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Moscheebomber bedroht Polizisten

Nach fünf Monaten zeigt der Angeklagte Nino K. in seinem Prozess Emotionen.

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© Ronald Bonß

Von Alexander Schneider

Es ist eine bizarre Situation. Nach den zahlreichen Ermittlungspannen, die im Prozess um den Anschlag auf die Dresdner Moschee bekannt geworden sind, saß nun der Hauptsachbearbeiter Marko R. (42) bereits zum dritten Mal am Zeugentisch im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Dresden. In einer Beratungspause richtete plötzlich der Angeklagte Nino K. das Wort an den Zeugen. Was der 31-Jährige sagte, war für Zuschauer nicht zu verstehen, doch Marko R. entgegnete ihm laut und deutlich. Er werde sich notieren, was K. soeben gesagt habe. Nino K. grinste den Zeugen an und sprach weiter.

Wenige Minuten später berichtet der Kommissar dem Gericht, dass der Angeklagte ihn bedroht habe: „Ich mach’ Dich fertig, mein Freund“, soll Nino K. gesagt haben, und: „Wir sehen uns wieder!“ Der eiserne Gesichtsausdruck des Vorsitzenden Richters Herbert Pröls spricht in dieser Minute Bände. Oberstaatsanwalt Ricardo Schulz kündigt an, er werde prüfen, ob gegen den Angeklagten ein neues Ermittlungsverfahren eingeleitet werden muss. Auch das Gericht prüft Sanktionen, etwa Ordnungsmittel oder sogar eine Ordnungshaft, will zuvor aber K. dazu anhören.

Seit Ende Januar muss sich Nino K. unter anderem wegen versuchten Mordes und Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen verantworten. Am 26. September 2016 zündete er laut Anklage um 21.48 Uhr eine Rohrbombe vor der Wohnungstür der Fatih-Camii-Moschee. Zwar wurde niemand verletzt, doch K. habe den Tod des Imam und seiner Familie in Kauf genommen. Kurz nach 22 Uhr detonierte ein weiterer Sprengsatz auf der Dachterrasse des Kongresszentrums. Dort war am 3. Oktober anlässlich des Tages der Deutschen Einheit ein Empfang des Bundespräsidenten Joachim Gauck geplant. Laut Anklage habe K., der 2015 als Pegida-Redner aufgetreten war, mit seinem fremdenfeindlichen Anschlag ein Zeichen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung setzen wollen.

Der Angeklagte, in dessen Wohnung ein weiterer intakter Brandsatz gefunden worden war, gab die Anschläge zu. Er habe jedoch niemanden verletzen wollen. Der Klimaanlagenmonteur sitzt meist ruhig auf der Anklagebank. Ab und an flüstert er mit seinen Verteidigern oder blickt Zeugen mit großen Augen an. Manchmal platzt es aber auch aus ihm heraus und er fragt Zeugen, etwa ob sie denn nicht wüssten, wer alles in dieser Moschee ein und aus gehe und was sich dort abspiele.

Die mutmaßliche Bedrohung gegenüber dem Ermittler Marko R. ist eine neue Dimension. Ganz offensichtlich hatte sich Nino K. über das geärgert, was der Kommissar zuvor ausgesagt hatte. Das Gericht hatte den Polizisten R. dazu verdonnert, einen türkischstämmigen Rentner, der zur Tatzeit ein Nebengelass der Moschee bewohnt hatte, nachträglich zu vernehmen. Keiner der Ermittler war unmittelbar nach dem Anschlag auf die Idee gekommen, den Rentner, der als Erster am Tatort war, intensiv zu befragen. Also musste R. im Mai nach Baden-Württemberg fliegen, dort lebt der Mann inzwischen bei Angehörigen, um ihn ein Jahr und acht Monate nach dem Anschlag endlich zu vernehmen.

Es brannte noch Licht

Der Rentner habe ihm berichtet, dass er im Begriff gewesen sei, zu Bett zu gehen. In seinem Zimmer habe noch Licht gebrannt, die Gardine sei nicht zugezogen gewesen. Kommissar R. schätzte aus seiner „polizeilichen Erfahrung“ ein, dass das Licht im Nebengelass, das nur wenige Meter vom Tatort entfernt war, auch für K. gut sichtbar gewesen sein muss. Wieder sah der Angeklagte den Zeugen mit großen Augen an, grinste und nickte ihm zu. „Stimmt alles nicht“, sollte das wohl heißen.

Der Prozess läuft nun schon fünf Monate. Auch am jüngsten Sitzungstag wurde keine der vielen Pannen entkräftet, die in dem Verfahren ans Licht kamen. Im Gegenteil. R. berichtete, der Rentner habe ihm erzählt, wie er am Morgen nach dem Anschlag sogar den damaligen Innenminister Markus Ulbig (CDU) über das Anwesen geführt habe. Wieso der Zeuge nie vernommen worden war, konnte auch R. nicht erklären. Er war damals noch im Urlaub.

Es gibt weitere Tatzeugen, die nicht oder erst fünf Monate später befragt wurden. Der Tatort wurde nur unzureichend nach Spuren abgesucht. Der einzige Splitter, der für die Polizei nun der Beweis für die Detonation einer Rohrbombe ist, wurde erst im April 2017 entdeckt – in einer Tüte Kehrschutt. Bis dahin waren die Beamten von einem Brandsatz ausgegangen, obwohl zwei weitere Rohrbomben gefunden wurden, die nicht detoniert waren. Der Splitterfund ist nicht dokumentiert, kritisiert Verteidiger Hansjörg Elbs.

Die beiden intakten Bomben haben Ermittler im Mai 2017 in die Luft gejagt, um deren Gefährlichkeit zu begutachten. Diese Testsprengungen hätten sich die Beamten aufgrund fachlicher Mängel sparen können. Es gibt am Landeskriminalamt Sachsen (LKA) seit Jahren keinen Sprengstoffgutachter mehr. Das Schwurgericht sah sich gezwungen, einen Experten des Bundeskriminalamtes (BKA) einzuschalten. Der habe mitgeteilt, dass die LKA-Sprengungen „nicht ausreichend dokumentiert“ seien. Der BKA-Mann muss nun selbst nachgebaute Rohrbomben sprengen, sein Gutachten wird Ende Juli erwartet.