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Miteinander streiten - aber wie?

Zurück zur Sachlichkeit wollen die Bautzener und diskutieren in der Kirche. Doch der Weg dahin ist noch lang.

Von Marleen Hollenbach
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Um das gesellschaftliche Klima ging es am Freitagabend bei einem Bürgerforum in der Bautzener Maria-Martha-Kirche.
Um das gesellschaftliche Klima ging es am Freitagabend bei einem Bürgerforum in der Bautzener Maria-Martha-Kirche. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Hämisches Lachen hallt durch die Kirchenbänke. Gerade hat Annalena Schmidt, eine Rednerin des Abends, aus dem Grundgesetz-Paragrafen zur Meinungsfreiheit zitiert. „Eine Zensur findet nicht statt“, liest sie noch vor, bevor Pfiffe und Zwischenrufe ihre Worte übertönen. Später wird eine Frau mit dunkler Brille ihr vorwerfen, Schmidt, die seit vier Jahren in Bautzen lebt, habe mit der Stadt nichts zu tun. Sie wird ihr unterstellen, nichts geleistet zu haben und für ihre Abschlussworte „Gehen sie wieder“ sogar noch Applaus ernten.

Hitzig ist die Stimmung in der Maria-Martha-Kirche in Bautzen. Dabei war das Motto anders gedacht. „Zurück zur Sachlichkeit“ hatten die Organisatoren, die Stadt Bautzen und die Landeszentrale für politische Bildung, ihre Veranstaltung am Freitagabend genannt. Nach heftigen Auseinandersetzungen – vor allem in den sozialen Netzwerken – wollten sie darüber sprechen, wie in Bautzen wieder offen und konstruktiv miteinander diskutiert werden kann.

Die Bänke sind gefüllt, sogar auf den Emporen drängen sich die Zuschauer. 900 haben es in das Gotteshaus geschafft. Weitere 400 stehen vor geschlossener Tür. Dass der Andrang so groß ist, liegt vor allem an den zwei Rednern. Neben der Historikerin Annalena Schmidt tritt auch der Bauunternehmer Jörg Drews auf. Nacheinander sprechen beide ins Mikrofon, dann ist das Publikum dran. Jeder darf mitreden. Und geredet wird viel an diesem Abend. Zunächst viel übereinander. Wenn die Anfeindungen überhandnehmen, schreitet der Moderator ein, mahnt zu einer sachlichen Diskussion. Ab und an gelingt das auch. Die SZ fasst wichtige Gedanken zusammen:

Annalena Schmidt, Historikerin und Bloggerin

Klare Fronten gibt es in der Stadt nicht, meint Annalena Schmidt. Sie vergleicht Bautzen mit einer „zerklüfteten Landschaft“, in der es Bäche und Gräben gibt, die man mit mehr oder weniger Mühe überwinden muss. Außerdem kritisiert sie das Rechts-Links-Denken. „Dabei gibt es das Problem, dass man zu wenige Möglichkeiten der Differenzierung hat“, sagt Schmidt. Weil sie sich gegen Neonazis einsetzt, stehe sie für viele automatisch links. Menschen, die sie kritisiert, fühlen sich deshalb in die „rechte Ecke“ gedrängt. Es sei besser, von „politischen Strömungen“ zu sprechen. Die Meinungsfreiheit sei nicht in Gefahr, erklärt sie. Man müsse aber auch damit umgehen können, kritisiert zu werden.

Jörg Drews: Chef der Firma Hentschke-Bau

Als ein „wirklicher Bautzener“ bezeichnet sich Jörg Drews, weil er in der Stadt aufgewachsen ist. Bautzen habe Potenzial, sagt er und zollt jenen Respekt, die sich für die Stadt einsetzen. Es gebe aber auch jene, die versuchen würden, Menschen ins Abseits zu drängen. So bezeichne man ihn zum Beispiel als „Reichsbürger“. Da aber Reichsbürger bekanntlich keine Steuern zahlen, könne dieser Vorwurf nicht stimmen. Der Unternehmer spricht auch über eine multikulturelle Gesellschaft, in der für ihn Werte verloren gehen. Um das zu verhindern, will er sich politisch engagieren. Zur Diskurskultur in Bautzen schlägt Drews vor, Aussagen auf Twitter und Facebook einem Faktencheck zu unterziehen.

