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Möwe und das Eier-Dilemma

Die Nudelfirma hat in den vergangenen 65 Jahren manche Krise bestanden. Mit der jetzigen plagen sich die Warener wenigstens nicht alleine.

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© dpa

Von Winfried Wagner

Der Fipronil-Eier-Skandal liegt Monate zurück, aber Nudel-Experte Wolfgang Sengewisch muss sich noch immer mit den Auswirkungen befassen. Der 63-Jährige ist Geschäftsführer des traditionsreichen Nudelherstellers Möwe Teigwarenwerk GmbH (Waren). Der einst größte ostdeutsche Hersteller von Spaghetti, Fussili und kleinen Brühnudeln braucht „in der Regel zwölf Tonnen Eigelb pro Woche, was 240 000 Eier sind“, sagt Sengewisch. Doch viele Hühnerhalter, die ihre Ställe wegen des Skandals im Sommer räumen mussten, könnten immer noch nicht liefern, da Junghühner erst nach sechs Monaten legen. Hinzu komme, dass auch Handel, Bäcker und Feinkosthersteller enorme Mengen Eier brauchen. „Das Thema wird uns noch mindestens bis Ostern 2018 beschäftigen“, sagt Sengewisch.

Dabei haben die Warener etliche Krisen umschifft. Das Unternehmen wurde 1952 gegründet, belieferte bis 1990 ganz Ostdeutschland und Nachbarländer und begeht gerade sein 65-jähriges Bestehen. 1991 war die Möwe als eine der ersten Firmen von der Treuhand privatisiert und an den holländischen CSM-Konzern verkauft worden. Als dieser seine Lebensmittelsparte abstieß, kam der Birkel-Konzern, der wiederum später von Spaniern übernommen wurde. 2011 sollte das Warener Werk geschlossen werden, da übernahm Sengewisch das Werk auf eigene Faust. „Inzwischen haben wir uns am Markt etabliert“, sagt er. Nachdem Konkurrenten in Berlin und Buxtehude geschlossen wurden, ist Möwe mit knapp 40 Mitarbeitern der letzte Nudelhersteller in Norddeutschland. „Das spricht für uns, denn wer Klimabilanz und regionale Wirtschaftskreisläufe ernst nimmt, braucht auch regionale Nudelhersteller.“ Die führende Rolle im Handel Ostdeutschlands haben die Warener an die Konkurrenz aus Riesa und Erfurt zwar verloren. „Aber wir sind immer noch unter den größten zehn der etwa 30 deutschen Hersteller.“ Jährlich verlassen etwa 13 000 Tonnen Vollkorn-, Hartweizen- und Eiernudeln das Werk an der Müritz. Davon gehen nur noch 15 Prozent in den Handel einiger großer Ketten, der Rest überwiegend an etablierte Feinkost- und führende Babynahrungshersteller.

Statistisch gesehen im Nachteil

15 Prozent der Möwe-Nudeln gehen ins Ausland, vor allem in die Nachbarstaaten im Norden, Süden und Westen. Dazu werden jährlich mehrere Hunderttausend Euro in moderne Fließstrecken investiert, auf denen die Bänder sieben Tage die Woche laufen. Kameras überwachen die Fussili-Ströme: „Da darf nicht eine falsche Nudel drin sein“, erklärt Angestellte Irena Richter. Nebenan im Lager stehen riesige 750 Kilogramm schwere Säcke, die an die Industrie gehen.

Zuletzt lobte auch die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) die Warener, als wieder ein Tarifvertrag abgeschlossen wurde. „Möwe hat trotz der vielen Eigentümerwechsel immer nach Tarif und mehr gezahlt“, freute sich Gewerkschaftsleiter Jörg Dahms. Das mache sich angesichts des demografischen Wandels bemerkbar. „Bisher haben wir keine Arbeitskräfteprobleme gehabt“, erklärt Sengewisch. Wer Lebensmittel in hoher Qualität herstelle, der habe auch eine Verantwortung für gute Mitarbeiter. So sind einige Beschäftigte schon 48 Jahre dabei. Sie werden altersbedingt durch selbst ausgebildete Azubis ersetzt. Auch Studenten fördert die Firma. So wird geforscht, wie man heimische Lupine in die Nudelproduktion integrieren kann.

Statistisch gesehen sind die Mecklenburger gegenüber Süddeutschen und Südeuropäern im Nachteil. In Deutschland liegt der Nudelverbrauch bei etwa acht Kilogramm Nudeln pro Kopf und Jahr, sagte eine Sprecherin des Verbandes der Getreide-, Mühlen- und Stärkewirtschaft (VGMS) in Berlin. In Mecklenburg-Vorpommern wird aber nur ein Drittel davon erreicht, in Süddeutschland sind es 15 Kilo pro Kopf und Jahr. Zum Vergleich: In der Schweiz werden 10, in Italien 26 Kilogramm Nudeln pro Einwohner im Jahr gegessen.

Die in Deutschland beliebteste Nudel ist immer noch die Spaghetti, vor Spiralen, Bandnudeln, Röhrchen und Spätzle. „Doch wir merken, dass der Trend langsam zu kleineren Nudelformen geht“, lautet die Erfahrung an der Müritz. Die Warener hoffen trotz der Konkurrenz durch Kartoffeln und Reis, dass langsam auch im Norden mehr Nudeln auf den Tisch kommen. (dpa)