Mehrere Mitarbeiterinnen haben sich beim Personalrat über ihren Chef Sven Mania, Leiter des Sportstättenbetriebes, beschwert. Sie werfen ihm unter anderem Anzüglichkeiten und Einschüchterungsversuche vor (die SZ berichtete). Andrea Benkendorff, Fachanwältin für Arbeitsrecht, kennt viele Fälle, bei denen der kollegiale Umgang Probleme birgt.
Frau Benkendorff, wann ist ein Kollege nur besonders aufmerksam und wann ist von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz die Rede?
Das ist im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) relativ einfach definiert: Bei der sexuellen Belästigung muss das Handeln sexuell bestimmt sein. Denn nicht jedes Miteinander trägt sexuelle Schwingungen in sich. Und zweitens muss das Handeln unerwünscht sein, das heißt, die Würde des anderen verletzen.
Wie wird denn sexuell bestimmtes Handeln definiert? Das empfindet doch sicher jeder Mensch anders.
Es wird immer aus der Sicht eines objektiven Dritten bewertet, ob die Unerwünschtheit und die sexuelle Handlung erkennbar war. Letztendlich entscheidet der Richter, ob es als sexuelle Belästigung im Sinne des AGG zu werten ist. Demnach reicht es, wenn die Tat an sich dazu geeignet ist, als sexuell bestimmt zu gelten. Wenn ich zum Beispiel im Kollegenkreis jemanden zur Begrüßung umarme, weil es so üblich ist, ist das natürlich nicht sexuell bestimmt. Wenn ich allerdings einen einzelnen Kollegen ständig umarme, um diesem nahe zu sein, kann es durchaus von einem Dritten als sexuell bestimmt aufgefasst werden.
Womit werden Menschen am Arbeitsplatz noch sexuell belästigt?
Nun, dazu gehört zum Beispiel das eindeutige Einladen nach Hause oder nach Feierabend, um sich besser kennenzulernen. Oder etwa jemanden gezielt am Hintern packen oder so umarmen, dass es eigentlich nicht mehr okay ist. Ganz oft kommen aber auch blöde Witze vor, die immer unter der Gürtellinie landen.
Wer ist häufiger betroffen? Männer oder Frauen?
In der Regel geht die Belästigung von Männern aus. Die sind dann auch meist älter als 50 Jahre. Hin und wieder kommt es aber auch vor, dass eine Vorgesetzte einen jüngeren Mitarbeiter belästigt. Bei fast allen Fällen ist es meistens so, dass es sich um ein Hierarchie- und Gefälleverhältnis handelt. Das heißt: Derjenige, der belästigt, ist stärker und nutzt diese Machtposition aus.
Wie sollten sich die Betroffenen in solchen Fällen verhalten?
Wer belästigt wird, sollte deutlich klarmachen, dass er das nicht in Ordnung findet. Er sollte abrücken oder eben laut und deutlich „Nein“ sagen. Das sollte er auch ruhig vor Zeugen tun. Was meistens hilft, ist dem Belästigenden zu sagen, dass man es nicht wünscht und im Wiederholungsfall die Sache dem Vorgesetzten melden wird. Eine Möglichkeit ist auch, die Taten vor Zeugen noch einmal zur Sprache zu bringen und klarzustellen, dass man damit nicht einverstanden ist.
Welche Hilfsmöglichkeiten gibt es für Betroffene beim Arbeitgeber?
Im Unternehmen ist der Betriebsrat sicherlich eine Möglichkeit. Es gibt aber auch den Gleichstellungsbeauftragten. Da finden sich durchaus Schutzmechanismen. Übrigens ist der Arbeitgeber laut Gesetz dazu verpflichtet, tätig zu werden, sobald er von einer sexuellen Belästigung erfährt. Der Vorgesetzte sollte dann auf jeden Fall mit beiden Seiten reden, um den Sachverhalt aufzuklären. Nicht dass Vorwürfe in den Raum gestellt werden, weil der angeblich Belästigte etwas falsch verstanden oder gar noch eine Rechnung mit dem Belästigenden offen hat.
Wie oft passiert es, dass an den Vorwürfen gar nichts dran ist?
Nach meinen Erfahrungen bestätigen sich bei zwei von drei Fällen die sexuellen Belästigungen wirklich, wohingegen ein Fall ein „Racheakt“ ist.
Wie viele Fälle sexueller Belästigung behandeln Sie pro Jahr?
Von den 200 bis 400 laufenden arbeitsrechtlichen Verfahren sind es nur etwa ein bis zwei Fälle sexueller Belästigung. Meist ist es so, dass sich eine Betroffene traut, etwas zu sagen und plötzlich kocht das ganze hoch und es stellt sich heraus, dass so etwas schon seit Jahren geschieht.
Was wird dann bei einem Prozess vor dem Arbeitsgericht entschieden?
Zum Beispiel klagen Betroffene vor dem Arbeitsgericht auf Schadensersatz, wenn der Arbeitgeber nichts unternommen hat. Andersherum ziehen Belästiger vor Gericht, wenn sie fristlos gekündigt wurden. Dann entscheidet der Richter, ob das gerechtfertigt war oder ob es noch ein anderes Mittel, wie etwa eine Abmahnung oder eine Versetzung, gegeben hätte.
Interview: Juliane Richter