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Familie Kunze hat an ihrem Haus in Döbeln noch mitgebaut

Das Ehepaar gehört zu den ersten Mitgliedern der WG Fortschritt. Im 70. Jahr setzt die Genossenschaft neue Ideen um. Wie wäre es mit einem Waschsalon statt eigener Waschmaschine?

Von Jens Hoyer
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Maria und Joachim Kunze vor dem Wohnhaus an der Blumenstraße, an dem sie selbst mitgebaut haben und in dem sie seit 66 Jahren wohnen.
Maria und Joachim Kunze vor dem Wohnhaus an der Blumenstraße, an dem sie selbst mitgebaut haben und in dem sie seit 66 Jahren wohnen. © Jens Hoyer

Döbeln. Joachim und Maria Kunze stehen vor ihrem Haus an der Blumenstraße. In der Wohnung in der dritten Etage haben sie glückliche Jahrzehnte verbracht, ihre Kinder großgezogen und sind sie alt geworden. Er ist jetzt 93 und sie 91 Jahre alt.

Joachim Kunze ist mit Nummer 56 das derzeit langjährigste Mitglied in der Genossenschaft. Am 15. September 1958 war er beigetreten, vor 66 Jahren.

Mitglied werden über Trägerbetrieb

„Fritz Knie und Walter Löffler waren damals die Vorsitzenden“, erinnert er sich. Mitglied werden konnte man damals nur über einen sogenannten Trägerbetrieb. Etwa dem VEB Döbelner Beschläge und Metallwerk, kurz DBM, in dem Kunze damals gearbeitet hat.

„Fritz Knie hat auch beim DBM gearbeitet und wir suchten eine Wohnung“, sagte er. Er war damals 27 Jahre alt und frisch verheiratet. „Ich habe noch bei meinen Eltern gewohnt und meine Frau mit zwei anderen Krankenschwestern in Westewitz in einem Zimmer.“ Familienleben war da schwierig, Kinder bekommen erst recht.

Wer Genossenschaftsmitglied war, hatte damals aber Aussichten auf eine der modernsten Wohnungen, die die DDR zu bieten hatte. „Wir galten damals als neureich“, meint Maria Kunze.

Wer Genossenschaftsmitglied werden wollte, musste 2.000 Mark Anteile einzahlen. Eine Menge Geld für das Paar. Die Summe wurde mit 50 Mark im Monat abgestottert. „Ich habe damals im DBM 1,31 Mark in der Stunde verdient“, sagt Joachim Kunze.

1958 konnte das Paar dann in eines der ersten Häuser in Döbeln Ost I einziehen. Drei Zimmer, Küche, Bad, 35 Mark Miete im Monat. Um einen Anspruch auf diese Wohnung zu haben, musste Kunze aber auch Arbeitsstunden leisten.

„200 Stunden und noch 50 Stunden extra für eine Garage.“ Für den Elektriker gab es genug zu tun. „Meine Wohnung habe ich selbst installiert“, erzählt er. Später legte er auch in anderen Häusern, die im Bau waren, Hand an.

Schönes leben in der Hausgemeinschaft

Der Sohn der Familie kam ein Jahr nach dem Einzug zur Welt. Die Tochter 1961. Das Paar schwärmt vom schönen Leben in der Hausgemeinschaft.

„Wir sind damals alle als junge Leute eingezogen. Es war eine Harmonie, jeder kannte jeden. Unsere Kinder hatten im Wohngebiet viel Freiheit. Der Wäscheplatz war der Spielplatz. Nur wenn der Bauer das Gras holen wollte, mussten sie woanders spielen“, erzählt Maria Kunze. Nach 66 Jahren lebt neben den Kunzes noch ein Ehepaar von damals im Haus an der Blumenstraße.

In Döbeln Ost I wohnen noch einige der ersten Mitglieder der Genossenschaft. Der Altersdurchschnitt liegt bei 71 Jahren, sagte Vorstand Thomas Schröder. 50 Mitglieder seien über 90 Jahre alt.

Die ursprünglichen Pläne für die Genossenschaft hatten Reihenhäuser vorgesehen, erzählt Kunze. Wegen des großen Bedarfs waren dann aber Mehrfamilienhäuser gebaut worden. Vor elf Jahren hatte das Wohnhaus an der Blumenstraße Wärmedämmung und Balkone bekommen.

Mit der Sanierung dieser ältesten Genossenschaftshäuser im Wohngebiet Ost I ist Fortschritt bald „durch“. Derzeit wird der Wohnblock Käthe-Kollwitz-Straße 29/31/33 als letzter trockengelegt und wärmeisoliert.

Auch an den in den 1970er-Jahren gebauten Wohnhäusern Unnnaer Straße 65 bis 70 geht es mit der energetischen Sanierung weiter. „Wir werden dort erst einmal die Vorderseiten wärmedämmen“, sagte WGF-Vorstand Thomas Schröder.

Im Jahr 70 ihres Bestehens ist die Wohnungsgenossenschaft so beliebt wie seit Jahren nicht. 130 Neuvermietungen hatte die Genossenschaft in diesem Jahr geplant - jetzt ist sie schon bei 156. Die Genossenschaft hat deshalb ihre Planung umgestellt.

