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Mühsame Aufarbeitung

Wie schwer waren die Pannen der Polizei bei der Überwachung des späteren Attentäters Amri? Dieser Frage gehen in Berlin ein Untersuchungsausschuss nach - zum Teil mit Schwierigkeiten.

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© Bundeskriminalamt

Berlin. Der Berliner Untersuchungsausschuss zu dem islamistischen Terroranschlag auf dem Weihnachtsmarkt kommt mehr als zwei Monate nach seiner Einsetzung nur mühsam voran. Der erste geladene Zeuge, Ex-Innen-Staatssekretär Bernd Krömer (CDU), sagte ab. Der zweite, ein Kriminalpolizist, konnte trotz einer langen Befragung am Freitag wenig Neues berichten. Auch weil er nur eine Erlaubnis für Mitteilungen zum Zeitraum bis Anfang Juli hatte. Erst Mitte Oktober soll es mit weiteren Zeugen weitergehen.

Die Polizei betreibt parallel zum Untersuchungsausschuss einen beträchtlichen Aufwand bei der Aufarbeitung des Terroranschlags. Details dazu berichtete als Zeuge der Kriminaldirektor Dennis Golcher, der die kripointerne Aufklärungsgruppe „Lupe“ mit knapp 30 Mitgliedern koordiniert und führt.

Riesige Datenmengen aus der Telefonüberwachung des späteren Attentäters Anis Amri im vergangenen Jahr würden derzeit neu durchgegangen und analysiert, sagte Golcher. Er nannte die Zahl von 116 312 einzelnen sogenannten Datenprodukten, die aus der Telefon- und Internetüberwachung von Amri zwischen April und September 2016 erfasst wurden. Es sei „unglaublich viel Material“, das von bis zu 14 Kriminalpolizisten ausgewertet werde.

Zu den Daten zählen laut Golcher knapp 7700 abgehörte und gespeicherte Telefongespräche aus 10 Telefonanschlüssen, die Amri nutzte. Außerdem knapp 10 200 SMS und rund 98 000 sonstige Daten aus aufgerufenen Internetseiten und Apps. Weil 95 Prozent von Amris Kommunikation auf arabisch ablief, setzt die Polizei extra vier Dolmetscher für die Übersetzung ein. Erschwert wird die Arbeit zusätzlich, weil Amri und seine Gesprächspartner bei ihren Telefonaten über ihren Drogenhandel Tarnbegriffe nutzten.

Bei der erneuten Auswertung der Kommunikation Amris gehe es um seine Kontakte, seine Freunde, seine Familie, seine Religionsausübung, seine Aufenthaltsorte und seine Radikalisierung, sagte Golcher.

Die Polizei untersucht auch noch einmal alle früheren Ermittlungsverfahren gegen Amri, zumeist aus dem Jahr 2016: wegen eines Angriffs auf einen Wachmann am Lageso, einer Schlägerei, Kokainhandels, eines Ladendiebstahls sowie Verstößen gegen das Asylrecht. Die Polizei will Fehler in den damaligen Ermittlungen herausfinden und bewerten. Bis Anfang Juli sei man aber nur auf leichte und banale, aber keine schwerwiegenden Ermittlungsfehler gestoßen, sagte Golcher.

Die interne Ermittlungsgruppe der Polizei und der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses wollen herausfinden, ob die Polizei vor dem Anschlag Fehler machte, die verhinderten, dass Amri aus dem Verkehr gezogen wurde.

Der „Spiegel“ berichtete gestützt auf Ermittlungsakten, dass Amri sich im Februar 2016 aufgeregt bei einem IS-Unterstützer in Dortmund gemeldet hatte, nachdem er zuvor in Berlin von der Polizei festgehalten worden war. Die Polizei beschlagnahmte damals sein Handy, was bekannt ist. Amri habe daraufhin dem „Bruder“ geraten, alles zu löschen, so der „Spiegel“. Daraufhin soll sein Kontaktmann andere Islamisten ermahnt haben, noch vorsichtiger zu sein und keine Telefone mehr mitzunehmen. Gegen das Netzwerk lief ein Großverfahren der Bundesanwaltschaft.

Der Attentäter war am 19. Dezember 2016 mit einem LKW auf den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gefahren. Insgesamt zwölf Menschen wurden getötet und fast 70 verletzt. Wenige Tage später erschossen Polizisten Amri auf der Flucht in Italien. Amri war der Polizei zuvor als islamistischer Gefährder und Rauschgifthändler bekannt. Allerdings schätzte die Polizei die Gefahr eines Anschlags durch ihn als gering ein. (dpa)