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Meissener Typen in der Neustadt

Der Niederländer hat sich für sein Straßenbild vor der Scheune in Dresden von Manufaktur- Vorbildern inspirieren lassen.

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© Sven Görner

Von Philipp Eller

Meißen. Street-Art, Graffiti, Urban Art – alles Bezeichnungen für moderne Kunst im Stadtraum. Die wenigsten erwarten dabei wohl Techniken alter Meister. Genau diese aber nutzt Leon Keer bei seinem 3D-Bild, das er jetzt vor der Scheune gemalt hat.

Anamorphe Kunst, das sind verzerrte Bilder, die nur aus einem bestimmten Winkel sichtbar sind. Bereits Hans Holbein der Jüngere – dessen grimmiger Charles de Solier in der Gemäldegalerie hängt – nutzte diese Technik im 16. Jahrhundert. Künstler platzierten damit Botschaften im Bild, die nur der Kenner entschlüsseln konnte.

Leon Keer malt im Gegensatz zu Holbein nicht mit Öl auf Eichenholz. Sein Maluntergrund ist der Teer der Straße. Der Niederländer hat bereits weltweit seine Anamorphosen mit ihrer starken dreidimensionalen Wirkung gemalt. Für sein Bild vor der Scheune hat er sich von etwas typisch Sächsischem inspirieren lassen: vom Meissner Porzellan. Drei Porzellanfiguren – unter anderem ein sogenanntes Hentschel-Kind – sind zu sehen, aber nicht im barocken Kostüm, sondern in einer islamischen Tracht. Eine Idee, die übrigens auch gar nicht so neu ist, einen Porzellansultan produzierte Meißen bereits 1740. Die Figuren auf Keers Bild gießen einen Baum. Sie sollen für den Aufbau von etwas Neuem stehen. Sein Bild nennt er „Across the Border“: über die Grenze. Der Schutz der Erde, der Umwelt ist ein wichtiges Thema für ihn. Moralisierend soll seine Kunst aber nicht sein: „Ich will damit nicht mit dem Finger auf die Leute zeigen.“

Nach Dresden hat der Niederländer die Ausstellung „Magic City“ in der Zeitenströmung verschlagen. Dort gestaltet er ab 1. Oktober mit 39 anderen Künstlern aus Bereichen wie Graffiti, Installation oder Fotografie eine ganze Stadt. Sogar eine Strickkünstlerin nimmt an dem Projekt teil.

Am liebsten arbeitet er aber auf der Straße. Dort bringt er Kunst direkt in den Lebensraum der Menschen. Passanten können ihm zusehen, wie er die Kreidelinien mit Farbe füllt. Die Vorlage für seine Straßenbilder gestaltet der Künstler ganz konventionell. Die Verzerrungen entstehen erst, wenn er die Vorlage auf den Boden überträgt. Dabei hilft ihm die Erfahrung: Seit 30 Jahren malt er auf Straßen. Er kennt alle Untergründe, weiß, wie er das Bild ausrichten muss, damit das Bild trotz Reflexen des Sonnelichts noch gut zu erkennen ist.

Seit Mittwoch blieben immer wieder Fußgänger stehen, Radfahrer hielten an, um sich mit ihm zu unterhalten. Die Menschen in der Neustadt gefallen ihm: Er mag die freie und kreative Atmosphäre des Stadtteils. Die Neustädter zeigen sich auch von ihrer besten Seite, bringen ihm Wasser, damit er bei den hohen Temperaturen genug trinkt. Aber weder von der Hitze am Donnerstag, noch vom Regen am Freitag ließ sich Keer beeindrucken. Auch der Acrylfarbe konnte der Regen nichts anhaben. Bis zu einem Jahr können die Bilder Wind und Wetter trotzen.

Am Sonnabendvormittag wurde das Bild fertig. Zwei Wochen lang können sich die Dresdner das Werk nun anschauen. Dann rückt der Dampfstrahler der Acrylfarbe zu Leibe. So ist es mit der Stadt ausgemacht.

Wer den richtigen Blickwinkel auf das Bild sucht, dem hat Keer zur Hilfe ein kleines Kreuz auf den Boden gemalt. Im Gegensatz zu den alten Meistern will der Niederländer seine Botschaften nicht verstecken.