Merken

Modehandel gegen alle Widrigkeiten

Georg Haase war jahrzehntelang Chef des gleichnamigen Modehauses. Obwohl er das anfangs gar nicht werden wollte.

Teilen
Folgen
© Archiv/privat

Von Eric Weser

Frauenhain. Beinahe gerät er ins Schwärmen, wenn er sich erinnert. Daran, wie er überall in der DDR unterwegs war, um Ware zu besorgen. „Bei der Konsumgütermesse in Leipzig bekamen wir ja nicht mal 20 Prozent von dem, was wir brauchten“, erzählt Georg Haase. Zusätzliche Quellen für Hemden, Hosen und Jacken müssen her. Dazu nutzt der Modehändler einen der wenigen Vorteile für DDR-Selbstständige: Anders als etwa die Mitarbeiter der Handelsorganisation (HO) kann er Kilometer fahren, soviel er will. Zwischen Suhl und Grevesmühlen steuert er die Textilbetriebe mit seinem Skoda-Kombi an – und hat Erfolg. „Ich bin auf keiner Tour leer zurückgekommen.“

Der Stammsitz des Modehauses in Frauenhain heute.
Der Stammsitz des Modehauses in Frauenhain heute.

All das liegt lange zurück, doch noch heute zehrt das Unternehmen von dieser Umtriebigkeit. Georg Haase ist inzwischen Rentner. Aufs Altenteil hat er sich aber noch nicht gesetzt, im Familiengeschäft ist der drahtige 66-Jährige noch stundenweise dabei. „Loslassen ist ein Kunststück“, sagt Haase – und er weiß, wovon er spricht. Sein Vater habe das nicht gekonnt. „Ich hatte das Geschäft auf dem Papier übernommen, aber eine Veränderung war nicht zu spüren“, erinnert er sich. Er habe es bei seinem Nachfolger besser machen wollen – und schon mit Mitte fünfzig angefangen, das Geschäft zu übergeben. Seit Jahren ist Sohn Christoph alleiniger Chef des Hauses, das in diesem Jahr 160. Geburtstag feiert.

Georg Haase hatte das Frauenhainer Traditions-Modegeschäft 1979 übernommen. Eingestiegen war er 1970 – widerwillig. „Als Jugendlicher hätten mich keine zehn Pferde in den Laden bekommen“, sagt Haase, der zunächst eine Lehre als Autoschlosser abgeschlossen und auf der Abendschule sein Abitur gemacht hatte, um technisch studieren zu dürfen. Weil die Familie christlich war und selbstständig, hatte er im SED-Regime aber keine Chance. Vater Gerhart bekommt den Sohn schließlich dazu, einzusteigen. „Das wurde schon autoritär gemacht damals. Aber das Geschäft war da schon ein Werk von mehreren Generationen. Klar ist einem das nicht egal“, erinnert sich Georg Haase.

Nach einer „sehr holprigen“ Anfangszeit fuchst er sich ein. Ihm wird doch noch ein Fernstudium genehmigt, in dem er sich zum „Ökonom des sozialistischen Binnenhandels“ qualifiziert. Als wichtiger Motivationsfaktor erweist sich der geschäftliche Erfolg, der sich infolge der Besorgungstouren im ganzen Land einstellt. Aber auch im Laden ist er präsent – und mit Gattin Katharina zieht er vier Kinder groß. „Wie man all das gemacht hat, weiß ich nicht.“

Es gibt Zeiten, da lässt Georg Haase ganze Lkw-Ladungen voll mit Kleidung in die sächsische Provinz karren, zum Beispiel aus dem überversorgten Berlin. Immer problemloser sei die Beschaffung mit der Zeit geworden. „Die letzten DDR-Jahre hat das regelrecht Spaß gemacht“, erzählt Haase. Dann kommt die Wende. Zwar freut sich der Unternehmer über den Umbruch. „Aber damals hatte ich wirklich meine schlimmste Existenzangst.“ Ob die Leute jetzt noch einen Laden auf einem Dorf wie Frauenhain brauchen? Georg Haase übernimmt das Modehaus Sack auf dem Riesaer Boulevard. Es zeigt sich, dass die Geschäfte sehr gut laufen. Um die Leute auch in Frauenhain gut bedienen zu können, entschließt sich Georg Haase, das dortige Geschäft groß auszubauen.

Doch es gibt ein Problem. Denn wie sich zeigt, gehört der Familie ihr Stammhaus gar nicht. Zu DDR-Zeiten hatten sie das Geschäft an die HO zwangsverkaufen müssen und waren Mieter. In der Wendezeit habe er das Haus in Absprache mit den damaligen HO-Direktoren zurückgekauft, so Georg Haase. Dann habe sich plötzlich die Treuhand gemeldet – und erklärt, dass es ihr Eigentum sei. Aller Protest und auch das Ersuchen hoher Politiker hilft nichts. Zwar lässt sich die Treuhand auf einen langfristigen Handel ein. Während andere Immobilien oder Produktionsstätten für eine D-Mark verhökert werden, müssen die Haases ihren Besitz für viel Geld zurückkaufen. Die letzte Rate fließt Anfang 2016. „Das ist mein Beitrag zur Einheit“, sagt Georg Haase und betont, ihn mache diese Sache nicht bitter. Seinen 1999 verstorbenen Vater habe sie dagegen sehr mitgenommen. „Er hat das nie verkraftet.“

Gerhart Haase etwas geschaffen, das für die Familie von großem Wert ist: ein Buch, in dem ein großer Teil der Historie der Modehändler-Familie aufgezeichnet ist. Die handgeschriebenen Buchstaben wirken wie gemalt, zahlreiche Fotos und Ausschnitte von Zeitungswerbung der frühen Jahre zieren das Werk. Rundherum finden sich Geschichten wie jene, dass die Rote Armee nach Kriegsende das Geschäft plünderte und es sich rund 50 Soldaten zwei Tage lang in Sargwäsche gemütlich machten, ehe sie weiterzogen. Georg Haase will dem Buch demnächst weitere Geschichten hinzufügen. „Auch wenn meine Handschrift nicht so schön ist“, sagt er. Es gibt so vieles, woran sich zu erinnern lohnt.