompteurs schlüpfen müssen, um das BSW mit deren neuen Ideen und die Lordsiegelbewahrer der SPD und der Ampel in Berlin auf eine Linie zusammenzuführen."

Nicht mehr lang, da geht das alles wieder von vorne los: Am 28. September nächsten Jahres sind Bundestagswahlen.