Von Takis Tsafos, Nikosia
Niemand hatte gedacht, dass die kleine Inselrepublik Zypern eines Tages der Nabel der Finanzwelt werden könnte. Zum ersten Mal in der jüngsten Geschichte Europas sollen die Bürger eines Landes selbst einen Teil der Lasten der Rettung ihres Staates übernehmen. Doch danach sieht es vorerst nicht aus. Zyperns Parlament lehnte gestern Abend das umstrittene Rettungspaket samt der geplanten Zwangsabgabe auf Bankguthaben ab. Kein Abgeordneter stimmte dafür.
Aufgebracht hatten die Bürger auf die Pläne reagiert. Wir erleben „Tage, wie die von 1974“, sagen viele Zyprer. Damals – im Juli 1974 – wurde die Insel nach einem griechischen Putsch und einer türkischen Militärintervention geteilt. Tausende starben. 200.000 wurden vertrieben. „Wir werden auch das überleben“, sagte Syllas Stylianou, ein Bauer aus der Ortschaft Dali nahe Nikosia. Eine Umfrage zeigt, dass nur noch 62 Prozent der Zyprer der EU vertrauen. Noch vor drei Jahren waren es 90 Prozent.
„Rettet die Bürger, nicht die Banken“, skandierten Demonstranten gestern vor dem Parlament. Die 58 Jahre alte Verkäuferin Katerina Stergiou, die gerade versucht, die maximal möglichen 800 Euro aus dem Geldautomaten zu ziehen, klagt: „Wie können sie uns das antun? Es ist so unfair. Ich habe mein ganzes Leben hart gearbeitet, nur damit sie mir jetzt das wegnehmen können, was ich für meinen Ruhestand auf die Seite gelegt habe.“ Und der 24-jährige Student Christos Bahadourian geht die Politik mit einem drastischen Vergleich an: „Sie stellen uns vor die Wahl, Selbstmord zu begehen oder erschossen zu werden.“
Auch Politiker wählen harte Worte dieser Tage, wenn sie über die internationalen Partner im Euroland sprechen. „Keine neukolonialistischen Handschellen“, sagte der sozialistische Parlamentspräsident Giannakis Omirou zu Reportern.
Die russischen, britischen und ukrainischen Kontoinhaber sollen schon in den Startlöchern sitzen. Der Filialleiter einer zyprischen Bank am zentralen Eleftherias- Platz von Nikosia befürchtet einen Ansturm auf die Kreditinstitute, sobald diese voraussichtlich am morgigen Donnerstag wieder öffnen und die Online-Systeme wieder laufen. Er hatte kurz die Bank durch die Hintertür betreten, um den Geldautomat mit Scheinen zu füllen. Die Geldautomaten sind seit Sonnabend die einzige Quelle, um auf Zypern an Geld zu kommen.
Geschäftsmodell ohne Zukunft
Der 66-jährige Staatspräsident Nikos Anastasiades geht durch schwierige Zeiten: Schlimm habe er sich gefühlt, als er am Vorabend Bundeskanzlerin Angela Merkel anrief und von ihr hörte, er solle sich für solche Themen nicht an Berlin, sondern an die EU in Brüssel und die Europäische Zentralbank wenden. Anastasiades lässt darauf hinweisen, er habe schon beim vergangenen EU-Gipfel zu bedenken gegeben, dass ein solches Gesetz in der Heimat nicht durchsetzbar sei. „Mit der Pistole am Kopf musste er in Brüssel Ja sagen“, erzählt einer seiner engsten Mitarbeiter im Fernsehen.
Das Geschäftsmodell Zyperns mit einem Bruttoinlandsprodukt von etwa 18 Milliarden Euro aber basiert größtenteils auf dem völlig überdimensionierten Bankensektor. Der lockte viele Geldgeber mit Dumpingsteuern, einer allzu laschen Finanzaufsicht und hohen Zinsen.
Ein Drittel der Guthaben von 68 Milliarden Euro sollen Ausländer halten, vor allem reiche Russen und Briten. Die Pro-Kopf-Einlagen in Zypern sollen nach Angaben aus Finanzkreisen bei 36.300 Euro liegen. Zum Vergleich: Im Euro-Durchschnitt hat ein Bürger etwa 18.600 Euro auf dem Konto, der deutsche Sparer hat 22.200 Euro. Deutsche Banken bieten bei Geldanlagen bis zu zwei Jahren Laufzeit einen Zins von durchschnittlich 1,57 Prozent, in Zypern sind es 4,43 Prozent.
Anleihegeber wie in anderen Euro-Problemländern gibt es in Zypern kaum. Kritiker monieren, dass Aktionäre der Banken geschont würden. Nur: Bei Eigentümern zyprischer Banken scheint wenig zu holen zu sein. Nach Kursverlusten an den Börsen sind viele Geldhäuser kaum noch etwas wert. Andere Geldhäuser gehören teils dem Staat, dem der Bankrott droht. (dpa)