Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sieht die große Koalition in Berlin angesichts der harten Auseinandersetzungen in den Landtagswahlkämpfen vor ihrer entscheidenden Bewährungsprobe. „2008 ist ein Schlüsseljahr für den Erfolg der großen Koalition“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Die Kanzlerin zeigte sich optimistisch, trotz des Streits weitere Reformen mit der SPD umzusetzen. Wahlkämpfe seien dazu da, die Unterschiede zwischen den Parteien deutlich zu machen. Doch jeder Partner wisse auch „um die Verantwortung für die große Koalition“. Merkel: „Wir haben die Kraft und die Möglichkeit, das zu schaffen.“
Die Kanzlerin forderte aber zugleich mehr Respekt und Miteinander. Im Streit um das Jugendstrafrecht gab die CDU-Chefin Hessens Regierungschef Roland Koch (CDU) Rückendeckung, äußerte sich aber zurückhaltend zu dessen Wahlkampfstil. „Jeder Spitzenkandidat macht seinen eigenen Wahlkampf.“ Trotz unterschiedlicher Charaktere handele es sich aber um einen gemeinsamen Wahlkampf der CDU, sagte sie.
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil begrüßte Merkels Bekenntnis zur Fortsetzung der Koalition. Enttäuschend sei aber, dass sie „wiederum die Gelegenheit verpasst hat, Herrn Koch und seine überzogene Kampagne in die Schranken zu weisen“. Eine Politik, „die Ängste und Ressentiments schürt und nichts zum Schutz vor Gewalt beiträgt, ist demokratischen Politikern unwürdig“, sagte Heil der dpa. Er erwarte, dass die CDU-Führung hier Grenzen aufzeige.
Merkel räumte ein, dass sich die Wahlkämpfe in Niedersachsen, Hessen und Hamburg auf das politische Klima in Berlin auswirkten. Es sei „nicht die harmonischste Zeit, in der man schwierige Kompromisse schließt.“ Zum Streit über härtere Jugendstrafen sagte Merkel: „Es kann in Wahlkämpfen keine Tabuthemen geben.“ Deshalb habe Koch das Thema auf die Tagesordnung gebracht. Dabei habe er die Unterstützung der gesamten CDU. Ihre eigene klare Positionierung verteidigte Merkel mit ihrer Funktion als CDU-Chefin in diesen Wahlkämpfen. Die CDU- Spitze hatte am Vortag der weitergehenden Forderung Kochs nach der Anwendung des Jugendstrafrechts auch für Kinder eine Absage erteilt.
Als wichtigstes Ziel der Koalition nannte Merkel, die Beschäftigung weiter voranzubringen. Weitere Projekte seien ein ausgeglichener Haushalt bis 2011, die Bahnreform, die Online- Durchsuchung und die Gesundheitsreform. Sie bekräftigte trotz Kritik den geplanten Start des Gesundheitsfonds Anfang 2009. Die Kanzlerin hält am Ziel einer dauerhaften Senkung der Lohnzusatzkosten trotz erwarteter Mehrbelastungen bei der Krankenversicherung fest. Steuersenkungen noch in dieser Wahlperiode lehnte sie ab. Zuerst müsse der Bund einen ausgeglichenen Haushalt ausweisen, sagte Merkel. Dies sehe sie weder für dieses noch für das kommende Jahr.
Die Union werde auch nach den Landtagswahlen weiter für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts kämpfen. „Hier gibt es einen Dissens mit dem Koalitionspartner“, sagte Merkel. Es habe sich aber bewährt, Forderungen immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Die Kanzlerin forderte ein Gesamtpaket aus Prävention, Zivilcourage der Bürger und härterem gesetzlichen Vorgehen, „wo es nicht anders geht“. Etwa die Hälfte aller Gewalttaten werde von unter 21-Jährigen verübt, die Hälfte davon wiederum von jungen ausländischen Tätern. Die SPD- Fraktion will mit der Union Gespräche darüber führen, wie die bestehenden Gesetze zur Jugendkriminalität in den verschiedenen Bundesländern umgesetzt werden.
Bei den von Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD) vorgelegten Gesetzentwürfen für neue Branchen-Mindestlöhne besteht für Merkel an vielen Stellen noch „erheblicher Diskussionsbedarf“. Scholz habe die in der Koalition im Juni 2007 vereinbarten Eckpunkte so umgesetzt, „wie es ihm richtig erscheint“. Dies sei aber bei einem Entwurf, der zwischen mehreren Ressorts abgestimmt werde, ein normaler Vorgang. Strittig ist Merkel zufolge, nach welchen Kriterien ein Mindestlohn bei konkurrierenden Tarifverträgen festgelegt werden kann.
Die Kanzlerin sieht zunehmende konjunkturelle Risiken für dieses Jahr. Deutschland müsse sich auf ein gedämpftes Wirtschaftswachstum einstellen. Die Haushaltsberatungen würden voraussichtlich schwieriger. Angesichts steigender Energie- und Lebensmittelpreise sowie der US-Immobilienkrise warnte sie vor zusätzlichen Ausgabenwünschen. Bei den hohen Energiepreisen werde die Regierung auf Wettbewerb achten. Merkel warnte davor, zugleich aus Atomkraft und aus Kohlekraftwerken auszusteigen.
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast hielt Merkel „extrem dürftige Ziele“ vor. „Dies wird nicht das Schlüsseljahr für die große Koalition.“ Vielmehr stehe „die Tür stehe weit offen für das Ende“. Der FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzende Guido Westerwelle wertete Merkels Auftritt als „Notbremse gegenüber einer erodierenden Koalition“. Sie habe sicherstellen wollen, „dass im Wahlkampf nicht alles auseinanderfliegt zwischen den beiden Regierungsparteien“. (dpa)