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Pfarrerin: "Die Kunst ist es, die Sache zu verurteilen, aber den Menschen zu achten"

Großenhains frühere Pfarramtsleiterin Sarah Zehme leitet seit März das Diakonenhaus Moritzburg als Vorständin. Im Interview spricht sie über ihre neue Arbeit, und wie sie mit Kirchenaustritten und Fremdenfeindlichkeit umgeht.

Von Lucy Krille
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Sarah Zehme hat im März ihr Büro als Vorständin des Diakonenhauses in Moritzburg bezogen. Den Weg in die Kirche findet sie noch immer regelmäßig.
Sarah Zehme hat im März ihr Büro als Vorständin des Diakonenhauses in Moritzburg bezogen. Den Weg in die Kirche findet sie noch immer regelmäßig. © Norbert Millauer

Moritzburg. Als Pfarrerin bringt Sarah Zehme Menschen zusammen und vermittelt christliche Werte. Dies tut sie auch immer noch, seit März aber in einer anderen Funktion. Die frühere Pfarramtsleiterin der Kirchgemeinde Großenhain ist als Vorständin an das Diakonenhaus in Moritzburg gewechselt, das etwa 550 Diakonen und Diakoninnen beschäftigt. Zum Haus gehören das Philippus-Institut für berufsbegleitende Studien, die Schule für Sozialwesen "Hans Georg Anniès", das Seniorenzentrum "Haus Friedensort", Altersgerechtes Wohnen, sowie ein Gästehaus und eine Mensa.

Frau Zehme, sie sind vom Pfarramt in den Vorstand des Diakonenhauses gewechselt. Was machen Sie da konkret?

Zum einen ganz klassische Vorstandarbeit, das heißt, unsere Einrichtungen zusammenzuhalten. Der zweite Part ist die theologische Entwicklung. Wenn Eltern ihre Tochter beispielsweise bei der evangelischen Schule für Sozialwesen anmelden, dann gibt es eine bestimmte Idee, zum Beispiel, dass es Schulgottesdienste gibt. Aber auch ein allgemeines Miteinander, im Sinne von Nächstenliebe, Toleranz oder Barrierefreiheit. Diese Werte will ich mit den Menschen vor Ort entwickeln. Zudem bilde ich an unserem Philippus-Institut im Bereich Theologie. Dabei hilft mir auch meine vorherige Arbeit.

Das klingt nach vielen Aufgaben gleichzeitig. Wie schalten Sie ab?

Zum Beispiel mit Podcasts und Musik, die ich auf dem Arbeitsweg höre. Zudem fordern unsere vier Kinder ihren Raum, und das ist heilsam und wichtig. Ich kenne auch Menschen, die haben unterm Weihnachtsbaum noch ihre Arbeit geleistet. Das ist nicht gesund, das muss schon alles im Einklang sein. Aber natürlich kommt man auch mal an Grenzen und ich weiß, dass es auch Frauen mit Familie abschreckt in Leitungspositionen zu gehen, wo eine bestimmte Abrufbarkeit gefordert wird. Es ist klar, dass das mit 40 Stunden in der Woche nicht immer gemacht ist, aber es braucht immer eine Balance.

Haben Sie noch Zeit, selbst Andachten zu halten?

Ja, zum Beispiel beim Schuleinführungsgottesdienst. Ich habe das Pfarramt nicht komplett aufgegeben, denn ich bin ja von Hause aus Gemeindepfarrerin und das auch sehr gerne.

Wie gehen Sie damit um, dass immer weniger Menschen auf der Kirchbank sitzen?

Dass Menschen aus der Kirche ausgetreten sind, schmerzt mich, aber das, und auch die Demografie lassen sich an vielen Stellen nicht mehr drehen. Ich denke immer, es ist wichtig, gute Angebote zu machen und dem zu entsprechen, was ja auch Auftrag der Kirche ist, nämlich den Menschen eine frohe Botschaft zu bringen. Ganz grundsätzlich glaube ich, dass es eine inhaltsreiche und hoffnungsreiche Arbeit an der Basis braucht, mit Menschen, die Herausforderungen mit Ideen begegnen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir Menschen im Leben einen Sinn suchen, und dass der im Glauben zu finden ist. Aber die Frage ist tatsächlich, ob der sonntägliche Gottesdienst das Format ist, was attraktiv für Familien mit kleinen Kindern ist.

Was, wenn es das nicht mehr ist?

Das sind Fakten, denen man nüchtern begegnen muss. In meiner alten Kirchgemeinde haben wir Projekte umgesetzt, die erfolgreich sind. Zum Beispiel gibt es einen Jazz-Gottesdienst sonntagabends mit inhaltlich kritischen und kurzen Texten oder unser Familienprojekt Bärenstark, wo es vormittags eine Andacht gibt und danach gemeinsam gegessen wird. Ich glaube nicht, dass es den traditionellen Gottesdienst gar nicht mehr braucht, aber unsere Gesellschaft ist segmentiert und oft nicht mehr in einer Zielgruppe zu erfassen.

Wenn man sich mit Menschen unterhält, wird immer wieder ein fehlendes Miteinander beklagt. Wie kann Kirche, wie können Ihre Einrichtungen das wiederherstellen?

Unsere Seminare sollen immer Räume sein, wo Menschen unterschiedlicher Prägung miteinander ins Gespräch kommen. Bei unserer berufsbegleitenden Ausbildung sitzt beispielsweise der Tischler neben einer Literaturwissenschaftlerin und einer Hausfrau, die lange in Elternzeit war. Da kommen Menschen mit unterschiedlicher Frömmigkeit und politischer Einstellung zusammen. Bei uns lernen sie, in der Sache zu diskutieren, ohne den Menschen als Menschen zu vergessen. Diese Kommunikationskompetenz sollen sie dann auch weitergeben.

Was bedeutet es, den Menschen als Menschen nicht zu vergessen?

Ein Beispiel: Ich höre schon im Grundschulalter fremdenfeindliche Aussagen von Kindern, die diese von ihren Eltern übernommen haben. Wir als Kirche müssen da markieren, dass es nicht geht, Menschen zu stigmatisieren, etwa nach ihrer Herkunft. Erstmal sollte man nachhaken, ob das Kind wirklich weiß, was es sagen will. Dann ist es wichtig, die Dinge konkret zu machen und zu besprechen, was das Gesagte bedeutet. Was wäre, wenn die beste Freundin so behandelt wird? Da muss immer wieder das Gespräch gesucht werden und es müssen auch die unbequemen Themen angesprochen werden. Die Sache zu verurteilen und gleichzeitig den Menschen zu achten, das ist die große Kunst.

Wie politisch ist denn die Kirche?

Jeder, der mit dem Glaubensthema unterwegs ist, sollte auch diesen Impuls haben, zu sagen, welche Werte wir leben und welche nicht. Wir haben im Mai ein Papier als Diakone und Diakoninnen verabschiedet, indem wir uns von extremistischen Aussagen abgrenzen und dazu aufrufen, sich politisch zu engagieren.

Warum ist das wichtig?

Sozialpolitik ist ein Thema des Diakonischen Werkes und wenn da gekürzt wird oder Zuwendungen nicht mehr gezahlt werden und Projekte wegfallen, betrifft das natürlich ganz konkret unsere Arbeit. Und das betrifft vor allem die Menschen, mit denen gearbeitet wird.