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Mittendrin statt vorneweg

Die deutschen Radprofis enttäuschen zwar bei der Straßen-WM. Sie blicken aber auf eine erfolgreiche Saison zurück.

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© dpa

Von Emanuel Reinke

Sport ist keine Mathematik und im Allgemeinen nur bedingt planbar. Das bewies die abgelaufene Woche bei der Rad-Weltmeisterschaft in Richmond. Die Voraussetzungen schienen gegeben zu sein für eine durchweg grandiose Leistungsschau der deutschen Profis. Gerade bei den Höhepunkten Einzelzeitfahren und Straßenrennen – denkste. Tony Martin leistete sich völlig unerwartet einen Aussetzer im Kampf gegen die Uhr, und auch John Degenkolb erfüllte die hohen Erwartungen nicht. Das ist eine Enttäuschung. Eine Katastrophe ist es nicht.

Die deutschen Radprofis befinden sich deswegen nach ihrem zuletzt stetigen Aufschwung nicht gleich wieder in einem Abwärtstrend. Die Saison 2015 bot ja schließlich auch viele Erfolge: Degenkolbs Klassikersiege, Martins Drama bei der Tour de France, die Etappentriumphe von Simon Geschke und Andre Greipel bei der großen Schleife. Auch Sprinter Marcel Kittel dürfte sich nach einem miserablen Jahr in der nächsten Saison wieder zurückmelden. Die Erfolge lassen nicht nach. Bei der WM im Bundesstaat Virginia lief einfach einiges nicht so perfekt wie bei manch anderem Ereignis. Das sollte man keineswegs ignorieren, sondern mit aller gebotenen Sorgfalt analysieren und bewerten. Alarmierend ist es nicht.

„Wir verkraften das“, betont Degenkolb. „Wir brauchen uns mit diesem Auftritt nicht zu verstecken.“ Platz 29 sieht nur auf dem Papier nach einem Debakel aus, auch wenn die Auswahl des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR) schon den einen oder anderen taktischen Fehler einräumt. „Ich war zu nervös und habe die Nerven verloren“, erklärt der Paris-Roubaix- und Mailand-Sanremo-Sieger. Er verlor beim Angriff des Weltmeisters Peter Sagan aus der Slowakei erst den Anschluss und setzte dann zu ungestüm nach.

„Es war eine Verzweiflungstat. Ich war zu offensiv. Ich hätte pokern sollen. Ich habe bis zuletzt gekämpft und bin mit Schmerzen über die Linie gefahren. Mehr war nicht drin.“ Der Australier Michael Matthews wurde für seine Geduld immerhin noch mit Silber vor dem Litauer Ramunas Navardauskas belohnt. Degenkolbs Helfer rieben sich schon davor auf – wegen einer gefährlichen Spitzengruppe mit dem Belgier Tom Boonen. „Wir haben da vier Mann verbraucht“, meint Greipel. Er stellte seine Ambitionen zurück. „Wenn wir nicht gefahren wären, wäre sie weg gewesen.“

Auch wenn dieses Rennen in den USA danebenging und der Etappentriumph bei der Frankreich-Rundfahrt im Juli ausblieb – für Degenkolb bleibt dieses Jahr die Saison, in der er in den kleinen Kreis der besten Klassikerfahrer der Welt fuhr. „Ich bin sehr zufrieden mit der Saison und kann mich nicht beklagen.“

Das Warten auf Altigs Nachfolger

Bei der WM 2016 in Katar unternimmt der BDR den nächsten Anlauf, nach dann 50 Jahren einen Nachfolger für den bisher letzten deutschen Weltmeister Rudi Altig zu finden. Es soll sich erneut um einen Kurs handeln, der den Sprintqualitäten der Deutschen entgegenkommt. Davor gibt es Olympia. Dafür sind die deutschen Radprofis bestens gerüstet, sagt BDR-Sportdirektor Patrick Moster. Besonders die Aussichten im Einzelzeitfahren hätten nicht unter dem Eindruck von Martins Desaster gelitten. „Wir sind im Soll. Auch Tony wird um die Medaillen mitsprechen.“

Martin nutzte die WM zu einem Abstecher nach Rio de Janeiro, um die Strecke für die Sommerspiele schon mal zu begutachten – so weit das möglich ist. Während der 30-Jährige im Flugzeug nach Brasilien saß, ließen seine Mannschaftsgefährten den Abschlussabend in einem Steakhaus ausklingen. Die Katerstimmung hielt bei Degenkolb nicht allzu lange an. Ein paar Bier hellten die Atmosphäre im Teamhotel wieder auf. Dazu fand er bei Frau Laura und Sohn Leo Robert Trost. Außerdem lockte ja auch der bevorstehende Amerika-Urlaub.

„Die Mannschaft hat super gearbeitet und sich ins Zeug gelegt, um mir ein gutes Rennen zu ermöglichen – großes Kompliment an alle“, betont der 26-Jährige. „Die Unterstützung, die ich bekommen habe, war aller Ehren wert.“ Mehr aber auch nicht. Er hofft, sie „irgendwann mal an die Mannschaft zurückgeben“ zu können – vielleicht ja am 6. August 2016 beim olympischen Straßenrennen. (sid mit dpa)