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Muss der Postmann zweimal klingeln?

Bei der Post häufen sich Beschwerden über verspätete Zustellung. Andererseits hat es mancher Zusteller zu eilig. Der Konzern redet das Problem klein.

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© Rolf Vennenbernd/dpa

Von Michael Rothe

SZ-Leser Reinhard Ständer ist wütend. Er schreibe sich mit Freunden in Berlin, doch seit Monaten kämen die Briefe – darunter Geburtstagspost – zwei, drei Wochen verspätet an, zwei Sendungen seien gar verloren gegangen, sagt er und fragt: „Wie ist es zu erklären, dass ein ehemals seriöses Unternehmen wie die Deutsche Post dermaßen kläglich versagt und zur mittelalterlichen Schneckenpost geworden ist?“ Süffisant fügt er hinzu: „Muss man seine Weihnachtspost schon jetzt abschicken, damit sie eventuell noch rechtzeitig ankommt? Und gibt es solche Zustände bald in Dresden oder Hoyerswerda?“

„Die Zustellung in Sachsen ist stabil“, heißt es vom Konzern. „In Berlin kann es zurzeit in einigen Bereichen noch zu Verzögerungen in der Brief- und Paketzustellung kommen, da es leider unerwartet viele krankheitsbedingte Ausfälle gibt, die wir nicht alle durch andere Mitarbeiter auffangen konnten“, sagt eine Sprecherin zur SZ.

„Der Bundesnetzagentur ist bekannt, dass es seit September zu massiven Problemen bei der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG in Teilen von Berlin gekommen ist“, schreibt die Behörde. Die Agentur hatte bis Ende Juni mit 2 340 schriftlichen Anfragen und Beschwerden sowie 845 telefonischen Beschwerden wachsende Kritik festgestellt. Verbraucher hätten „den Eindruck, dass sie an bestimmten Wochentagen gar keine Briefpost erhalten“, hieß es in der Halbjahresbilanz.

Probleme anderer nicht vergleichbar

Die Agentur ist für die Marktregulierung und Wettbewerbsaufsicht marktbeherrschender Anbieter zuständig. Die Sicherstellung einer flächendeckenden Grundversorgung zu erschwinglichen Preisen sei ein Ziel, heißt es. Inhalt und Umfang beschreibt ein Wortungetüm namens Post-Universaldienstleistungsverordnung. Ihre Möglichkeiten, bei Qualitätsmängeln für Abhilfe zu sorgen, seien aber beschränkt, räumt die Behörde ein. Es gebe kein gesetzliches Instrumentarium, durch das ein Postdienstleister sanktioniert werden könne. Immerhin musste die Deutsche Post eine Stellungnahme abgeben.

Laut Gesetz müssen im Jahresmittel mindestens 80 Prozent aller inländischen Briefsendungen am Werktag, der dem Einlieferungstag folgt, beim Empfänger sein – nach zwei Werktagen 95 Prozent. Die Laufzeiten bei der Deutschen Post werden durch ein externes Qualitäts- und Marktforschungsinstitut gemessen, vom TÜV Rheinland auditiert und der Netzagentur vierteljährlich vorgelegt. Demnach würden die Vorgaben erfüllt – „auch bei isolierter Betrachtung von Berlin und Sachsen“, heißt es. Zwar gebe es auch anderswo Beschwerden, aber „Probleme bei anderen Briefdienstleistern, die mit den Zustellmängeln der Deutschen Post AG vergleichbar wären, sind derzeit nicht bekannt“.

Laut Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC ist ein Drittel aller Konsumenten mit Paketdiensten unzufrieden. Eine repräsentative Umfrage unter 1 000 Konsumenten habe ergeben: 20 Prozent bemängeln eine unpünktliche Lieferung, 18 Prozent gaben an, beschädigte Sendungen erhalten zu haben. Baldige Besserung sei nicht in Sicht. Der boomende Onlinehandel mache die Logistik „noch enger und zeitkritischer auf der letzten Meile“. Da passt eine Meldung aus der vergangenen Woche: Im niedersächsischen Kalefeld-Düderode hatte ein Spaziergänger in einem Feldgraben Hunderte Briefe und Briefpäckchen entdeckt, die der Fahrer eines Kurierdienstes dort entsorgt hatte.

Der größte Onlineversender Amazon will die Sendungsflut auch in Eigenregie schaffen und wirbt private Autobesitzer als Paketboten an: für 64 Euro pro Vier-Stunden-Schicht. Das „Flex“-Programm starte in Kürze in Berlin – habe aber mit den Zustellproblemen von Deutsche Post DHL nichts zu tun, betont eine Amazon-Sprecherin.

