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Mit der Straßenbahn aufs Land

Das einzige ostdeutsche Tram-Train-System in Chemnitz gilt als Erfolgsgeschichte. Jetzt soll der Ausbau des Netzes vorangetrieben werden.

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Ein Straßenbahnzug (r) aus dem sogenannten Chemnitzer Modell fährt in den Hauptbahnhof ein. Das Chemnitzer Modell verknüpft nach dem Tram-Train-Prinzip Straßenbahn und Eisenbahn.
Ein Straßenbahnzug (r) aus dem sogenannten Chemnitzer Modell fährt in den Hauptbahnhof ein. Das Chemnitzer Modell verknüpft nach dem Tram-Train-Prinzip Straßenbahn und Eisenbahn. © Hendrik Schmidt/dpa

Chemnitz. Hinter der Uni ist erstmal Schluss. Die unbenutzten Schienen überqueren noch eine Straße - dann enden sie zwischen Büschen und Sträuchern auf einer Brachfläche. Aus der Perspektive von Mathias Korda sind die Schienenstücke jedoch nicht End-, sondern Startpunkt: Von dort aus wird das regionale Nahverkehrssystem Chemnitzer Modell über den Campus der TU Chemnitz hinaus durch das Zwönitztal nach Aue verlängert. "Derzeit läuft das Planfeststellungsverfahren", schildert der Geschäftsbereichsleiter Verkehr/Infrastruktur im Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS) im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur.

2020 sollen nach derzeitigen Planungen Passagiere in Ostdeutschlands einzigem Tram-Train-System aus dem Zentrum von Chemnitz über Thalheim bis nach Aue fahren können, ohne umsteigen zu müssen. "Die Hälfte ist fertig", berichtet Korda über den als Stufe 2 geführten Ausbau des Chemnitzer Modells. Es folgen die Verbindung von Straßenbahn- und Eisenbahnnetz sowie der Bau von Haltepunkten und Kreuzungsbahnhöfen.

Rund 50 Millionen Euro sind dafür vorgesehen. Insgesamt soll Stufe 2 mit etwa 50 Kilometern Infrastruktur rund 80 Millionen Euro kosten. Davon tragen 60 Prozent der Bund über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG), 30 Prozent der Freistaat und 10 Prozent der Verkehrsverbund.

Aus Sicht des VMS ist das bestens angelegtes Geld. Denn das Chemnitzer Modell habe sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt. Im vergangenen Jahr nutzten von Januar bis Oktober 2,91 Millionen Fahrgäste die Kombination aus Straßenbahn und Regionalbahn. Nach einer Hochrechnung des Verbundes nutzten damit 2018 insgesamt 3,5 Millionen Passagiere das Angebot. Damit wurde erstmals die Drei-Millionen-Marke übertroffen. 2017 waren es in den ersten drei Quartalen 2,3 Millionen Fahrgäste und am Jahresende 2,66 Millionen. "Die Fahrgastzahlen sind stetig steigend", berichtet Korda. Die Züge haben 2018 rund 1,6 Millionen Kilometer bewältigt.

Das Chemnitzer Modell verknüpft nach dem sogenannten Tram-Train-Prinzip Straßenbahn und Eisenbahn. Insgesamt werden vier Linien betrieben, mit denen Passagiere aus der Innenstadt von Chemnitz ohne umzusteigen in die benachbarten Städte Stollberg im Erzgebirgskreis sowie Burgstädt, Mittweida und Hainichen im Landkreis Mittelsachsen fahren können.

Laut VMS wird damit ein Ballungsraum mit 800 000 Menschen erreicht und so die Attraktivität des ländlichen Raumes erhöht. "Das Chemnitzer Modell ist das Beste, was uns passieren konnte", meint Korda, "ich glaube nicht, dass sonst heute noch ein Zug nach Hainichen fahren würde."

In Hainichen möchte man die im Stundentakt fahrenden Citylink-Züge nicht missen. Die Direktverbindung vom Bahnhof der 9000-Einwohner-Stadt bis zur Zentralhaltestelle in Chemnitz dauert rund 45 Minuten. "Es wertet unsere Stadt sehr auf. Wir sind ja damit indirekt ein Vorort der drittgrößten ostdeutschen Stadt", sagt Bürgermeister Dieter Greysinger (SPD). Er sehe nur Vorteile und würde sich allenfalls eine höhere Taktung wünschen. "Ich kann aber so, wie es jetzt ist, gut damit leben."

Limbach-Oberfrohna möchte ebenfalls von der direkten Anbindung an Chemnitz profitieren, muss aber noch warten. Die Kreisstadt im Landkreis Zwickau ist derzeit vom Bahnverkehr abgekoppelt. Man habe relativ viele Ein- und Auspendler in die nähere Umgebung, schildert Oberbürgermeister Jesko Vogel (SPD). "Zudem würden wir dadurch wieder eine gute Anbindung an den Hauptbahnhof Chemnitz und damit an den überregionalen Schienenverkehr erreichen", fügt er hinzu.

Laut Verkehrsverbund ist die Anbindung von Limbach-Oberfrohna ein Mammutprojekt. 100 Millionen Euro Investitionskosten sind derzeit für den nahezu kompletten Neubau veranschlagt. In diesem Jahr könnten die Planungen aufgenommen und frühestens 2025 erste Abschnitte in Betrieb genommen werden. Derzeit würde das Augenmerk auf Trassensicherung liege, erklärt Korda.

Oberbürgermeister Vogel rechnet mit einem Zehn-Jahres-Zeitraum, bis der erste Zug seine Stadt erreicht. Bei der Stadtentwicklung werde das Chemnitzer Modell berücksichtigt. Dies betreffe Flächen für die Haltepunkte, aber auch Parkplätze und Unterstellmöglichkeiten für Fahrräder, "damit das Umsteigen komfortabel wird".

Den Auftakt in Chemnitz bildete 1995 eine Machbarkeitsstudie nach dem Vorbild des Karlsruher Modells. Am 14. Dezember 2002 wurde die Pilotstrecke - auch als Stufe 0 bezeichnet - nach Stollberg in Betrieb genommen. Von 800 Fahrgästen täglich 2001 wuchs die Zahl auf der Linie C11 bis 2018 auf 5400 an.

Nach einem Umbau am Hauptbahnhof Chemnitz folgten die anderen drei Linien Ende 2016. In kommenden Ausbaustufen sollen in den nächsten Jahren weitere Städte an das Netz angeschlossen werden. Die Pläne sehen vor, dass die Bahnen künftig nicht nur nach Aue und Limbach-Oberfrohna fahren sollen, sondern auch nach Oelsnitz/Erzgebirge sowie Annaberg-Buchholz und Olbernhau. (dpa)