Alexander Ahrens, Oberbürgermeister der Stadt Bautzen

Miteinander offen diskutieren, das funktioniere nur, wenn man auch Positionen aushalten kann, die man nicht teilt, sagt Alexander Ahrens. Zu Jörg Drews erklärt Bautzens Oberbürgermeister: „Was mich wirklich ärgert, ist, wenn Kritik an seinen Ansichten oder an seinen Vorgehensweisen dazu genutzt wird, die ganze Firma in den Dreck zu ziehen.“ Firma und Person müsse man trennen. Auch dürfe eine inhaltliche Kritik nicht zur Verunglimpfung einer Person führen.

Karsten Vogt, Chef der CDU-Fraktion im Bautzener Stadtrat

Das „Wir“ muss wieder mehr im Vordergrund stehen, fordert Karsten Vogt. „Jeder ist der Meinung, er kann immer alles sagen, aber er stellt sich nie die Frage, welche Wirkung das auf der anderen Seite erzeugt“, sagt der CDU-Stadtrat und kritisiert: Statt miteinander zu reden, führe man den anderen nur vor.

Engelbert Merz, Mitbegründer des Vereins „Mündige Bürger“

Als „Basisdemokrat“ lehne er es ab, Menschen in Schubladen zu stecken, erklärt Engelbert Merz. Zu den Ereignissen 2016 in Bautzen sagt er: „Wir wurden abgestempelt, weil wir mutig waren und nicht mehr weggeguckt haben.“

Robert Lorenz lebt bei Bautzen und twittert darüber

Die Kritik, die in den sozialen Netzwerken über Bautzen geäußert wird, ist berechtigt, meint Robert Lorenz. Er verteidigt Facebook, Twitter und fordert Politiker wie den Landrat dazu auf, sich auf den Plattformen mehr einzubringen.