Die Deutsche Post habe eingeräumt, dass in Berlin einige Zustellbezirke länger unbesetzt geblieben seien und keine Briefzustellung stattgefunden habe, schreibt die Bundesbehörde an die SZ. Von „Fehleinschätzungen vor Ort“ sei die Rede und dass die Rückstände durch zusätzliches Personal zügig abgearbeitet würden. Demnach sollte die betriebliche Stabilität bis 21. Oktober wieder hergestellt sein – deutlich vor der Wortmeldung des SZ-Lesers.

Nach Konzernangaben wurden in den letzten Monaten Mitarbeiter eingestellt, die nun eingearbeitet würden. Man suche aber weiter Zustellpersonal – für tarifliche Jobs, bei denen die Löhne über jenen der Konkurrenz lägen. Zahlen nennt die Sprecherin nicht. Auch die der Zusteller und der Krankenstand seien Betriebsinterna. Laut Berliner Zeitung berichten Briefboten von einem Trick, wonach Sendungen in einem Zustellbezirk nur in drei Straßen verteilt würden. Offiziell gelte die Post für den Tag dann insgesamt als zugestellt. Die Post-Sprecherin will das nicht bestätigen. „Es kann in Einzelfällen vorkommen, dass nicht alle Sendungen taggleich zugestellt werden konnten, wenn die Höchstarbeitszeitgrenze von 10,45 Stunden für den jeweiligen Zusteller erreicht wurde“, sagt sie. Dann müssten verbliebene Sendungen am Folgetag zuerst ausgeliefert werden. Die Zusteller seien so unterwiesen.

Die Netzagentur erreichen immer wieder Beschwerden über vermeintliche Zustellausfälle an Montagen. Die Deutsche Post AG betone ausdrücklich, dass sie auch montags regulär zustelle, teilt die Agentur mit. Der Konzern verweise aber auf eine geringe Sendungsmenge, weil Geschäftspost in der Regel spätestens am Freitag versendet und bereits samstags zugestellt wird. Es gebe „keine gesicherten Erkenntnisse, dass systematisch und zielgerichtet Zustelltouren an Montagen ausfallen“. Allerdings lege die Post Zustellbezirke zusammen, so dass weniger Boten unterwegs sind.

Boten klingeln nicht, das spart Zeit

„Paketempfänger bemängeln vielfach, lediglich eine Benachrichtigungskarte vorzufinden, obwohl sie zu Hause waren“, sagt Agentur-Präsident Jochen Homann. Der Bote klingelt nicht, geschweige, dass er die Treppe zum Adressaten nimmt. Stattdessen wandert die Aufforderung in den Briefkasten, die Sendung am nächsten Tag – aber nicht vor 11 Uhr – in einer Filiale abzuholen. „Tja, so ist die Realität“, antwortet die Mitarbeiterin einer Partnerfiliale im Dresdner Osten auf die Frage, ob das die Regel sei. „Beschweren Sie sich, sonst ändert sich nichts“, rät sie leicht frustriert und drückt erbosten Kunden dafür ein Faltkärtchen mit den Kontaktdaten in die Hand.

„Paketsendungen sind an der in der genannten Wohn- oder Geschäftsadresse durch persönliche Aushändigung an den Empfänger zuzustellen“, stellt die Netzagentur klar. Oder anders: Der Postmann muss nicht zweimal klingeln, wie es ein legendäres Filmdrama verheißt, aber einmal.

Bundesweit hatte der Konzern in den vergangenen Jahren gut 750 Millionen Euro in den Ausbau seines Paketnetzes investiert. Die Anlagen der drei sächsischen Paketzentren in Ottendorf-Okrilla bei Dresden, Radefeld bei Leipzig und Neumark im Vogtland können seit der Modernisierung jeweils 32 000 Pakete pro Stunde sortieren.

Seit Mai bedenkt die Post auch Sachsen mit mechanisierten Zustellbasen. Die Anlage in Dresden war bundesweit die Nummer 73, im Chemnitzer Norden ging gerade eine weitere in Betrieb. Solche Stationen ordnen Sendungen automatisch der Zustelltour zu, was bisher per Hand erfolgte. Pakete können so früher ausgeliefert werden. Theoretisch. Denn es bleibt die letzte Meile – und vor allem der Faktor Mensch.