Modernisierung von 160 bis 170 Wohnungen

„Wir werden in diesem Jahr 160 bis 170 Wohnungen modernisieren“, sagte Schröder. Dazu wird Geld im Etat umgelegt. Eine Modernisierung kostet im Durchschnitt 17.500 Euro pro Wohnung. „Es können im Einzelfall aber auch 30.000 Euro sein“, sagte der Vorstand.

Den Leerstand hat die Genossenschaft durch die vielen Neubezüge um 2,5 Prozent senken können. Mit den Wohnungen, die wegen Baumaßnahmen derzeit nicht bewohnt sind, liegt der Leerstand bei sieben Prozent.

An der Käthe-Kollwitz-Straße wird gerade der letzte Wohnblock im Wohngebiet Döbeln Ost I energetisch saniert und mit Balkonen ausgestattet.
An der Käthe-Kollwitz-Straße wird gerade der letzte Wohnblock im Wohngebiet Döbeln Ost I energetisch saniert und mit Balkonen ausgestattet. © Dietmar Thomas

Schröder begründet die gestiegene Nachfrage auch mit dem Modell der Wohnungsgenossenschaft. Das verspreche den Mitgliedern Kontinuität und Sicherheit.

„Die Mitglieder sind Miteigentümer mit lebenslangem Wohnrecht. Und sie haben ein Mitspracherecht. Die Genossenschaft muss nur so viel Gewinn erwirtschaften, dass sie ihre Wohnungen unterhalten und sanieren kann.“

Bessere Informationen sollen künftige Mieter auf der neu gestalteten Homepage der Genossenschaft bekommen.

„Dort sind 3D-Modelle von allen Wohnungstypen mit Mobiliar zu finden. Die Interessierten können damit planen, wie sie Wohnungen nutzen können. Das wird eine wichtige Plattform für Leute sein, die von weiter her kommen. Wir finden, dass es wichtig ist, Leute aus dem Umfeld aber auch aus Dresden oder Leipzig zu begeistern“, sagte Schröder.

Die neue Idee der Genossenschaft ist „Wohnen Komfort+“. Damit will sie auf die Besonderheiten vieler ihrer Wohnungen eingehen. Die Bäder sind nicht groß und eine Waschmaschine schwer unterzubringen.

Die Idee: In Zusammenarbeit mit der Grundstücks- und Dienstleistungs GmbH von Tino Lachotta soll im ehemaligen Schulungsraum des DRK an der Blumenstraße ein Waschsalon eingerichtet werden.

Die Kunden können die Wäsche nicht nur selbst waschen, sondern auch waschen und plätten lassen, so Schröder. Außerdem können über einen Ansprechpartner Putz- und Einkaufhilfen vereinbart werden. Die Pflegedienste seien damit aufgrund des Personalmangels oft überfordert.

„Das ist ein sozialer Mehrwert für die Mieter“, so Schröder. Der Service sei für alle Interessierten nutzbar, WGF-Mitglieder sollen zehn Prozent Rabatt bekommen.

In ihrer Geschichte hatte die Genossenschaft auch schwierige Zeiten erlebt – mit viel Leerstand nach der Wende und dem zuerst schiefgegangenen Verkauf von Wohnhäusern in Döbeln Nord, um den Forderungen nach dem Altschuldenhilfegesetz gerecht zu werden.

Vorstand Stefan Viehrig hatte dann als Vorstand das soziale Leben in der Genossenschaft mit Freizeitgruppen angekurbelt. Die Genossenschaft engagierte sich in der Modellregion „Chemnitz Plus“ und für den GKV-Spitzenverband mit dem „Döbelner Modell“, wo es um Ideen fürs Wohnen im Alter und die dafür notwendigen Dienstleistungsangebote ging.

Festwoche zum 70. jahrestag

Den 70. Jahrestag begeht die Wohnungsgenossenschaft mit einer Festwoche. An diesem Dienstag wird der Treffpunkt in Döbeln Ost I in „Martin Friebel-Treff“ umbenannt. Friebel, der sich in der Genossenschaft sehr engagiert hatte und unter anderem ehrenamtlicher Vorsitzender des Genossenschaftsbeirats war, verstarb in diesem Jahr im Alter von 78 Jahren.

Auch seine Frau Bärbel Friebel ist sehr engagiert dabei. Am Mittwoch um 15 Uhr soll es die letzte Veranstaltung ihrer Reihe „Drei K‘s und viele Ah‘s“ im Treffpunkt geben.

Für Donnerstag ist eine Wanderung über acht Kilometer durch die Wohngebiete geplant und am Freitag ein Sommerkino ab 20 Uhr am Wohnpark. Der Ehrenamtsverein wird grillen. Gezeigt wird passend zum Jahrestag der Film „Sonnenallee“, sagte der Vorstandsvorsitzende Tino Hütter.

Abschluss der Festwoche soll das WGF-Parkfest am Sonnabend ab 13 Uhr mit Bühnenprogramm, vielen Attraktionen für Kinder und einem Abendprogramm mit Annemarie Eilfeld und der Band Rockradio aus Leipzig sein.