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Torsten Wiegel, Chef des Bautzener Steinhauses: Es war ein wichtiger Abend für Bautzen. Dass sich der Unmut ein Ventil gesucht hat, war zu erwarten und ein Stück weit auch nachvollziehbar. Die Stimmung in der Stadt ist aufgeladen. Viele Leute fühlen sich von den Dingen, die über die Sozialen Medien verbreitet werden, beleidigt. Dass dabei Unmut entsteht, ist klar. Ich denke aber auch, es ist uns an diesem Abend ein kleiner Schritt zurück zur Sachlichkeit gelungen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Es fehlt in Bautzen eine Diskurskultur. Um die zu entwickeln, sind weitere Veranstaltungen notwendig. Das wird uns alle noch viel Arbeit kosten.
Torsten Wiegel, Chef des Bautzener Steinhauses: Es war ein wichtiger Abend für Bautzen. Dass sich der Unmut ein Ventil gesucht hat, war zu erwarten und ein Stück weit auch nachvollziehbar. Die Stimmung in der Stadt ist aufgeladen. Viele Leute fühlen sich von den Dingen, die über die Sozialen Medien verbreitet werden, beleidigt. Dass dabei Unmut entsteht, ist klar. Ich denke aber auch, es ist uns an diesem Abend ein kleiner Schritt zurück zur Sachlichkeit gelungen. Wir sind auf dem richtigen Weg. Es fehlt in Bautzen eine Diskurskultur. Um die zu entwickeln, sind weitere Veranstaltungen notwendig. Das wird uns alle noch viel Arbeit kosten.
Christian Tiede, Pfarrer der evangelischen Dom-
Gemeinde: Ich habe mich gefreut, dass die Veranstaltung in der Kirche stattfand. Der Ort hat die Emotionen, die zweifelsfrei da waren, etwas gedämpft. Wir haben aber auch gesehen, dass an dem Abend Dinge aufgebrochen sind, die an Personen festgemacht wurden. Wir dürfen uns nicht aneinander abarbeiten. Kritisieren hat nichts damit zu tun, jemanden persönlich anzugreifen oder ihm mit Häme zu begegnen. Das war grenzwertig. Wer aber emotional ist, der sagt auch, dass es ihm nicht egal ist. Ich habe Zeiten erlebt, da waren die Leute für kommunale Themen nicht ansprechbar. Jetzt brennen sie für ihre Stadt.
Christian Tiede, Pfarrer der evangelischen Dom- Gemeinde: Ich habe mich gefreut, dass die Veranstaltung in der Kirche stattfand. Der Ort hat die Emotionen, die zweifelsfrei da waren, etwas gedämpft. Wir haben aber auch gesehen, dass an dem Abend Dinge aufgebrochen sind, die an Personen festgemacht wurden. Wir dürfen uns nicht aneinander abarbeiten. Kritisieren hat nichts damit zu tun, jemanden persönlich anzugreifen oder ihm mit Häme zu begegnen. Das war grenzwertig. Wer aber emotional ist, der sagt auch, dass es ihm nicht egal ist. Ich habe Zeiten erlebt, da waren die Leute für kommunale Themen nicht ansprechbar. Jetzt brennen sie für ihre Stadt.
Angela Palm, Stadträtin der Linken in Bautzen: Mich hat es beeindruckt, dass so viele Bürger zur Veranstaltung gekommen sind. Das hat meine Erwartung übertroffen. In Summe war es eine sachliche Diskussion. Es gab Emotionen, aber die sind nicht aus dem Ruder gelaufen. Kleine Dinge kann man sicherlich besser machen. Zum Beispiel, dass wirklich alle Redner zu Beginn ihren Namen nennen. Aber das war auch erst der Beginn. Wir haben gesehen, dass es Bedarf an einem solchen Format gibt. Beim nächsten Mal würde ich mir wünschen, dass es noch mehr um ein Sachthema geht. Der Moderator hat eine Debatte zum Rechtsstaat vorgeschlagen. Das ist eine gute Idee.
Angela Palm, Stadträtin der Linken in Bautzen: Mich hat es beeindruckt, dass so viele Bürger zur Veranstaltung gekommen sind. Das hat meine Erwartung übertroffen. In Summe war es eine sachliche Diskussion. Es gab Emotionen, aber die sind nicht aus dem Ruder gelaufen. Kleine Dinge kann man sicherlich besser machen. Zum Beispiel, dass wirklich alle Redner zu Beginn ihren Namen nennen. Aber das war auch erst der Beginn. Wir haben gesehen, dass es Bedarf an einem solchen Format gibt. Beim nächsten Mal würde ich mir wünschen, dass es noch mehr um ein Sachthema geht. Der Moderator hat eine Debatte zum Rechtsstaat vorgeschlagen. Das ist eine gute Idee.
Reinhard Schade, Richter am Landgericht Bautzen: Ich habe die Veranstaltung als sehr authentisch wahrgenommen. Ich denke, sie hat die Stimmung in der Stadt gut wiedergegeben. Zu Beginn musste ich allerdings darüber nachdenken, wie ich mit der Flügelbildung an diesem Abend umgehen soll. Gut an dem Format finde ich, dass jeder zu Wort kommen kann. So ist es möglich, verschiedene Sichtweisen kennenzulernen. Es war erhellend zu merken, wie die Leute ticken. Ich konnte einen Eindruck von ihrer Gedankenwelt bekommen. Noch besser wäre es aber gewesen, wenn man vorher mehr darüber erfahren hätte, worum es bei der Debatte eigentlich geht.
Reinhard Schade, Richter am Landgericht Bautzen: Ich habe die Veranstaltung als sehr authentisch wahrgenommen. Ich denke, sie hat die Stimmung in der Stadt gut wiedergegeben. Zu Beginn musste ich allerdings darüber nachdenken, wie ich mit der Flügelbildung an diesem Abend umgehen soll. Gut an dem Format finde ich, dass jeder zu Wort kommen kann. So ist es möglich, verschiedene Sichtweisen kennenzulernen. Es war erhellend zu merken, wie die Leute ticken. Ich konnte einen Eindruck von ihrer Gedankenwelt bekommen. Noch besser wäre es aber gewesen, wenn man vorher mehr darüber erfahren hätte, worum es bei der Debatte eigentlich geht.