Von Sven Siebert, Berlin
Die Kanzlerin hat schon erholter ausgesehen, wenn sie aus der Sommerfrische an den Dienstsitz in Berlin zurückgekehrt ist. Am Montagmorgen erschien Angela Merkel im rosa Blazer, mit Handtasche bewaffnet und lächelnd zur ersten Nachferiensitzung des CDU-Bundesvorstandes. Aber man hatte den Eindruck, ganz ist die Müdigkeit um die Augen nicht verschwunden. Wie hatte sie vor gut zwei Wochen in ihrer vorgezogenen Sommer-Pressekonferenz gesagt? „Abends gehe ich schon manchmal ganz gern ins Bett und schlafe.“ Wie viel Schlaf sie in ihrem Urlaub tatsächlich bekommen hat – darüber gibt es indes nicht mal eine inoffizielle Mitteilung.
Ein anstrengendes Jahr liegt hinter Merkel – Flüchtlingskrise, Amok und Terror, garniert mit ein bisschen Brexit, Seehofer-Angriffen und sinkenden Zustimmungswerten. Und ein anstrengender Herbst liegt vor ihr – auch wenn es mal keine unvorhergesehenen Sonderkrisen geben sollte.
In den Wochen bis Mitte September – erst wird in Mecklenburg, dann in Berlin ein neuer Landtag beziehungsweise ein neues Abgeordnetenhaus gewählt – wird Merkel damit beschäftigt sein, nach Möglichkeit weitere Verluste der CDU im Rahmen zu halten. Ihre Partei, die in beiden Landesregierungen als Juniorpartner der SPD mitregiert, hat schwache Umfragewerte. Und auch wenn Merkel CDU-Verluste in den vergangenen Monaten (Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt) immer kühl abgefedert hat – es wird für die Parteichefin nicht leichter zu regieren, wenn sich in der eigenen Partei der Eindruck verfestigt, mit ihr wären keine Wahlen mehr zu gewinnen.
Auf zur Agrargenossenschaft!
So bricht Merkel am Donnerstag auf, um in der vorpommerschen Agrargenossenschaft Zinzow mit potenziellen Wählern über die „zukunftsfähige Entwicklung in der Landwirtschaft“ zu diskutieren – nicht so ganz das Leib-und-Magen-Thema der mächtigsten Frau der Welt. Und man darf erwarten, dass dort, wo sich die AfD anschickt, stärkste Partei zu werden, auch andere Themen als Milchpreise, nachwachsende Rohstoffe und Brüsseler Subventionen eine gewisse Rolle spielen werden.
Die Flüchtlingszahlen sind seit dem vergangenen Herbst und Winter drastisch zurückgegangen, aber das Thema hat viele Bürger so aufgewühlt, dass es immer noch die politische Tagesordnung beherrscht.
Thomas de Maizière, der CDU-Innenminister, hat nach den Anschlägen von Ende Juli auftragsgemäß in der vergangenen Woche einen Maßnahmenkatalog „zur Erhöhung der Sicherheit in Deutschland“ vorgelegt. Er hat mehr Polizisten, effektivere Aufklärung, besseren Datenaustausch, Prävention sowie „Härte und Entschlossenheit“ gegen Gefährder und Straftäter versprochen, aber er hat damit den Druck nicht aus dem Kessel bekommen.
Seine Amtskollegen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin würden den Bürgern so gerne noch Burka-Verbote, die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft versprechen, weil sie hoffen, dass sie auf diesen Nebenschauplätzen der Integrationsdebatte abwandernde CDU-Wähler zur Umkehr bewegen könnten.
Die Union in den Ländern stellt fest, dass sie viele Menschen nicht mehr erreicht. Und die Chefin, die so lange für Stabilität und Verlässlichkeit stand, findet nicht den Ton, der verlorenes Vertrauen schnell wiederherstellen kann. Merkel versucht, Zustimmung langsam wiederherzustellen. Nach ihrem Zeitplan müssen die Menschen rechtzeitig im kommenden Jahr wieder das Gefühl haben, sie mache es irgendwie doch am besten. Im September 2017 wird der Bundestag neu gewählt.
Bis dahin muss sie reparieren, was kaputt gegangen ist – und verhindern, dass neuer Schaden entsteht. Spätestens Anfang September wird sie den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan wiedertreffen. Mit ihm hat sie die EU-Türkei-Vereinbarung zur Flüchtlingspolitik geschlossen. Doch seit Erdogan seine innertürkische Position mit Angriffen auf EU und Deutschland zu stärken versucht, wackelt der sogenannte „Deal“. Merkel wird versuchen, Erdogan bei der Stange zu halten.
Sie muss zugleich die EU selbst zusammenhalten und dazu Großbritannien gegenüber eine Linie verfolgen, die andere europäische Wackelkandidaten in ihren Separationsfantasien nicht bestärkt.
Eine Frage in eigener Sache
Und Merkels Stärke wird in den kommenden Monaten auch daran gemessen, ob es ihr gelingt, einen Nachfolger für Bundespräsident Joachim Gauck zu finden – und zwar ohne dass sie die Union in das Abenteuer einer Bundesversammlung mit ungewissem Ausgang schickt.
Gestern hat sie noch keine Nachrichten produziert – wenn man mal davon absieht, dass ihr Regierungssprecher entschlossen verkünden durfte, dass „das Töten und Sterben in Aleppo nun ein Ende haben“ müsse. Ach ja, Merkel hat ja in diesem Herbst noch eine Frage in eigener Sache zu klären. Ob sie nämlich 2017 noch einmal antritt. Bisher hat sie sich nicht festgelegt. Nur aus müden Augen gelächelt.